Norderstedt. Rechtsgutachten ernüchtert und frustriert Politik: Man hat so gut wie keine Chance, den Flugbetrieb in Hamburg einzuschränken.
Das Ergebnis war ernüchternd: Der letzte Hebel, mit dem die Politiker den Fluglärm über Norderstedt reduzieren wollten, ist wirkungslos. Die Zahl der Flüge in den Abend- und Nachtstunden, die die Menschen besonders belasten, sollte durch eine Vorgabe im lokalen Lärmaktionsplan eingeschränkt werden.
Norderstedt wollte Hamburg vorschreiben, in mindestens 90 Nächten pro Jahr keine Flugzeuge zwischen 22 und 6 Uhr über bzw. auf der Norderstedter Bahn starten und landen zu lassen. Eine solche Einschränkung für den Flugbetrieb sei nicht durchsetzbar, teilte nun die auf Verwaltungsrecht spezialisierte Kanzlei Baumann Rechtsanwälte im Umweltausschuss mit.
Kann der Fluglärm mithilfe des Lärmaktionsplans reduziert werden?
30.000 Euro hat die Expertise gekostet. „Die Erkenntnis ist zwar nicht gerade erfreulich, aber die Investition hat sich trotzdem gelohnt, denn nun haben wir Klarheit“, sagt Tobias Mährlein, Fraktionschef der FDP, die den Prüfauftrag zusammen der CDU, Grünen, Linken, WiN und AfD Anfang 2022 beschlossen hatte. „Wir wollten einfach rechtssicher wissen, ob der Lärmaktionsplan, der gerade für die nächsten Jahre erarbeitet wird, so viel Kraft entfalten kann, den Lärm über Norderstedts Dächern zu verringern“, sagt Manfred Pelzel von der WiN, der das Rechtsgutachten mitinitiiert hat.
„Uns war klar, dass wir das Luftverkehrsrecht nicht aushebeln können. Den Lärmaktionsplan zu nutzen, war bundesweit ein Novum, deswegen haben wir das Rechtsgutachten beauftragt“, sagt Pelzel. Für die WiN, die aus dem Kampf der Garstedter gegen Fluglärm hervorgegangen ist, hatte und hat das Thema nach wie vor hohe Priorität – um so enttäuschender ist das Fazit der Rechtsanwaltskanzlei.
„Das Ergebnis des Rechtsgutachtens ist leider sehr ernüchternd“
„Das war einer der letzten Versuche, und das Ergebnis ist leider sehr ernüchternd“, sagt Ingrid Betzner-Lunding, Fraktionschefin der Grünen und Vorsitzende des Umweltausschusses. Lars Krückmann (CDU) sieht das ähnlich wie Tobias Mährlein von der FDP: „Nun herrscht Klarheit und die Erkenntnis, dass wir an der aktuellen Situation nichts ändern können.“
Über den Lärmaktionsplan auf den laufenden Flugbetrieb einzuwirken, sei in keinem Fall möglich, heißt es in dem Gutachten. Vorgaben der Stadt Norderstedt könnten allenfalls bei künftigen Planungen berücksichtigt werden, der Flughafenbetreiber müsse sie lediglich abwägen, könne sie also auch verwerfen.
SPD hat Rechtsgutachten von Anfang an abgelehnt und sieht sich bestätigt
Die Norderstedter SPD sieht sich durch das Rechtsgutachten bestätigt: „Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass diese 30.000 Euro vergeblich ausgegeben sein würden“, sagt Lasse Jürs, umweltpolitischer Sprecher der SPD. Zudem sei das Gewicht des Norderstedter Lärmaktionsplans in einer zukünftigen Gesamtplanung des Hamburger Flughafens gering, weil nicht der Fluglärm den meisten Lärm in Norderstedt verursache, sondern der Straßenverkehr.
Die SPD kritisiert, dass eine „gerechte Verteilung“ nicht in Tagen pro Jahr gemessen werden könne. Denn weniger Flüge über Norderstedt würden mehr Flüge über Hamburg bedeuten, wo mehr Menschen pro Fläche wohnen als in Norderstedt. Lasse Jürs: „Eine gute Lösung erreichen wir nicht auf Kosten der Menschen in Hamburg, sondern nur gemeinsam mit ihnen. Der richtige Ansatz ist daher, Gespräche mit den zuständigen Gremien in Hamburg zu führen.“
Alle Versuche, den Fluglärm über Norderstedt zu verringern, sind gescheitert
Das erneute Scheitern im Kampf um weniger Fluglärm über Norderstedt passt in eine sich über Jahrzehnte hinziehende Serie von Versuchen, die Bürger und Bürgerinnen in der Stadt und den anderen betroffenen Umlandgemeinden vom Lärm aus der Luft zu entlasten. Gespräche auf allen politischen Ebenen, Klagen gegen die Flugverteilung, Protest der Fluglärmschutz-Initiativen, auch gemeinsam mit dem BUND – bisher blieb jegliche Gegenwehr aus Norderstedt gegen die Lärmbelästigungen, die vom Flughafen Hamburg für Tausende Betroffene in der Stadt ausgehen, erfolglos.
Nach wir vor starten und landen die meisten Flugzeuge über die Norderstedter Bahn. 40 Prozent der Flüge vom Hamburger Airport werden über das nordwestliche Umland abgewickelt. 3360 Norderstedter müssen mit Lärm leben, der die Gesundheit gefährden kann. Besonders sensible Zeiten: der frühe Morgen und späte Abend.
„Hamburg hat nun mal den Hut auf und bestimmt die Musik“
„Nichts anderes war vom Rechtsgutachten zu erwarten. Hamburg hat nun mal den Hut auf und bestimmt die Musik“, sagt Martin Mosel, Vorsitzender des Dachverbands der Bürgerinitiativen und Vereine für Fluglärm-, Klima- und Umweltschutz (BIG). Das Problem: Die Stadt Hamburg hält 51 Prozent am Flughafen, 49 Prozent AviAlliance, nach eigenen Angaben einer der führenden privaten industriellen Flughafeninvestoren und -manager der Welt. Das Unternehmen hält ebenfalls Anteile an den Airports in Athen, Budapest, Düsseldorf und San Juan (Puerto Rico).
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Aber, so Mosel: „Vertraglich ist festgelegt, dass der Minderheitseigner bestimmen kann, wo es langgeht, er kann also Einschränkungen des Flugbetriebs ablehnen.“ Die Betriebsgenehmigung, die beispielsweise die Bahnbenutzungsregeln oder die Betriebszeit festlegt, könne nur geändert werden, wenn AviAlliance zustimme.
Martin Mosel (BIG): Die Zahl der verspäteten Flüge bewegt sich auf hohem Niveau
Das bedeute, weiter „dicke Bretter zu bohren“ und den politischen Willen zugunsten der Menschen zu drehen, die unter Fluglärm leiden. Der Schutz der Bevölkerung sei durch die Verfassung garantiert. Mit Blick auf den Klimaschutz stelle sich zudem die Frage, ob die Zahl der Flüge nicht gedeckelt und ein weiterer Ausbau verhindert werden müsse.
Es gelte, vor allem die nächtlichen Flüge einzuschränken, indem die Verspätungsgebühren für die Fluggesellschaften kräftig angehoben werden, denn: Die Zahl der verspäteten Flüge bewege sich wieder auf hohem Niveau.