Bad Segeberg. Etwa 60 Biogasanlagen gibt es im Kreis Segeberg. Sie verkaufen Wärme zu unfassbar günstigen Preisen.
Die Energiekosten steigen ins unermessliche – aber es geht auch anders: Im Kreis Segeberg werden bereits Hunderte Haushalte mit preiswerter Energie versorgt. Möglich wird das durch Biogasanlagen, von denen es in den ländlichen Gebieten des Kreises inzwischen einige gibt. Gas krisensicher und zu günstigen Preisen. Besonders weitsichtig ist die Gemeinde Ellerau gewesen, die sich schon vor Jahren um die Energiesicherheit für ihre Bürger gekümmert hat.
Es gab Zeiten, da gab es heftige Proteste gegen Biogasanlagen im ländlichen Raum. Umweltschützer verwiesen auf Monokulturen und eine „Vermaisung“ der Landschaft, Bewohner kleinerer Gemeinden protestierten gegen die unablässigen Maistransporte über ihre Dorfstraßen. Das Meinungsbild hat sich geändert: Gas und Strom sind für viele kaum noch bezahlbar, günstigere Lösungen werden händeringend benötigt.
Energiepreise: Die günstige Gasversorgung vom Bauern nebenan
Fernwärme und Strom durch Biogasanlagen sind eine Alternative, die in der aktuellen Situation hochaktuell geworden sind. Im Kreis Segeberg gibt es zahlreiche Biogasanlagen: Stand Anfang 2022 speisen im Kreis Segeberg etwa 60 biogasbetriebene Blockheizkraftwerke Ökostrom in die Kabel der Schleswig-Holstein Netz Ag. Sie erzeugen 169. 600 Megawattstunden. Damit ließen sich 48 000 Haushalte mit Strom versorgen. Noch interessanter sind die Gaslieferungen zu heute unschlagbar günstigen Preisen.
Am überzeugendsten ist das Beispiel Ellerau. Dort ließ die Gemeinde für rund vier Millionen Euro eine Biogasanlage bauen, die sei 2007 von den Kommunalbetrieben betrieben wird. Eine Investition, die sich gelohnt hat.
Landwirte liefern Mais, Gras und Roggen für die Ellerauer Biogasanlage
Mais-, Gras- und Roggensilagen wird von Landwirten aus der näheren Umgebung geliefert. Dazu bestehen langjährige Verträge für den Anbau und die Ernte der Biomasse. Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Teil dieser Verträge ist ebenfalls, dass die liefernden Landwirte die verbleibenden Gärreste der Biogasanlage erhalten und als wertvollen Volldünger für die Nährstoffversorgung ihrer landwirtschaftlichen Flächen nutzen können.
100 Ellerauer Haushalte erhalten günstige Fernwärme
Vor allem aber ist es ein Gewinn für viele Bürger der Gemeinde: Etwa 100 Haushalte werden mit Fernwärme beliefert. Aktuell zu einem Preis von acht Cent netto pro Kilowattstunde, demnächst werden es zwölf Cent sein. Warum diese Preiserhöhung? Jens Bollmann, Vorstand der Kommunalbetriebe Ellerau erklärt es so: „Die Landwirte müssen mehr für Rohstoff zahlen; Dünger und Diesel werden teurer.“ Trotzdem: Gegenüber den üblichen Steigerung am freien Markt ist die Ellerauer Erhöhung immer noch sehr moderat.
Wie begehrt das hausgemachte Gas ist, hat Jens Bollmann in den vergangenen Wochen gemerkt: „Wir haben so viele Anfragen, dass wir glatt eine zweite Anlage bauen könnten.“ Aber selbst, wenn es von der Kommunalpolitik gewünscht wird, kann nicht ohne weiteres eine neue Biogasanlage gebaut werden, weil an höherer Stelle Uneinigkeit herrscht: Der Bund, das Land sowie die Gemeinde-und Städteverbände sind sich zurzeit nicht einig, ob weitere Biogasanlagen tatsächlich gewünscht sind.
Ginge es nach dem in Freising ansässigen Bundesverband Bioenergie wären längst noch viel mehr Anlagen in Betrieb. Horst Seide, Präsident des Bundes-Fachverbandes Biogas bringt die Versorgungssicherheit ins Spiel. „Mit einem Anteil von rund 86 Prozent aller Erneuerbarer Energien bleibt die Biomasse mit großem Abstand die wichtigste erneuerbare Wärmequelle.“
Der in den Biogasanlagen erzeugte Strom geht in das öffentliche Netz
Strom wird im Ellerauer Biokraftwerk übrigens auch produziert; Der vergorene Mais treibt mit dem entstehenden Methangas zwei 700-Kilowatt-Motoren an, die wiederum über Generatoren 6,2 Millionen kwh Strom erzeugen. Damit könnten theoretisch 90 Prozent aller Ellerauer Haushalte versorgt werden. In der Praxis allerdings wird dieser Strom, wie bei anderen Biogasanlagen auch, in das öffentliche Netz eingespeist.
