Wie die neue US-Innenministerin Deb Haaland nach den Grabfunden von Kanada Verbrechen gegen die Ureinwohner Amerikas aufarbeiten will.
Kennen Sie Deb Haaland? Wenn nicht, empfehle ich die neue Innenministerin der USA näher in Augenschein zu nehmen.
Die 60 Jahre alte Demokratin aus dem Bundesstaat New Mexico hat Geschichte geschrieben, als Präsident Joe Biden sie für den Topjob im „Department of the Interior“ nominierte. Sie gehört zum Volk der Laguna Pueblo und ist damit die erste Spitzenpolitikerin an der Spitze eines Ministeriums, die ihre Herkunft auf indianische Ureinwohner zurückführen kann.
Haaland will Aufklärungsarbeit in USA anstoßen
In ihrem Portfolio sind nahezu sämtliche Themen, die die Nachfahren der „Native Americans“ betreffen. In ihrer Verantwortung liegt etwa die Frage, was auf circa 2,5 Millionen Quadratkilometer Boden passieren darf (Rohstoff-Gewinnung oder nicht?), auf denen die meisten Reservate liegen mit all den dort verbundenen Problemen von sozialer Perspektivlosigkeit über Alkohol- und Drogensucht bis hin zu Gewalt.
Seit Kurzem steht Haaland aber vor einer noch viele schwierigeren Aufgabe, die zudem weit ins Persönliche geht. Sie will und muss eine Aufklärungsarbeit anstoßen, die in den USA bisher allenfalls oberflächlich geblieben ist.
Viele Schulen Orte der systemischen Diskriminierung
Anders als in Kanada, wo nahezu täglich Horrornachrichten über das Schicksal von indigenen Kindern auftauchen, denen in vorzugsweise katholischen Internaten mit tödlichen Methoden das Indianischsein ausgetrieben wurde.
Die Kernfrage lautet: Gibt es auch an den Standorten der mehr als 100 amerikanischen Boarding-Schools, in die Kinder von „native americans“ bis in die 1960er-Jahre gegen ihren Willen verfrachtet wurden, Grabfelder mit den Überresten von namenlos beerdigten Jungen und Mädchen? Viel dieser Schulen wurden wie Militärcamps geführt, mit drakonischen Strafen und systemischer Diskriminierung.
Anonyme Gräber gefunden
Im nördlichen Nachbarland sind mittlerweile an drei Orten in kurzer Zeit mittels Radargeräten fast 1200 anonyme Gräber gefunden worden. Seit dem 19. Jahrhundert bis in die 90er-Jahre wurden in Kanada 150.000 Kinder zur Umerziehung in staatlich geförderte, aber von kirchlichen Trägern geführte Schulen gesteckt, um aus ihnen christliche Menschen zu formen.
Nach Schätzungen von Experten starben dabei mehr als 10.000 Kinder – an Unterernährung, Misshandlung oder Tuberkulose. In vielen Fällen wurden die Eltern nie über den Tod ihrer Kinder informiert, berichten kanadische Medien. Kanadas Premierminister Justin Trudeau macht sich die Expertise von Wissenschaftlern zu eigen, die von „institutionalisierter Vernachlässigung und kulturellem Völkermord“ sprechen.
Haaland kündigt Aufklärung an
Anders als in Kanada gab es in den USA, die auf den Ursünden der Sklaverei und der rücksichtslosen Vertreibung der Ureinwohner gründen, bisher keine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“. Welche Auswirkungen der 1819 verabschiedete „Indian Civilization Act“ hatte, der über 150 Jahre Zigtausende Indianer-Kinder zur Assimilierung in von christlichen Gemeinschaften geführte Schulen zwang, ist nur bruchstückhaft bekannt.
Ministerin Haaland hat auf einer Konferenz des „National Congress of American Indians“, angekündigt, dass die Biden-Regierung „Licht auf die unausgesprochenen Traumata der Vergangenheit lenken wird, ganz gleich, wie schwierig das wird“. Die passionierte Marathonläuferin weiß, wovon sie spricht. Bei ihren Besuchen als Kind in Laguna Pueblo westlich von Albuquerque an der Touristen-Route 66 erfuhr Haaland, dass ihre Großeltern mütterlicherseits im Alter von acht Jahren aus ihren Familien gerissen wurden.
Amerika muss sich der „schmerzvollen Wahrheit“ stellen
Auch ihr Urgroßvater wurde Opfer der von Weißen konzipierten Politik, die oft darauf hinauslief, dass Indianer-Kindern der Mund mit Seife oder Bleiche ausgespült wurde, wenn sie es wagten weiter in ihren Stammesdialekten zu kommunizieren. Ihr Uropa wurde in die Carlisle Indian School im Bundesstaat Pennsylvania geschickt. Dessen Gründer, Richard Henry Pratt, verfuhr nach der brachialen Devise: „Töte den Indianer und rette den Menschen.“
Innenministerin Deb Haaland ist nun Chefin der Institution, die Schulen wie Carlisle Geld und Befugnisse zuwies, um die Zwangsanpassung durchzusetzen. Sie kann den Versuch, „unsere Identität, unsere Sprache und unsere Kultur auszulöschen“, nicht rückgängig machen, sagt Haaland. Aber sie kann einen Prozess einleiten, der Amerika zwingt, sich der „schmerzvollen Wahrheit“ zu stellen.