Rassismus-Vorwürfe, „kulturelle Aneignung“, „Redfacing“: Was Kritiker an den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg stört.
- Karl May hat mit Winnetou das „Indianerbild“ in Deutschland geprägt
- Wird in Bad Segeberg eine Winnetou-Fantasiewelt gefeiert?
- Alexander Klaws und Thomas Gottschalk hatten Debatte angefacht
- Winnetou wäre in den USA und Kanada so nicht mehr möglich
Wenn Winnetou zur bekannten Filmmelodie einreitet, sind die Zuschauer entzückt. Kinder und Erwachsene freuen sich, wenn der Apachenhäuptling gemeinsam mit seinem deutschen Blutsbruder Old Shatterhand die bösen Indianer und die schäbigen weißen Schurken in die Flucht schlägt. Aber passen die Karl-May-Spiele noch in die heutige Zeit?
Immer häufiger gibt es Rassismus-Vorwürfe, Begriffe wie wie „kulturelle Aneignung“ und „Redfacing“ machen die Runde. Aktueller Anlass: Nach großer Kritik liefert der Verlag Ravensburger das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ zum gleichnamigen Kinofilm nicht mehr aus. Im Netz wurde den Geschichten von Karl May rassistische Vorurteile nachgesagt. Es handele sich um einen Fall von unerwünschter „kultureller Aneignung“.
Die Winnetou-Filme mit Pierre Brice und die Westernfilme aus Hollywood haben zweifellos das „Indianerbild“ der Deutschen geprägt. Heute ist Winnetou im deutschsprachigen Raum ein Held der Popkultur.
Winnetou und die Karl-May-Spiele: Schauspieler in Fantasiekostümen
In sechs Jahrzehnten hat sich wenig geändert: Die Apachen sind rotgeschminkte Europäer bei den zahlreichen Karl-May-Spielen, die es mittlerweile gibt. Deutsche Schauspieler treten in Fantasiekostümen als indigene Menschen auf, die von einem deutschen Schriftsteller erfunden wurden.
Das nennt sich kulturelle Aneignung. Darunter versteht man die Reproduktion oder Übernahme bestimmter Dinge oder Traditionen anderer Kulturen. Problematisch ist dies, wenn Elemente meist sozial, politisch oder wirtschaftlich unterdrückten Kultur übernommen werden, ohne deren Geschichte und Bedeutung zu kennen.
Vertreibung, Ermordung, Assimilationspolitik, das Abschieben in Ghettos, der Missbrauch und Mord indigener Kinder in Umerziehungslagern – all das spielt in den Geschichten von Karl May keine Rolle. Dass europäische Einwanderer entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen haben, wird nicht erwähnt.
„Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass es sich dabei um eigenständige Nationen innerhalb der USA handelt, die sich massiv voneinander unterscheiden. Sie werden auf wenige stereotype Vorstellungen reduziert“, sagt Carmen Kwasny, Vorsitzende der Native American Association of Germany (NAAoG).
Karl May hat mit Winnetou das „Indianerbild“ in Deutschland geprägt
Das „Indianerbild“, das durch Karl-May-Inszenierungen übermittelt wird, beeinflusst die Vorstellungen, die Menschen von indigenen Völkern in Amerika haben. „Wenn jemand etwas für das positive Bild der Indianer getan hat, dann Karl May“, sagt denn auch Michael Petzel, Geschäftsführer des Karl-May-Archivs in Göttingen. Karl May habe mit seinen Geschichten zeigen wollen, dass man Respekt vor anderen Völkern haben sollte. „Karl May schreibt in eine Fantasiewelt hinein, er benutzt die Indianer nicht, sondern idealisiert sie“, so Petzel.
Das Gegenargument der Kritiker: Genau diese Idealisierung könne Native Americans heute noch zum Verhängnis werden. Karl May habe Winnetou in einer Zeit erfunden, in der man nicht die Möglichkeiten hatte, sich genauer mit den Umständen der indigenen Nationen auseinanderzusetzen.
