Norderstedt. Am dritten Prozesstag besichtigte der mutmaßliche Verursacher des Müllbergs sein früheres Grundstück. Wie er reagierte.
Seine Hände vergrub er tief in den Hosentaschen. Unsicher zupfte er seine dünne blaue Jacke über die Hose. Dann steckte er die Hände doch in die Jackentaschen. Zum allerersten Mal nach vier Jahren kehrte der vermeintliche Verursacher des Norderstedter Müllbergs an den Ort zurück, an dem er jahrelang illegal Abfälle angehäuft haben soll. Bis er Ende 2018 spurlos verschwand.
Nun muss sich der 61-Jährige wegen des unerlaubten Umgangs mit Abfällen und des unerlaubten Betreibens von Anlagen in jeweils einem besonders schweren Fall vor dem Norderstedter Amtsgericht verantworten. Am dritten Prozesstag besichtigten Richter Jan Willem Buchert und seine Schöffinnen, die Staatsanwaltschaft, die Polizei und Medienvertreter gemeinsam mit dem Angeklagten und seinem Verteidiger das vermüllte Grundstück der früheren Gieschen Containerdienst GmbH. Fotos waren nicht erlaubt.
Müllberg Norderstedt: Nach vier Jahren – Angeklagter kehrt zurück an den Tatort
Während Richter Buchert neugierig durch ein kleines Loch im Zaun auf das Gelände spähte, wartete der mutmaßliche Verantwortliche in der hintersten Reihe. Seinem Gesicht waren keine Emotionen abzulesen. Nur sein nervöses Zupfen verriet, dass er sich in dieser Situation nicht wohlfühlen konnte.
Das Grundstück ist verplombt. Niemand kann es betreten. Zunächst wurde es von einem Durchgangsweg aus beäugt, dann von dem benachbarten Gelände der Autorecycling-Firma Kiesow. Durch ein Fenster im Obergeschoss hatten die Prozessbeteiligten einen guten Blick auf den geschätzt 15.000 Kubikmeter großen Müllberg. Gemeinsam mit seinem Anwalt schaute sich der Angeklagte kurz das Ausmaß an. Dann wendete er sich ab. Auf eine Plauderei mit seinem ehemaligen Nachbarn, Tim Kiesow, wollte er sich nicht einlassen.
Norderstedt: Müllberg bewachsen mit Bäumen und Pflanzen
Der Abfall liegt schon so lange auf dem Gelände, dass teilweise richtige Bäume mit festen Stämmen auf ihm gewachsen sind. Jüngere Anhäufungen sind von Schlingpflanzen bedeckt. „Ist das der Zustand, in dem Sie das Grundstück zuletzt gesehen haben?“, fragte Richter Jan Willem Buchert. Rechtsanwalt Wolfgang Höwing antwortete für seinen Klienten: Die Lage habe sich seit Ende 2018 deutlich verschlimmert. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, müssen noch weitere Menschen illegal ihren Abfall auf dem ohnehin schon riesigen Haufen entsorgt haben.
Der dritte Verhandlungstag begann am Mittwoch im Amtsgericht. Besonders interessant war die Aussage eines Polizeibeamten, der seit Ende 2018 rund um den Müllberg-Skandal ermittelt. Er berichtete, dass das Ordnungsamt der Stadt Norderstedt die Polizei damals auf Abfälle außerhalb des Gieschen-Geländes aufmerksam gemacht hätte. „Mich hat aber viel mehr interessiert, was sich hinter dem Zaun befand“, sagte der 53-Jährige.
„Eine Katastrophe“ – Polizist schockiert Zustand auf Gieschen-Gelände
Der Beamte, der für Umweltdelikte zuständig ist, war schockiert von dem Anblick. „Eine Katastrophe! Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen“, sagte er vor Gericht. Überall seien künstliche Mineralfasern herumgeflogen. Flüssigkeiten hätten sich in Eimern und Kanistern befunden. „Aus einem Rasenmäher ist Öl gelaufen.“
Diese Darstellung widerspricht den Aussagen, die der Angeklagte noch vor einer Woche getätigt hatte. Er beteuerte, keine gefährlichen Abfälle angenommen zu haben – sondern nur Müll von Neubauten. „Das Asbest ist noch von meinem Vater, das habe ich da nicht hingepackt“, beteuerte er. Der Vater des Angeklagten ist in den 90er-Jahren verstorben. Daraufhin erbte sein Sohn die Transport- und Entsorgungsfirma.
