Ellerau. Ellerau macht sich weniger Sorgen um Gasknappheit und kaltes Duschen. Es nutzt eine Anlage, die früher als „unsexy“ galt.

Die genau 6311 Einwohner zählende Gemeinde Ellerau verfügt über einen Schatz, der lange kaum Beachtung fand, nun aber in der aufkommenden Energiekrise gehoben wird und so wertvoll ist wie Gold. Seit 15 Jahren betreibt der Ort eine Biogasanlage, mit der er Strom und Abwärme erzeugt.

Damit werden die Schule, die Kindergärten, der Bauhof, die Bücherei, die Kirche, das Bürgerhaus und das Freibad sowie die Wohnungen und das Warmwasser von etwa 1000 Bürgerinnen und Bürgern in einem Wohngebiet und einer Seniorenwohnanlage beheizt.

Energiepreise: Günstige Fernwärme: Ein Dorf jubelt in der Energiekrise

„Biogasanlagen waren lange unsexy“, sagt Jens Bollmann, Vorstand der Kommunalbetriebe Ellerau (KBE), die Biogasanlage und Freibad betreiben. Jetzt, da überall die Erdgaspreise bei den Versorgern durch die Decke gehen, hat sich das Image komplett gedreht. „Wir könnten noch zwei weitere Biogasanlagen betreiben. So groß ist im Moment die Nachfrage“, freut sich Bollmann. „Plötzlich sind wir die Guten.“

Mit ihm freuen sich die mit Biogas versorgten Bürgerinnen und Bürger, die zurzeit etwa acht Cent netto je Kilowattstunde (kwh) Fernwärme zahlen müssten. Auch mit der geplanten Erhöhung um etwa 40 Prozent auf etwa zwölf Cent zum Winter liegt Ellerau immer noch weit unter den Erdgaspreisen vieler Stadtwerke wie zum Beispiel in Norderstedt, die ab Oktober rund 19 Cent je kwh Erdgas verlangen und seit dem Frühjahr den Gastarif mehr als vervierfacht haben.

Fernwärme: Nur acht Cent netto je Kilowattstunde (kwh)

Horst Seide, Präsident des Bundes-Fachverbandes Biogas: „Die Verbraucher kriegen jetzt nicht nur preiswerte Wärme, sie kriegen vor allem sichere Wärme.“
Horst Seide, Präsident des Bundes-Fachverbandes Biogas: „Die Verbraucher kriegen jetzt nicht nur preiswerte Wärme, sie kriegen vor allem sichere Wärme.“ © Burkhard Fuchs

Neben dem günstigen Preis habe die dezentrale Versorgung mit Biogas für die Kommunen, die darüber verfügen, noch einen weiteren großen Vorteil: die Versorgungssicherheit. Das betonte Horst Seide, Präsident des Bundes-Fachverbandes Biogas. Der Verband feierte sein 30-jähriges Bestehen in Ellerau.

Etwa vier Millionen Euro habe Ellerau in diese Anlage investiert, sagt Vorstand Bollmann. Das war eine weitsichtige Investition, die sich für Ellerau jetzt mehr als auszahle, lobte Verbandspräsident Seide. „Die Verbraucher kriegen jetzt nicht nur preiswerte, sondern vor allem sichere Wärme.“ Keiner der an das Fernwärmenetz der Biogasanlage angeschlossenen Kunden in Ellerau müsse befürchten, dass im Winter die Gasversorgung gedrosselt wird oder dass kalt geduscht werden muss.

20 Landwirte liefern Mais, der in Silos vergoren wird

Die Ellerauer Anlage wird zum größten Teil mit Mais betrieben, das etwa 20 Landwirte aus der unmittelbaren Umgebung anliefern, erklärt Bollmann. Der vergorene Mais treibt mit dem entstehenden Methangas zwei 700-Kilowatt-Motoren an, die wiederum über Generatoren 6,2 Millionen kwh Strom erzeugen, den die Gemeinde ins öffentliche Netz einspeist. „Damit könnten wir 90 Prozent der Haushalte in Ellerau mit Strom versorgen“, sagt Bollmann. Auch der Strompreis steige zurzeit und erhöhe so die Einnahmen für die KBE.

Bei der Stromerzeugung falle dann die Abwärme an. Diese 4,5 Millionen kwh Wärme im Jahr beheizten über ein 900 Meter langes Fernwärmenetz die genannten öffentlichen Einrichtungen sowie 1000 Bewohner und vor allem das Freibad. Damit spare die Gemeinde im Wesentlichen den jährlichen Zuschuss von 180.000 Euro für das Freibad, erklärt Bollmann. „Das Freibad erfüllt auch viele soziale Aspekte und macht die Gemeinde Ellerau attraktiv für unsere Bürgerinnen und Bürger“, weiß Bollmann.

Betreiber von Biogasanlagen wollen mehr Gülle in den Anlagen verwerten

Verbandschef Seide geht noch einen Schritt weiter. Er ist fest davon überzeugt, dass die etwa 10.000 dezentralen Biogasanlagen in Deutschland, davon etwa 860 in Schleswig-Holstein, einen weitaus größeren Anteil an der Energieversorgung leisten könnten, als ihr die Bundes- und Landesregierung zutrauten. Heute vergärten diese Biogasanlagen überwiegend Mais. Künftig könnten sie auch mit Gülle und Mist, Abfallprodukten aus der Landwirtschaft, betrieben werden, sagte der Verbandschef.

Auf diese Weise ließen sich 80 Prozent des Gülleaufkommens im Land auf elegante und weitgehend umweltfreundliche Weise in Strom und Wärme verwandeln. Das Wärmeaufkommen von zurzeit 20 Terrawattstunden, was zwei Prozent des gesamten Wärmebedarfs ausmache, könnte sich vervielfachen. Doch die Entscheidungsträger in den Ministerien würden den Biogasanlagen höchstens 30 Prozent Gülleanteil zurechnen. „Da tobt jetzt der Streit zwischen den Biogasbetreibern und den Landes- und Bundespolitikern“, sagte Seide und betonte: „Wir könnten sogar die Industrie mit Wärme versorgen.“

Energiepreise: “Prüfwahnsinn“bei der Genehmigung von Anlagen

Jochen Knuth, Staatssekretär im Umweltministerium, glaubt zwar nicht, dass die Biogasanlagen im ländlichen Raum die Basislast der Energieversorgung abdecken könnten. „Aber eine vermehrte Einspeisung von Gülle könnte eine Win-Win-Situation für alle sein.“ Für die Landwirtschaft, die dieses Abfallproblem loswerden würde und für den Klimaschutz, der dadurch verbessert würde.

Allerdings müssten dann die vielen bürokratischen Hürden, die es den Betreibern der Biogasanlagen zurzeit immer schwerer machten, abgebaut werden, fordert Marcus Hrach, Geschäftsführer des Landesverbandes für erneuerbare Energien in Schleswig-Holstein. „Vielen Biogasbetreibern wird das Leben schwer gemacht. Dabei geht es um ihre Existenz.“

Auch KBE-Vorstand Bollmann kann davon ein Lied singen: „Der Prüf-Wahnsinn der Behörden, was die Genehmigung von Biogasanlagen angeht, sollte aufhören.“