„Sexualisierung indigener Frauen ist großes Problem“
In den vergangenen Jahren hat die Sichtbarkeit der Native Americans deutlich zugenommen: Sie sind in den Sozialen Medien aktiv und so erreichbar für die ganze Welt. Es gibt nicht viele Native Americans, die in Deutschland leben, trotzdem werden sie überall auf der Welt mit den Idealisierungen und Stereotypisierungen konfrontiert, die hier in Deutschland mit dem Thema „Indianer“ verbunden sind.
„Es gibt Studien, die zeigen, dass diese stereotypischen Darstellungen einen schädigenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung indigener Kinder haben“, sagt Carmen Kwasny. „Viele indigene Kinder haben Internetzugang und sehen so, wie sie stereotypisch reduziert werden. Darüber hinaus besteht ein großes Problem, das durch die Sexualisierung indigener Frauen hervorgerufen wird.“
Karl-May-Spiele: Wird in Bad Segeberg eine Fantasiewelt gefeiert?
Aber was genau hat das mit den Karl-May Festspielen zu tun? Wird da nicht eine Fantasiewelt gefeiert, in denen tapfere Helden für Gerechtigkeit kämpfen und so das Publikum begeistern? Carmen Kwasny hat Verständnis für die Faszination mit den Winnetougeschichten. Sie ist Deutsche und selbst damit aufgewachsen. Allerdings hat sie schon früh angefangen, sich mit den wahren Geschichten der Native Americans auseinanderzusetzen. Sie arbeitet jetzt schon seit mehr als 30 Jahren eng mit ihnen zusammen.
„Ich persönlich versuche, über Stereotypen, Klischees und Fettnäpfchen aufzuklären, damit ein besserer Austausch stattfinden kann“, sagt sie und hofft, dass bei den Karl-May-Spielen und anderen Projekten mit Native Americans zusammengearbeitet wird und man diesen auch zuhört.
Native Americans äußern sich aktuell vermehrt in den Sozialen Medien. Dort wird deutlich, dass es sich für sie um Rassismus handelt.
Kultursenator: Auseinandersetzung mit anderen Kulturen ist wichtig
Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburg und Präsident des deutschen Bühnenvereins, hat sich ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt: „Das Einnehmen und das Spiel anderer Rollen ist das Wesen des Theaters. Ebenso ist es wichtig, dass wir uns mit anderen Kulturen auseinandersetzen“, sagt er. „Dabei ist es richtig und gut, dass wir dies heute auch dank der Debatten rund um die Aufarbeitung des Kolonialismus und kultureller Aneignung deutlich aufgeklärter und reflektierter tun. Das Spiel sollte nicht dazu führen, Rollenklischees zu verfestigen und unseren Blick auf die Welt zu verengen, sondern diesen eher weiten.“
Karl-May-Spiele: „Wir zeigen keine echte indianische Kultur“
Was sagt die Kalkberg GmbH als Veranstalterin der Karl-May-Spiele zur aktuellen Diskussion? „Wir nehmen an dieser Diskussion seit Jahren sehr aktiv und offen teil. Eines ist aber ganz wichtig: Wir zeigen keine echte indianische Kultur und behaupten das auch gar nicht“, sagt Geschäftsführerin Ute Thienel. „Wir spielen die Abenteuer aus Karl Mays Traumwelt – einem Wilden Westen, den es in dieser Form nie gegeben hat.“ Sie weist darauf hin, dass gelegentlich indianische Künstler als Ergänzung zu den Karl-May-Spielen aufgetreten sind.
Aber auch in den Stücken würden die Konflikte nicht außen vor gelassen: die Vertreibung der Ureinwohner durch die Weißen, Ausbeutung von Bodenschätzen, Zerstörung von Lebensräumen. „Besonders in Winnetous Monologen sind diese Dinge eine Botschaft, die wir unseren Besuchern sehr gern mit auf den Weg geben – und der Applaus am Ende solch einer Rede zeigt, wie gut diese Gedankenanstöße aufgenommen werden.“
Karl-May-Spiele: Ausstellung beschäftigt sich mit Indigenen Völkern
Ute Thienel verweist auf eine Ausstellung im Indian Village neben dem Kalkberg-Theater, die sich mit der wirklichen Geschichte der indigenen Völker Amerikas beschäftigt.
