Norderstedt. Norderstedt muss derzeit den gesamten Flugverkehr ertragen – dazu kommt eine steigende Zahl an Flügen trotz Nachtflugverbot.
Harte Zeiten für die vom Fluglärm des Flughafen Hamburg betroffenen Bürgerinnen und Bürger von Norderstedt: Derzeit und für die kommenden Wochen bis zum 28. Juni wird die oberste Deckschicht der Start- und Landebahn 05/23 Niendorf/Langenhorn erneuert. Der gesamte Flugverkehr wird in dieser Zeit über die Bahn 15/33 Norderstedt/Alsterdorf abgewickelt.
Die Norderstedter haben also den Lärm der derzeit im Monat etwa 10.000 startenden und landenden Maschinen exklusiv. Nach der relativen Ruhe während der Corona-Pandemie hat das Flugaufkommen über Norderstedt zwar noch nicht die Werte des Vor-Corona-Jahres 2019 erreicht – es ist aber auf dem besten Weg dahin zurück.
Flughafen Hamburg: „Unerträgliches Belastungsmaß“ – Mehr Fluglärm nach 23 Uhr
Seit Januar und bis Ende April starteten über Norderstedt/Quickborn 10.154 Flugzeuge, 4246 setzten zur Landung an. Das entsprach bislang 44,2 Prozent des bisherigen Flugverkehrs 2023 mit 32.568 Starts und Landungen. Die übrigen knapp 46 Prozent verteilen sich auf die Richtungen Langenhorn/Lemsahl und Niendorf/Blankenese (25,5 und 25,7 %) und Alsterdorf/Hamm (4,6 %).
Zum Vergleich: 2022 waren es im gleichen Zeitraum über Norderstedt nur 8681 Starts und 3565 Landungen. Deutlich mehr gab es im Vor-Corona-Jahr 2019 zwischen Januar und April, nämlich 15.193 Starts und 5295 Landungen.
Nachtflugverbot ab 23 Uhr: 242 Flugzeuge starteten und landeten trotzdem
Besonders störend kommen zum regulären Flugverkehr bis 23 Uhr noch jene Flugzeuge hinzu, die durch
Verspätung oder andere Gründe die Nachtruhe der Menschen beeinträchtigten. Dazu hat die Hamburger Umweltbehörde gerade aktuelle Zahlen vorgelegt.
Die Gesamtzahl der Starts und Landungen nach 23 Uhr liegt zum 31. Mai bei 242 Flügen. Waren es im Januar noch nur 23 Flüge zwischen 23.14 Uhr und Mitternacht und im Februar sogar nur zwölf verspätete Flüge, so mehrten sich die Verspätungen im März um 48 Flüge und im April um 41 Flüge. Im Mai jedoch explodierte die Zahl der Verspätungen regelrecht: Waren es bis Ende April also 123 verspäteten Flüge, so kamen allein bis Ende Mai 119 weitere Verspätungen hinzu.
„Belastungsniveau von 2019 überschritten“ – obwohl es 2023 weniger Flüge sind
Für Martin Mosel, Sprecher des Dachverbands der Bürgerinitiativen und Vereine für Fluglärm-, Klima- und Umweltschutz (BIG) besorgniserregend. „Mit 242 Verspätungen wird für 2023 das Belastungsniveau des Referenzjahres 2019 überschritten.“ Und das, obwohl derzeit im Unterschied zur Zeit vor Corona das Flugaufkommen nur etwa 80 Prozent von dem entspreche, was im Flugbetrieb 2019 erreicht wurde.
„Den Menschen rund um den Hamburger Flughafen und bis weit in den Flugschneisen im Umland wird in der Nachtzeit durch Verspätungen ein unerträgliches Belastungsmaß aufgebürdet“, kritisiert Mosel. „Ich schaue mit großer Sorge auf den anstehenden Sommerflugverkehr.“
Fluglärmschutzkommission fordert Verschärfung des Nachtflugverbotes
In der Februar-Sitzung der Fluglärmschutzkommission (FLSK), in der Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder derzeit als Vorsitzende agiert, nannte der Flughafen Hamburg für den Sommerflugplan bis Ende Oktober einen erwarteten Anstieg der Flugbewegungen gegenüber 2022 um 25 Prozent auf etwa 72.000 Flüge.
