Norderstedt. Energiekosten bringen Ärzte in finanzielle Schieflage. Aus Protest blieben Licht und Heizung aus. Wie Patienten reagierten.

Für viele Menschen in Norderstedt, die am Mittwochmorgen einen Arzt aufsuchten, begann der Praxisbesuch mit einer Überraschung. Es war nämlich dunkel und auch ziemlich kühl in den Wartezimmern und Behandlungsräumen. Der Grund: Es handelte sich um eine einstündige Protestaktion, mit der niedergelassene Ärzte landesweit auf ihre Lage in Zeiten steigender Kosten aufmerksam machen wollten.

Sechs Arztpraxen aus dem Ärztehaus am Herold-Center nahmen an der Aktion teil, darunter auch die Hausarztpraxis von Dr. Svante Gehring, Dr. Antje Gotthardt und Dr. Helen Sadeghian. Im Wartezimmer saßen die Patienten um kurz nach 8 mit Decken über den Beinen, die die Praxismitarbeiter verteilt hatten. „Ich habe mich erst einmal erschrocken, als es so dunkel war. Aber für die Aktion habe ich viel Verständnis, ich finde den Protest gut“, sagte Patientin Claudia Rinke.

Energiekosten: Ärzteprotest – mit Wolldecke im dunklen Behandlungsraum

Meinung, die vielfach geteilt wurde. Verständnis für die Lage der Ärzte äußerte etwa Klaus-Dieter Koch, der mit seiner Frau Helga ebenfalls im Wartezimmer saß. „Die Ärzte können ja nicht einfach Geräte abschalten. Und im Dunkeln arbeiten können sie auch nicht.“

Svante Gehring, der auch Vorstandsvorsitzender der Ärztegenossenschaft Nord ist, erklärte seinen Patienten am Mittwochmorgen, worum es bei dem Protest ging. „Wir haben alle mit steigenden Kosten zu kämpfen, etwa für Energie. Die Kliniken bekommen deshalb von der Politik ein Hilfspaket geschnürt. Aber wir niedergelassenen Ärzte fallen im Moment hinten herunter“, so der Arzt.

Höhere Miete, mehr Geld für Energie: Wo für die Praxen überall die Kosten steigen

Die Probleme, die viele Praxen derzeit haben, schildert er am eigenen Beispiel. In der Praxis, die im zweiten Stock des Ärztehauses an der Berliner Allee 40c liegt, sind neben fünf Ärzten weitere zehn Personen tätig. Gehring sagt: „In diesem Jahr gab es für uns Vertragsärzte eine Honoraranpassung von 2 Prozent. Aber auf der anderen Seite steigen die Kosten viel stärker.“

Gehring nennt Beispiele: „Seit Herbst zahlen wir für die Praxisräume elf Prozent mehr Miete. Im nächsten Jahr erwarten wir eine weitere Steigerung.“ Bei den Energiekosten stehen die Jahresabrechnungen noch aus, sie sollen im Januar kommen. Gehring sagt aber: „Die werden um mindestens 20 Prozent steigen, das haben uns die Stadtwerke schon mitgeteilt. Ich rechne damit, dass es noch mehr wird.“

Auch die Löhne für die Angestellten sind gestiegen – was der Arzt richtig findet

Die Liste lasse sich fortsetzen: Andere Nebenkosten, wie die Energiekosten für die Fahrstühle, entrichtet die Praxis an das Herold-Center. Auch da rechnet Svante Gehring mit Kostensteigerungen. Und dann sind da noch die Lohnkosten: „Die Personalkosten sind über die letzten drei Jahre um zwölf Prozent gestiegen, wegen der Tarifabschlüsse bei den medizinischen Fachangestellten.“

Gehring betont, dass er das auch „sehr gut und richtig“ finde. Das Problem der Praxen sei allerdings: Sie könnten höhere Kosten für Energie und Personal, anders als etwa Restaurantbetreiber, Bäcker oder andere Dienstleister, nicht an Kunden – beziehungsweise Patienten – weiterreichen.

Warum die Kosten nicht an die Patienten oder Kassen weitergereicht werden können

Svante Gehring: „Wir rechnen pro Patient und Quartal nach festen Grundpauschalen ab.“ Bestimmte Leistungen werden mit den Krankenkassen zusätzlich abgerechnet, ebenfalls nach festen Sätzen. Die Ärzte können also nicht einfach mehr Geld für ihre Leistungen verlangen. Zusätzliche Leistungen anzubieten, um die Kostensteigerungen abzufedern, sei für die Ärzte auch keine Alternative, sagt Gehring. „Es gibt feste Kostendeckelungen, sowohl pro Patient als auch bei der Anzahl der Patienten. Mit Leistungsausweitungen können wir nicht mehr Geld verdienen.“

Als einziger Ausweg bleibe den Praxen, im Notfall die Leistungen einzuschränken, etwa die Sprechzeiten zu verkürzen. Oder eben die Heizung herunterzudrehen und das Licht auszumachen, wie hier am Mittwoch symbolisch geschehen. Aber Gehring stellt klar, dass beides natürlich nie ernsthaft in Erwägung gezogen werden könne: „Wir brauchen natürlich Licht, und auch Strom für die Geräte. Und wenn sich hier im Behandlungszimmer ein Patient frei macht, damit er untersucht werden kann, darf es natürlich nicht kalt sein.“

Manche Patienten würden sogar höhere Kassenbeiträge zahlen – Arzt ist dagegen

Manche Patienten wären sogar bereit, höhere Krankenkassenbeiträge zu bezahlen, um den Ärzten zu helfen. Zu ihnen gehört Claudia Rink. Und auch Frauke Gefken, die an diesem Morgen in der nebenan liegenden Hautarztpraxis im ebenfalls dunklen Wartezimmer sitzt, sagt: „Wenn sich die Situation dadurch verbessert, würde ich das in Kauf nehmen.“ Anderer Meinung ist Patient Klaus-Dieter Koch: „Wir sind Rentner. Noch höhere Beiträge würden uns finanziell in die Bredouille bringen.“

Hatten Verständnis für die Aktion: Die Patienten Helga und Klaus-Dieter Koch im Wartezimmer der Hausarztpraxis.
Hatten Verständnis für die Aktion: Die Patienten Helga und Klaus-Dieter Koch im Wartezimmer der Hausarztpraxis. © FMG | Claas Greite

Höheren Kassenbeiträgen erteilt auch Svante Gehring eine klare Absage. „Es ist genug Geld im System. Es muss nur anders verteilt werden“, betont er. Erforderlich sei eine große Strukturreform im Gesundheitswesen, mit dem Ziel einer engeren Zusammenarbeit von Arztpraxen, Krankenhäusern und dem Bereich Pflege. Bis das so kommt, dürften indes Jahre vergehen.

Norderstedt: Was aus Sicht von Svante Gehring den Ärzten helfen kann

Zur Lösung der aktuellen Probleme der Ärzte sieht Svante Gehring zwei Wege: „Wenn es einen Rettungsschirm für die Kliniken gibt, müssen da auch die Arztpraxen berücksichtigt werden. Oder es wird bei den Honoraren der Vertragsärzte noch einmal nachverhandelt.“

Klaus-Dieter Koch jedenfalls sieht die Politiker in der Pflicht: „Die haben das ja auch verbockt und uns in eine Energieabhängigkeit getrieben.“ Aus seiner Sicht wäre nicht zuletzt deshalb ein staatliches Hilfspaket für die Ärzte „angemessen“.