Norderstedt. Angeklagter muss vor Gericht Geständnis ablegen – sonst platzt sein Deal. Bekommt Norderstedt endlich Antworten?
15.000 Kubikmeter Müll türmen sich teils sechs Meter hoch. Die Berge bestehen aus krebserregendem Asbest und diversen anderen gefährlichen Stoffen. Auf dem 5000 Quadratmeter großen Gelände am Umspannwerk in Norderstedt liegt so viel Abfall, dass es kaum möglich ist, einen Überblick zu erlangen. Zwei Jahrzehnte ist der Müllberg gewachsen.
Als der Betreiber der Gieschen Containerdienst GmbH 2017 untertauchte und der Kontakt zu den Behörden abriss, hinterließ er in Norderstedt nicht nur einen Haufen Müll. Die Öffentlichkeit stellt sich seitdem auch viele Fragen. Allen voran: Wie konnte es soweit kommen? Warum hat der Betreiber derart die Kontrolle über seine Müll-Geschäfte verloren? Und wer ist der Mensch, der diese Umweltsünde vermeintlich verursacht hat?
Müllberg Norderstedt: Warum verlor Betreiber Kontrolle?
Seit Mittwoch hat der Geschäftsführer der Entsorgungsfirma zumindest ein Gesicht und ist nicht länger ein Phantom, über das man sich Geschichten erzählt. Der 61-Jährige ist vor dem Amtsgericht in Norderstedt erschienen. Dort muss er sich wegen des unerlaubten Umgangs mit Abfällen und des unerlaubten Betreibens von Anlagen jeweils in einem besonders schweren Fall verantworten.
Lange Zeit sah es danach aus, als könnte der mutmaßliche Verursacher des Müllbergs nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sein Aufenthaltsort war unbekannt. Das einstige Wohnhaus der Familie in Nahe steht noch immer leer. In der Umgebung wurde wild darüber spekuliert, ob sich der Betreiber von den Einnahmen seiner illegalen Geschäfte ein schönes Leben im Süden macht.
Norderstedt: Früherer Besitzer des Areals wieder aufgetaucht
Dann meldete er sich 2021 überraschend über einen Anwalt bei der Staatsanwaltschaft in Kiel. Daraufhin wurde Anklage erhoben. Was hat den Mann dazu gebracht, sich zu stellen? Und wo hielt er sich die ganze Zeit auf?
Das Gericht erhofft sich Antworten auf all diese Fragen. Denn: Bereits im Vorfeld des Prozessauftakts haben Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung Verständigungsgespräche geführt. In einer Videokonferenz im Juli haben sie sich darauf geeinigt, das Verfahren gegen die ebenfalls angeklagte Tochter des Anlagen-Betreibers vorläufig einzustellen. Sie leitete die Geschäfte zwei Jahre lang. Gegen die Zahlung eines Bußgeldes von 11.000 Euro kaufte sie sich aus dem Prozess frei.
Angeklagter muss Geständnis ablegen – nur dann bekommt er Deal
Der Richter stellte auch dem angeklagten Betreiber eine Verständigung in Aussicht. Die Bedingung: Er muss sich beim nächsten Prozesstermin am 4. November vollumfänglich erklären und ein Geständnis ablegen. Nur dann greift der Deal und er würde maximal zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt werden. Das wäre die Gelegenheit, zum ersten Mal die Geschichte aus Sicht des Besitzers der Gieschen-Firma zu hören. Seine Beweggründe. Seine Erklärung.
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Wenn der Strafprozess vor dem Amtsgericht abgeschlossen ist, droht ihm jedoch bereits die nächste Klage. Während seiner Abwesenheit einigten sich Stadt und Land darauf, den Müllberg auf jeden Fall zu räumen. Die Stadt ersteigerte das vermüllte Areal, das Land trägt die Räumungskosten von etwa 3,8 Millionen Euro. Die Beseitigung des Mülls wird von Steuergeldern gezahlt.
Müllberg Norderstedt: Mutmaßlichem Verursacher droht weiterer Prozess
Diese will sich das Land „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ zurückholen. 2023 soll die Räumung beginnen. Sobald diese durch ist, muss sich der Betreiber wohl erneut vor Gericht verantworten – und dann geht es nicht um seine Freiheit, sondern um viel Geld.