Norderstedt. Parteienbündnis will über ein juristisches Gutachten und den Lärmaktionsplan der Stadt den Himmel über Norderstedt ruhiger machen.
Gespräche auf allen politischen Ebenen, Klagen gegen die Flugverteilung, Protest der Fluglärmschutz-Initiativen, auch gemeinsam mit dem BUND – bisher blieb jegliche Gegenwehr aus Norderstedt gegen die Lärmbelästigungen, die vom Flughafen Hamburg für Tausende Betroffene in der Stadt ausgehen, erfolglos. Nach wir vor starten und landen die meisten Flugzeuge über die Norderstedter Bahn. 40 Prozent der Flüge vom Hamburger Airport werden über das nordwestliche Umland abgewickelt. 3360 Norderstedter müssen mit Lärm leben, der die Gesundheit gefährden kann.
Besonders sensible Zeiten: der frühe Morgen und späte Abend: „Wenn dann die alten lauten Maschinen über einen hinwegdonnern, ist an Schlaf nicht mehr zu denken“, sagt Manfred Pelzel von Wir in Norderstedt (WiN), jener Wählergemeinschaft, die sich aufgrund des Themas Fluglärm gründete und mittlerweile fester Bestandteil der Stadtvertretung ist. Schallschutzfenster und Lüfteranlagen können die Probleme nicht verhindern, schließlich müssten die Fenster gerade an heißen Sommertagen auch mal gekippt werden, sagt Pelzel.
Die WiN startet nun einen neuen Anlauf, um die Norderstedter vom Lärm aus der Luft zu entlasten – und hat CDU, Grüne, FDP und die Linke für einen gemeinsamen Antrag gewonnen, der mit der Mehrheit der Unterzeichner im Umweltausschuss heute beschlossen werden dürfte: Die Norderstedter Verwaltung soll juristisch prüfen, ob und wie „gesundheitsgefährdende Lärmbelastungen durch Fluglärm“ für das Stadtgebiet ausgeschlossen werden können. Das könne durch ein Rechtsgutachten oder einen spezialisierten Juristen erfolgen.
Dabei haben die Antragsteller vor allem die nächtlichen Starts und Landungen im Blick. Im Jahr 2020 starteten und landeten laut Statistik des Flughafens Hamburg 46 Prozent der Maschinen zwischen 22 und 6 Uhr über die Norderstedter Bahn. Ziel des Antrags ist, die Flüge aus Norderstedter Sicht gerechter zu verteilen – weniger Flugzeuge über Norderstedts Dächern, mehr über Hamburger Stadtgebiet hinweg.
Da es vier Start- und Landebahnen gibt, soll nach dem Willen von CDU, FDP, Grünen und Linken nur jede vierte Maschine über Norderstedt und Quickborn hinweg abheben oder aufsetzen. Die Flugroute Richtung Norderstedt sollte höchstens 90 Tage im Jahr genutzt werden dürfen, heißt es im Antrag. „Eine solche Lösung ist ein notwendiger Akt der Fairness des Flughafens und der Stadt Hamburg gegenüber seinen Nachbarn im Umland“, sagt WiN-Sprecher Pelzel. Die Gemeinsamkeit der Metropolregion werde ja immer wieder betont.
Hebel für den Vorstoß ist der Lärmaktionsplan Norderstedt. „Der muss für die Jahre 2023 bis 2028 fortgeschrieben und in diesem Jahr erarbeitet werden“, sagt Pelzel. Die Europäische Union hat die Umgebungslärmrichtlinie 2002 mit dem Ziel erlassen, die Menschen vor Lärm zu schützen, denn: Es gilt als erwiesen, dass Lärm ein gravierendes Problem für die Gesundheit darstellt. Daher sind die Städte und Gemeinde verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz vor störendem Schall zu realisieren und ruhige Gebiete auszuweisen.
Bisher hat Norderstedt den Fluglärm in den Lärmaktionsplänen, die jeweils für fünf Jahre gelten, ausgespart, weil die Stadt außerhalb ihrer Grenzen nicht aktiv werden und Einfluss auf den Betrieb des Flughafens nehmen könne. Doch als sich der Umweltausschuss zur Klausur traf, sei dieser neue Ansatz ins Gespräch gekommen, sagt Pelzel, und diese Chance wolle man nun ergreifen.
Im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind in Norderstedt mehr Menschen von Fluglärm betroffen als in Hamburg. 3360 müssen mit einem Lärmpegel von mehr als 55 Dezibel (dB (A)) leben – Schallpegel bis zu diesem Wert gelten in Wohngebieten tagsüber als noch erträglich. Das entspricht bei 82.000 Bewohnern rund 4,2 Prozent. In der Metropole leiden laut aktuellem Lärmaktionsplan 57.900 Menschen unter einem Schallpegel von mindestens 55 dB (A). Bei 1,87 Millionen Einwohnern bedeutet das einen Prozentwert von 3,2 Prozent. Für die Nacht gilt ein Richtwert von 50 db(A). 240 Norderstedter sind davon betroffen, 0,3 Prozent der Bürger. In Hamburg sind es 0,5 Prozent. Damit entspricht die Belastung in Norderstedt im Verhältnis zur Einwohnerzahl etwa der auf dem Gebiet des großen Nachbarn.
„Wir können einfach aufgeben oder jede sich bietende Möglichkeit nutzen, um uns in Norderstedt eventuell doch noch von Fluglärm zu entlasten“, sagt Miro Berbig, Fraktionschef der Linken. Die Pandemie habe gezeigt, wie schön es ist, wenn am Himmel Ruhe herrscht. Die CDU unterstützt den gemeinsamen Prüfauftrag, um zu schauen, ob man über den Lärmaktionsplan auf die Flugbewegungen Einfluss nehmen kann. „Schließlich können wir ja sogar Blitzer unter dem Deckmantel des Lärmschutzes aufstellen“, sagt CDU-Fraktionschef Peter Holle. „Wir werden dadurch endlich Klarheit bekommen, ob wir Einfluss nehmen können oder nicht“, sagt FDP-Fraktionschef Tobias Mährlein.
„Wenn auch nur in einem Viertel aller Nächte ruhige Schlafbedingungen gegeben sind, kann zumindest ein Erholungseffekt zum Schutz der Gesundheit eintreten, der bislang nicht gegeben ist“, heißt es im Antrag. Ob dieser neue und womöglich letzte Versuch Erfolg hat, scheint zumindest fraglich. Bisher erweisen sich die Bahnbenutzungsregeln wie in Stein gemeißelt. Die im Luftfahrthandbuch veröffentlichen Vorgaben legen fest: Starts sollen Richtung Norden (Ohmoor/Quickborn) erfolgen. Die Richtung Süden (Alsterdorf/Innenstadt/Hamm) soll nicht benutzt werden. Zwischen 22 und 7 Uhr sollen auch Landungen aus Richtung Norden erfolgen. Der Grund: Im dicht besiedelten Hamburg seien mit Blick auf die absoluten Zahlen viel mehr Menschen von Fluglärm betroffen als im Umland.