Die Geschäftsführerin geht davon aus, dass die aktuelle Diskussion den Karl-May-Spielen auch langfristig nicht schadet: „Die allermeisten unserer Besucher wissen diese Diskussion sehr gut einzuordnen. Die Spiele entwickeln sich seit ihrer Gründung im Jahr 1952 stetig weiter – und das werden sie ganz sicher auch in den kommenden Jahren tun.“
Schauspielerin Melanie Böhm empfiehlt Kollegen eine gewisse Sensibilität
Melanie Böhm ist eine Schauspielerin, die mitten im Geschehen ist. Bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg tritt sie als deutsche Siedlerin auf, die einen jungen Häuptlingssohn liebt – wie denkt sie über kulturelle Aneignung? „Ich bin mit Karl May als Märchen aufgewachsen, mit Geschichten über Helden und Abenteuer, Freundschaft und den Wunsch nach Frieden“, sagt sie und lässt dabei anklingen, was offenbar die meisten Mitwirkenden denken. „Ich finde es aber wichtig, dass man in dieser Zeit darüber spricht, sich informiert und sich für die indigene Kultur und Geschichte interessiert“ Sie empfiehlt allen Schauspielern eine gewisse Sensibilität an den Tag zu legen.
Winnetou-Darsteller Alexander Klaws nimmt für den aktuellen Podcast „Winnetou ist kein Apache“ des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) Stellung zu diesem Thema: „Die Karl-May-Spiele aufgrund dieser Thematik abzusagen, bringt ja keine Lösung mit sich.“ Die Diskussion wird seiner Ansicht dadurch in „einer falschen Art und Weise“ noch mehr angefacht.
Alexander Klaws und Thomas Gottschalk hatten die Debatte angefacht
Alexander Klaws hatte im November 2020 indirekt dafür gesorgt, dass sich plötzlich eine breite Öffentlichkeit für das Thema kulturelle Aneignung, Redfacing und Rassismus bei den Karl-May-Spielen interessierte. Er hatte nach einem gemeinsamen TV-Dreh auf Instagram ein Foto von sich als Winnetou und Thomas Gottschalk als Old Shatterhand veröffentlicht – und erntete dafür einen enormen Shitstorm. Viele kritisierten, dass die Produktion ausgerechnet Alexander Klaws als Titelfigur gewählt hatte und mit Make-up nachhalf, um die Hautfarbe von Winnetou zu kreieren.
Autor Nicolas Finke, der zahlreiche Artikel und Bücher über die Karl-May-Spiele und „Karl May auf der Bühne“ geschrieben hat, hält es für wichtig, mit Indigenen zu sprechen und Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Aber: „Auch die Tradition der Karl-May-Spiele sollte nicht außer acht gelassen werden.“
- Karl-May-Spiele: Rassismusvorwürfe gegen Alexander Klaws
- Karl May wird man wohl niemals richtig kennen
- 14 Darsteller spielten Winnetou – einer brachte den Erfolg
„Imitation von Handlungen mit zeremonieller Bedeutung ist ein No-Go“
Carmen Kwasny, die Vorsitzende der NAAoG, die selber mit den Winnetou-Geschichten aufgewachsen ist, ist sich bewusst, dass man die Karl-May-Spiele nicht einfach absagen kann. Sie hofft erst einmal auf einen Kompromiss: „Wichtig wäre es zum Beispiel, dass ein Erzähler die Veranstaltung einleitet und klarmacht, dass Karl Mays Geschichten erfunden sind.
Am allerwichtigsten ist es auch, auf die Bezeichnungen der Stammesnationen zu verzichten. Wenn man diese benutzt, dann sollte man sie doch bitte richtig darstellen und verdeutlichen, da sie nach wie vor existieren. Das Imitieren von Handlungen mit zeremonieller Bedeutung ist ein absolutes No-Go.“
Winnetou wäre in den USA und Kanada so nicht mehr möglich
Dies sei ein Vorschlag, der vorerst in die richtige Richtung gehen könnte. In den USA und Kanada finden bereits große Veränderungen statt. Dort sind Darstellungen, die in Deutschland noch gang und gäbe sind, inzwischen inakzeptabel. Ihr Vorschlag: „Es wäre wichtig, sich von indigenen Nationen beraten zu lassen, und Native Americans ihre eigenen Geschichten erzählen zu lassen.“