Norderstedt. In Norderstedt lagern meterhohe Müllberge. Tochter des Betreibers einigte sich bereits mit Gericht. Auch Vater kann auf Deal hoffen.

So viele Medienvertreter und Zuschauer hatten sich lange nicht mehr im Amtsgericht in Norderstedt versammelt. Sie alle warteten auf einen Mann, der die vergangenen Jahre in aller Munde war – doch eher als Phantom galt, da er nirgends auffindbar war. Am Mittwoch musste sich der Betreiber der Gieschen Containerdienst GmbH vor Gericht verantworten.

Ihm wird der unerlaubte Umgang mit Abfällen und das unerlaubte Betreiben von Anlagen jeweils in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Über Jahre soll er am Umspannwerk in Friedrichsgabe Müll angenommen haben, ohne ihn wie vorgeschrieben zu lagern und wieder abzutragen. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Doch ob er wirklich zum Prozessauftakt erscheinen würde, stellten viele infrage.

Müllberg Norderstedt: Kein Phantom mehr – Angeklagter erscheint bei Skandal-Prozess

Pünktlich um 14 Uhr betrat der Angeklagte Saal F. Sein Gesicht verdeckte er mit einer blauen Pappmappe vor den Kameras. Minutenlang verlas die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift und zählte all seine vermeintlichen Umweltvergehen auf, die er über zwei Jahrzehnte begangen haben soll. Währenddessen starrte der Angeklagte nach unten auf den Holztisch, an dem er saß. Nur selten blickte er herüber zur Staatsanwaltschaft.

Auf dem Gieschen-Areal am Umspannwerk in Norderstedt türmen sich etwa 15.000 Kubikmeter Müll.
Auf dem Gieschen-Areal am Umspannwerk in Norderstedt türmen sich etwa 15.000 Kubikmeter Müll. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

Berge aus krebserregendem Asbest, teerhaltigen Dachpappen und anderen gefährlichen Stoffen türmen sich meterhoch auf dem rund 5000 Quadratmeter großen Grundstück in Norderstedt. Experten schätzen die Müllmenge auf etwa 15.000 Kubikmeter. Der Abfall stellt laut eines Gutachtens eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar.

Norderstedt: Verschwundener Betreiber tauchte 2021 überraschend wieder auf

In der Vergangenheit wiesen die zuständigen Behörden den Geschäftsführer immer wieder auf die Missstände hin, verhängten Zwangsgelder und ordneten sogar die vollständige Räumung an. Vergeblich. Im Jahr 2017 riss jeglicher Kontakt ab. Der Aufenthaltsort der Familie Gieschen war unbekannt. Das einstige Wohnhaus in Nahe stand leer. Der mutmaßliche Verursacher des wohl größten Müllskandals der Norderstedter Stadtgeschichte galt als untergetaucht.

Lange Zeit sah es danach aus, als könnte er nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dann meldete sich der Betreiber im vergangenen Jahr überraschend über einen Anwalt bei der Staatsanwaltschaft Kiel. Daraufhin wurde im November 2021 Anklage erhoben. Auch die Tochter des Betreibers wurde angeklagt, da sie kurzzeitig die Geschäfte übernommen hatte.

Amtsgericht Norderstedt: Angeklagte zahlte 11.000 Euro – Verfahren eingestellt

Die Angeklagte erschien am Mittwoch allerdings nicht vor Gericht. Richter Jan Willem Buchert erklärte, dass das Verfahren gegen sie vorläufig eingestellt worden sei. Die frühere Geschäftsführerin zahlte eine Geldbuße von 11.000 Euro und schied damit aus dem Prozess aus. Bereits am 20. Juli habe es laut Buchert eine Videokonferenz gegeben. Dort hätte er mit der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung Verständigungsgespräche geführt und sich auf diese Strafe geeinigt.

In Norderstedts Müllberg sollen sich unter anderem krebserregender Asbest, teerhaltige Dachpappen und andere gefährliche Stoffe befinden. Die Abfälle wurden über Jahre angenommen – und nicht wieder abgetragen.
In Norderstedts Müllberg sollen sich unter anderem krebserregender Asbest, teerhaltige Dachpappen und andere gefährliche Stoffe befinden. Die Abfälle wurden über Jahre angenommen – und nicht wieder abgetragen. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

Auch im Fall des 61 Jahre alten Betreibers des Entsorgungsunternehmens stellte Buchert eine Verständigung in Aussicht. Ursprünglich hat das Gericht sechs Verhandlungstermine angesetzt – sollte sich der Angeklagte aber beim nächsten Termin am 4. November, 9.30 Uhr, vollumfänglich erklären und geständig zeigen, könnte der Prozess schon nach zwei Tagen beendet sein. Die Beteiligten haben sich bereits im Vorfeld auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verständigt, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.

Müllberg: Stadt Norderstedt und Land stritten über Zuständigkeit

Diesem Vorgang müssen allerdings die Schöffen zustimmen. Die beiden Frauen haben den Sachverhalt am Mittwoch zum ersten Mal gehört. Richter Buchert zog sich mit ihnen zurück. Ihre Entscheidung wird am nächsten Prozesstag verkündet. Dann soll auch der Angeklagte angehört werden.

Während der 61-Jährige untergetaucht war, stritten sich Stadt und Land über die Zuständigkeit. Niemand wollte die Verantwortung für Norderstedts Abfallberg übernehmen – vor allem, weil die Räumung des Mülls mit Kosten in Millionenhöhe verbunden ist.

Stadt Norderstedt ersteigerte Müllgrundstück – Land übernimmt Räumung

Schließlich einigten sich Stadt und Land doch auf ein gemeinsames Vorgehen: Die Stadt Norderstedt ersteigerte das vermüllte Grundstück in einem Zwangsversteigerungsverfahren – das Land trägt nun die Räumungskosten, die auf rund 3,8 Millionen Euro geschätzt werden. Diese werden mit Steuergeldern bezahlt.

Ob der Betreiber der Anlage, der für die Justiz nun wieder greifbar ist, auch in diesem Punkt zur Rechenschaft gezogen werden und für die Kosten aufkommen könnte, ist noch fraglich. In dem Strafprozess vor dem Amtsgericht geht es erst einmal nur um die möglichen Umweltsünden, nicht aber um Räumungskosten. In dieser Sache müsste das Land den Betreiber in einem weiteren, diesmal zivilen Verfahren anklagen.

Müllberg Norderstedt: Räumung soll 2023 endlich beginnen

„Sobald die Räumung abgeschlossen ist und die tatsächlichen Kosten feststehen, wird das Land alle zur Verfügung stehenden Mittel ergreifen, um eine Kostenerstattung durch den Verursacher zu erreichen“, kündigte eine Sprecherin des Umweltministeriums an. Dem Betreiber droht also bereits der nächste Prozess.

Geplant ist weiterhin, den Müllberg bald zu beseitigen. „Das Vergabeverfahren zur Planung und Begleitung der Räumung wird in Kürze beginnen“, teilte das Umweltministerium mit. Anschließend werde die Ausschreibung der eigentlichen Räumung erfolgen. „Aufgrund der Verzögerungen im Zwangsversteigerungsverfahren werden die eigentlichen Räumungsarbeiten erst 2023 beginnen.“