Für die letzte Betriebsstunde waren damals bereits 4500 Flüge angemeldet, ein Plus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr entspreche. 90 Prozent der Flüge gingen bis 22.45 Uhr über die Start- und Landebahnen, nach 22.35 Uhr seien bislang von den Airlines keine Starts beantragt worden.
Fluglärmschutz stehe in der Politik in Hamburg nicht im Fokus
Martin Mosel wirft der Hamburger Politik und den Fachbehörden der Hansestadt vor, der Entwicklung tatenlos zuzusehen und den Flughafen uneingeschränkt gewähren zu lassen. Das sei völlig unverständlich, so Mosel. „Der berechtigte Anspruch auf Lärmschutz in der Nacht steht nicht im Fokus der Stadt.“
Trotz des jahrelangen gemeinsamen Wirkens der Initiativen gegen Fluglärm und der Betroffenen in Norderstedt und anderswo sei „keine substanzielle Entlastung beim Fluglärm“ zu verzeichnen. Einzelne Lichtblicke würden in der mehrjährigen Gesamtbetrachtung verblassen.
Anti-Fluglärm-Initiativen beklagen Wirkungslosigkeit des Protestes
Mosel: „Selbst bei deutlich verringerten Verkehrszahlen, wie aktuell, sind Flughafen und Behörden, vorneweg die zuständige Wirtschaftsbehörde, nicht Willens und in der Lage, die Verspätungssituation in den Griff zu bekommen. Eine nachhaltige Entlastung beim Fluglärm und besonders bei den Verspätungen in der Nacht ist so nicht absehbar.“
Die Forderung der Fluglärmschutzkommission vom letzten Jahr, die Verspätungsregelung zu verschärfen, sei von der Hamburger Politik freundlich zur Kenntnis genommen und ohne weitere Maßnahmen ad acta gelegt worden. „Aus dem politischen Raum gibt es zwar vereinzelte Signale, wonach um 23 Uhr Schluss sein müsse, doch zu mehr als zu Lippenbekenntnissen haben sich die verantwortlichen Parteien und Behörden bislang nicht aufgerafft“, sagt Mosel.
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Die FLSK hatte mehrheitlich empfohlen, dass Abflüge mit Beginn der Nachtflugbeschränkung um 23 Uhr bei Verspätung eine Ausnahmegenehmigung durch die Fluglärmschutzbeauftragte (FLSB) benötigen. Ebenso Landungen 30 Minuten nach Beginn der Nachtflugbeschränkung. Bis 23.30 Uhr dürfen sogenannte „nachweislich unvermeidbare Passagierflüge“, deren geplante Landezeit vor 23 Uhr liegt, noch ohne vorherige Ausnahmegenehmigung landen.
Flughafen Hamburg: „Denn eins gilt immer: Nachts ist Ruhe!“
Die bisherige Regelung sieht so aus, dass die Nachtflugbeschränkung zwar um 23 Uhr beginnt, jedoch „nachweislich unvermeidbar“ verspätete Linien- und Charterflüge noch ohne spezielle Ausnahmegenehmigung bis 24 Uhr starten und landen dürfen, wenn die geplante Start- oder Landezeit vor 23 Uhr liegt.
„Wir erwarten, dass Politik und Verwaltung nicht über Lockerungen des Nachtflugverbots nachdenken, sondern durchgreifende und nachhaltige Maßnahmen zur Verringerung der Belastungen durch nächtliche Starts und Landungen auf den Weg bringen“, sagt der BIG-Vorsitzende Mosel. „Denn eins gilt immer: Nachts ist Ruhe!“