Von den rund 60 Biogasanlagen im Kreis Segeberg beliefern die meisten Einrichtungen oder Baugebiete in der näheren Umgebung – und das zu Preisen, von denen Verbraucher nur träumen können. Die Leezener Biogas GmbH & Co. KG zum Beispiel verkauft das erzeugte Gas an Hotels, an die Schule, den Kindergarten und an etwa 45 Einzelhaushalte in der Umgebung zu einen Nettopreis von aktuell vier Cent pro Kilowattstunde.
Die Biogasanlage Leezen beliefert das Forschungszentrum Borstel mit Wärme
Die Biogasanlage Itzstedt beliefert das Forschungszentrum Borstel über ein Mikrogasnetz mit Wärme und kassiert dafür 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Die Bewohner eines Itzstedter Neubaugebiets profitieren auch von dieser Anlage, müssen allerdings die E.ON-Preise akzeptieren.
Eine andere Möglichkeit der alternativen Wärmeerzeugung will der Henstedt-Ulzburger Landwirt und Kompostieranlagen-Betreiber Dirk Rohlfing demnächst wieder anbieten. Er plant den Bau eines Holzhackschnitzelheizanlage. Eine solche Anlage gab es auf seinem Betriebsgelände schon einmal, wurde jedoch auf Betreiben des Netzbetreibers Hansewerk aus Quickborn stillgelegt. Angesichts der aktuellen Energiekrise drängt Hansewerk jedoch auf den Bau einer neuen Anlage, um mit dem bestehenden Leitungsnetz die Gemeinschaftsschule Rhen und die Häuser im Baugebiet Haidbarg mit Wärme beliefern zu können.
In Henstedt-Ulzburg soll ein neues Holzhackschnitzelkraftwerk entstehen
„Wir hoffen, dass die Anlage in einem Jahr in Betrieb gehen kann“, sagt Dirk Rohlfing, der dank seiner Kompostieranlage über Holz „ohne Ende“ verfügt. Die Nutzer dieser Fernwärme können sich jetzt schon freuen: Die Kosten werden nach Schätzungen Rohlfings etwa ein Viertel des aktuellen Gaspreises betragen.
Vor einigen Jahren hatte Dirk Rohlfing der Gemeinde sogar das Angebot gemacht, extra für das Alstergymnasium ein Holzhackschnitzelkraftwerk zu errichten – die Gemeindepolitiker lehnten dankend ab und werden sich jetzt vermutlich darüber ärgern.
Der WZV möchte eine Biogasanlage bauen, aber die Kreispolitiker zögern
Besonders viel Bioabfälle sammelt der Wege-Zeckverband (WZV) ein: 24.000 Tonnen pro Jahr. Gemeinsam mit Neumünster und dem Kreis Plön lässt der Verband in einer gemeinsamen Bioabfallverwertungsgesellschaft (BAV) insgesamt 45.000 Tonnen Bioabfall in anderen Anlagen zu Kompost verarbeiten. Statt den Biomüll aus dem Kreis Segeberg zu auswärtigen Verwertungsanlagen zu fahren, will der Wege-Zweckverband (WZV) selbst das Biogas verarbeiten. Neben der Deponie in Damsdorf soll eine Biogasanlage entstehen. Ob dieser Standort genutzt werden kann, ist unklar: Aber auch Neumünster und Plön möchten diese gemeinsame Anlage errichten. „Der Standort ist eigentlich egal“, sagt Verbandsvorsteher Peter Axmann. „Am besten ist es dort, wo es wirtschaftlich möglich ist.“
Aus den insgesamt 45.000 Tonnen Bioabfällen soll Biogas entstehen, das ins das öffentliche Gasnetz eingespeist wird - uninteressant für die Bürger, gewinnträchtig aber für die Gesellschafter WZV, Stadt Neumünster und Kreis Plön. Je Tonne Bioabfall würde 85 bis 130 Kubikmeter Biogas erbringen, haben Experten errechnet.
Der öffentlich-rechtliche Wege-Zweckverband möchte vom Kreis ein Grundstück für die Anlage haben, doch die Politiker zögern. Sie wollen erst dann zustimmen, wenn kein besserer Standort gefunden wird. Befürchtet wird eine Erhöhung der Müllgebühren, sollte die Anlage im Kreis Segeber entstehen.
Gaspreis: Fast 10.000 Biogasanlagen gibt es in Deutschland
Deutschlandweit gibt es nach Angabe des Fachverbandes Biogas 9879 Biogasanlagen. davon 511 in Schleswig-Holstein. Auf 1,3 Millionen Hektar wird Getreide und Gras angebaut, mit denen die Anlagen beliefert werden. 9,59 Millionen Haushalte werden mit Biostrom versorgt, 1,49 Millionen Haushalte mit Wärme. Die Anlagen erwirtschaften in diesem Jahr einen Umsatz von 11,2 Milliarden Euro.
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Auffällig sei die stark gestiegene Nachfrage nach Biogaswärme, teilt der Verband mit. „Die Bedeutung von Biogas als flexibler, verlässlicher und universell einsetzbarer regenerativer Energieträger wird in der aktuellen Krise besonders deutlich“, betont der Präsident des Fachverbandes Biogas, Horst Seide. „Die komplett aus dem Ruder laufenden rechtlichen Vorgaben und die politischen Unsicherheiten dämpfen aber die Investitionsbereitschaft in der Branche deutlich.“