Betreiber war lange nicht auffindbar – Wohnhaus in Nahe stand leer
Mithilfe eines Durchsuchungsbeschlusses sei die Polizei mit der Stadt Norderstedt und der Staatsanwaltschaft auf das Grundstück gelangt, berichtete der Zeuge. Ein Kollege von ihm sei auf den Müllberg gestiegen. „Er ist eingebrochen.“ Daraufhin sei die Aktion abgebrochen worden. „Es wurde einfach zu gefährlich.“
Der Polizeibeamte hätte versucht, den Betreiber der Anlage ausfindig zu machen und schriftlich vorzuladen. Doch dieser hätte nicht auf Anschreiben reagiert. Das Wohnhaus in Nahe, zu dem er ebenfalls gefahren sei, hätte leer gestanden. „Der Briefkasten war zu Dreivierteln gefüllt.“ Eine weitere Zeugin, eine Justiziarin der Stadt Norderstedt, berichtete ebenfalls von etlichen erfolglosen Versuchen, die untergetauchte Familie zu kontaktieren.
Angeklagter wurde nach Reise von Fuerteventura am Flughafen festgestellt
Als der Beamte bei der Polizei in Itzstedt nachfragte, teilte diese ihm mit, dass der Betreiber als vermisste Person geführt werde. Und dann wird seine Aussage besonders spannend: Über die Stadt habe er eine Adresse auf Fuerteventura erhalten. Ein Makler, der mit der Familie zu tun hatte, habe berichtet, dass sich der Angeklagte und seine Tochter im Ausland befinden sollen. „Als er wieder nach Deutschland eingereist ist, wurde er von der Bundespolizei am Hamburger Flughafen festgestellt.“
Das soll Anfang 2022 gewesen sein. Der Angeklagte war bei der Bundespolizei als vermisst gemerkt, deswegen wurde er aufgegriffen. Nachdem der Betreiber 2018 verschwunden war, vermuteten viele, dass er sich in den Süden abgesetzt habe und sich von den Einnahmen seiner Firma ein schönes Leben mache. Dass es offenbar ganz anders war, versuchte sein Verteidiger am zweiten Verhandlungstag klarzustellen.
Verteidiger skizziert traurige Lebensgeschichte – Betreiber war obdachlos
Rechtsanwalt Wolfgang Höwing skizzierte die traurige Lebensgeschichte seines Klienten und stellte ihn vor Gericht als gebrochenen, mit der Situation überforderten Mann dar. Wegen seiner „mangelnden Qualifikation“ sei er der Aufgabe nicht gewachsen gewesen, Geschäfte zu führen.
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„Ende 2018 hatte der Angeklagte einen vollkommenen körperlichen und psychischen Zusammenbruch“, berichtete Höwing. „Ab diesem Zeitpunkt war er obdachlos.“ Er habe Sozialleistungen beantragt und auf der Straße gelebt. „Um seinen Betrieb konnte er sich nicht mehr kümmern.“ Die Tochter habe ihn nach einer Weile auf der Straße aufgefunden. Heute lebe er von einer geringen Witwenrente und Hartz IV in Hamburg. Sein Anwalt hat sich vergangenes Jahr bei der Staatsanwaltschaft gemeldet. Daraufhin wurde Anklage erhoben.
Müllberg Norderstedt: 2023 soll das Grundstück geräumt werden
Die Tochter des Betreibers war ebenfalls angeklagt. Sie leitete zwei Jahre die Geschäfte, von 2015 bis 2017. Gegen eine Zahlung von 11.000 Euro kaufte sie sich aus dem Prozess. Es heißt, sie lebe mit ihrem spanischen Mann auf Fuerteventura. Vor einiger Zeit soll sie einen Teil des Familiengrundstücks in Nahe verkauft haben. Dort steht nun ein neues Haus.
Im kommenden Jahr soll die geschätzt 3,8 Millionen Euro teure Beseitigung des Müllbergs in Friedrichsgabe beginnen. Das Land zahlt sie von Steuergeldern. Das Vergabeverfahren der Planung und Begleitung der Räumung ist seit Kurzem ausgeschrieben. Anschließend erfolgt die Ausschreibung der eigentlichen Räumung. Ob sich das Land Geld von der Familie zurückholen kann, müsste in einem weiteren Prozess geklärt werden.