Norderstedt. Bei kriminellen Müllsündern hat sich die illegale Deponie herumgesprochen – sie laden hier ihren teils toxischen Müll ab.
Auf dem illegalen Müllberg der Deponie Gieschen in Friedrichsgabe gammeln seit Jahren zwischen 15.000 bis 25.000 Kubikmeter mehr oder weniger gesundheitsgefährdendes Material: Umgerechnet zwischen 28.500 und 47.500 Tonnen Bauschutt- und Altholzhalden, Plastikberge, Dämmwolle in aufgerissenen Säcken mit der Aufschrift „krebserregende Fasern“ und ganze Frachtschiffcontainer mit unbekanntem Inhalt (wir berichteten).
Bislang war es Ärgernis genug, dass der Verursacher des Umweltskandals, der ehemalige Deponiebetreiber Gad Rüdiger Gieschen, abgetaucht und scheinbar für Staatsanwaltschaft und Polizei unauffindbar ist, damit nicht für die illegale und über Jahre betriebene Ablagerung von Müll zur Rechenschaft gezogen werden kann – und somit die Allgemeinheit auf dem traurigen Berg des kriminellen Schaffens des Müllunternehmers in Friedrichsgabe sitzenbleibt. Mit allen Gefahren und Kosten, die das nach sich zieht. Wobei die Allgemeinheit bislang davon ausging, dass der Berg still und ruhig vor sich hin gammelt – und vor allem nicht mehr weiter wächst. Weit gefehlt.
Wie wusste schon Bergsteiger Luis Trenker: „Der Berg ruft!“ Und das gilt auch für den Müllberg. Der ruft nämlich nach all den anderen Kriminellen in der Region, die es vorziehen, ein paar Euro auf dem Reststoffhof an Gebühren zu sparen und dafür ihren Müll der Allgemeinheit vor die Füße werfen. Selbst wenn es sich bei dem Müll um gesundheitsgefährdende Stoffe handelt.
Für Norbert Pranzas und Miro Berbig, Stadtvertreter der Linken, stinkt der Müllberg in Friedrichsgabe gewaltig zum Himmel. Sie wollten sich die Lage vor Ort zunächst mal ganz genau anschauen. Da die Halde in Nachbarschaft des Autoverwerters Kiesow so gut wie unzugänglich verrammelt ist, setzten sie für den genaueren Blick auf den Müllberg und seine Bestandteile eine kleine Foto-Drohne ein. Und entdeckten Besorgniserregendes.
Nicht nur gesundheitsgefährdende „aufblühende Mineralfasern“, die aus aufgerissenen Dämmwolle-Paketen quellen. Sie entdeckten auch eine größere Menge an weißen und blauen Plastikkanistern. Darauf gut zu erkennen die Gefahrgut-Zeichen. Etwa der „Gefahrzettel Ätzende Stoffe Klasse 8“, der zur Kennzeichnung von Stoffen und Gegenständen da ist, „welche das Epithelgewebe der Haut oder den Schleimhäuten bei Kontakt angreifen und schädigen können oder beim Freiwerden an anderen Gütern oder Transportmitteln Schäden verursachen können. Ebenfalls zu dieser Klasse zählen auch Stoffe, welche erst in Verbindung mit Wasser ätzende flüssige Stoffe bilden oder in Verbindung mit natürlicher Luftfeuchtigkeit ätzende Nebel öder Dämpfe bilden.“ So die offizielle Kategorisierung.
Pranzas und Berbig verglichen die Aufnahmen aus dem Juni mit jenen, die sie bei einem ersten Drohnenflug im April gemacht hatten. So konnten sie nachweisen, dass die Kanister mit mutmaßlich ätzendem Inhalt im April noch nicht vorhanden waren. „Das sind eindeutige Hinweise, dass der unkontrollierte Müllberg zur weiteren illegalen Müllentsorgung durch ,Trittbrettfahrer’ genutzt wird“, schreibt Norbert Pranzas in einer Anfrage an die Stadt, mit der er die Verwaltung auf den Zustand aufmerksam machen möchte. Diese „Trittbrettfahrer“ wissen, dass hier über kurz oder lang das Land für die Müllentsorgung anrücken wird. So können sie ihre Umweltvergehen geschickt dem untergetauchten Gieschen in die Schuhe schieben.
Vor 2023 will das Land den Müllberg nicht anfassen
Apropos: Wann genau wollte das Land noch mal anrücken, um den Müllberg abzuräumen? „Alle reden ja davon, dass der Berg wegkommt. Allein – es passiert nichts“, wundert such Stadtvertreter Miro Berbig. Das Land in Person von Staatssekretär Tobias Goldschmidt (Die Grünen) hatte angekündigt, man wolle die potenziell gesundheitsgefährlichen und eventuell asbesthaltigen Mineralfasern auf dem Grundstück abtragen. Allerdings nicht vor 2023, bis dahin wolle man lediglich die Grundwassermessungen fortführen und bezahlen.
Miro Berbig möchte gerne mal wissen, wie das technisch umgesetzt werden kann. Nimmt man die oberen Müllschichten einfach weg? Und was ist dann man jenen, die dann zum Vorschein kommen und potenziell nicht weniger gefährlich sind? Irgendwie unlogisch. Deswegen: „Wir fordern die sofortige und komplette Räumung des Geländes, um die Gefährdung der Menschen und des Trinkwassers in Friedrichsgabe zu beenden!“ Hinterher könnten sich Land und Stadt ja immer noch über die Verteilung der Kosten streiten – nun aber müsse zunächst der Müll weg. Alles andere sei eine zum Scheitern verurteilte „Strategie des Aussitzens seitens der Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und des Landes“.
Weder Land noch das Rathaus könnten die Anlage ausreichend überwachen und weitere illegale Müllablagerungen verhindern. „Solange hier nicht geräumt wird, werden die Menschen in der Umgebung gefährdet. Und wenn das Land glaubt, man könne mit der Räumung bis 2023 warten, dann wünsche ich dem Herrn Staatssekretär Goldschmidt viel Freude mit diesem Dauerbrenner!