Holmoor/Neumünster. Morgens erinnert die Autobahnraststätte an einen Campingplatz. Doch dann füllt es sich – mit interessanten Persönlichkeiten.
Sie bringt uns in die Ferien und zurück, verbindet uns mit Nord- und Südeuropa, ist niemals leer und steht niemals still: Die Autobahn 7, jene legendäre, doch selten besungene Hauptverkehrsschlagader, die sich quer durch Deutschland und auch durch den Kreis Segeberg zieht. Wer sind die vielen Menschen, die hier unterwegs sind, Rast machen, Schnitzel braten, Toiletten sauber machen oder für Recht und Ordnung sorgen? Wir wollten es wissen, haben einen Tag auf der A7 zwischen Quickborn und Neumünster verbracht – und viele Bekanntschaften gemacht.
A7-Raststätte: Herrenlose Helikopter und DJ-Ötzi-Double – ein Tag an der Autobahn
Morgens um halb acht erinnert er an einen erwachenden Campingplatz – der Parkplatz an der Autobahnraststätte Holmoor-Ost. Nur dass das, was da im Hintergrund rauscht, nicht die Nord- oder Ostsee, sondern eben die A7 ist. Vor einem der vielen geparkten Campingmobile stehen Natalie Hufmüller und Steven Fehling mit ihrem Sohn Dean, elf Monate alt.
Gestern am späten Abend hat die junge Familie aus Halberstadt hier geparkt, „da sind wir nur noch ins Bett gefallen“, sagt Steven Fehling, der als Diät-Assistent in einer Klinik arbeitet. Nun wurde im Wohnmobil gefrühstückt, dann geht es weiter nach Dänemark. „Da nehmen wir die Fähre Richtung Norwegen, da wollen wir zwei Wochen lang unterwegs sein“, sagt Natalie Hufmüller, beruflich als Sozialpädagogin tätig. Zum Glück sei der kleine Dean „ein verträgliches Kerlchen", das Autofahren bereite ihm keine Probleme, zumindest noch nicht.
Richtung Dänemark wollen auch Valentina und Sigurd Madsen. Dänemark ist nämlich ihr Heimatland, das ältere Ehepaar lebt in Holbaek. Jetzt im Moment frühstücken die beiden, mit Camping-Geschirr auf dem Kantstein sitzend, neben dem Auto. Die beiden waren in der Schweiz unterwegs, außerdem in Deutschland, „Trier ist wirklich sehr beeindruckend, besonders das römische Amphitheater“, sagt Sigurd Madsen.
Neben den beiden ist gerade Martin Falkenhayn damit beschäftigt, seine vier spanischen Windhunde zum Einsteigen in den hinteren Teil seines Wagens zu bewegen. Der Hundezüchter kommt „aus Willingen, im Westerwald“. Und auch er möchte in den Norden, nämlich „nach Oslo, zu einem Züchtertreffen“. Er scheint es eilig zu haben, Hunde drin, Heckklappe zu, weg ist er.
Raststättenmitarbeiter: „Alles Fehlverhalten wirst du an der Autobahn treffen“
Thomas Blohm hingegen hat die Ruhe weg. Und das, obwohl er schon seit 4.30 Uhr im Dienst ist, hier im Inneren der Raststätte. Er hat alles vorbereitet für den Ansturm der Leute, jetzt steht er mit Käppi und Schürze an dem Stand, wo es Brötchen, Obst, Kaffee und andere Dinge für hungrige Reisende gibt. Die Raststätte füllt sich langsam, aber Blohm kann das nicht schocken.
Der 35-Jährige, der seit 17 Jahren hier arbeitet, hat schon viel gesehen, „alles Fehlverhalten, was du dir wünschst, wirst du an der Autobahn treffen“, sagt er grinsend. Ein Beispiel? „Leute machen sich hier einfach, so im Stehen, ein Brötchen mit Käse und Wurst und fangen gleich an zu essen, denken aber nicht ans Bezahlen. Und andere finden die Toilette nicht und verrichten ihr Geschäft gleich vor der Tür.“
A7: Thomas Blohm möchte eines Tages ein Buch schreiben
Eines Tages möchte der Hamburger ein Buch über all das schreiben, „Holmoor-Ost und ich“ würde es heißen, aber es könne auch eine Comedy-Sendung im Fernsehen daraus werden. Gibt es auch Dinge, die er an seinem Job mag? Klar! All das. Das Menschliche“, versichert Blohm und grinst wieder.
Und jetzt ruft wieder die Arbeit. Eine Gruppe Jugendlicher kommt herein, alles Jungs, alle im gleichen, roten Sport-Dress. Eine Fußballmannschaft aus Hannover, auf dem Weg ins Trainingslager nach Dänemark, wie wir erfahren. Einige gruppieren sich um die Truhe mit dem Speiseeis, ein anderer Fußballer will, unter dem Gelächter seiner Kumpels, „mal gucken, was die Kondome kosten“. Ob er sich auf die Reise freue? „Na, mal sehen, wie anstrengend das wird“, sagt der 17-jährige Jannis.
Keine Angst vor Punks auf Sylt: Die Familie aus Osnabrück will auf die Insel
Draußen scheint die Sonne mittlerweile hell am Himmel. Eine Familie frühstückt an einem der Holztische: Oma, Opa, Eltern, Enkel. „Wir wollen zusammen nach Sylt, für eine Woche!“, sagt Anke Meyer zu Allendorf, die neben ihrer dreijährigen Enkelin Ella sitzt. Dass auf Sylt jetzt Punks sein sollen, hat die Familie, die bei Osnabrück wohnt, auch schon gehört. Die Urlaubsstimmung trübt das nicht, denn „die tun ja nix“, ist sich die fröhliche Großmutter sicher.
Gut, sogar bestens, ist die Laune auch bei Jana Vinzenz, 20, und Lasse Weykopf, 22. Das junge Paar aus Hannover parkt ein Stück weiter, trinkt Kaffee, auf der Motorhaube des Audis sitzend. Die beiden – Er: Kfz-Mechatroniker, Sie: „studiensuchend“ – wollen nach Norwegen. Die beiden machen einen Road-Trip, geschlafen wird auf dem Audi, im Dachzelt. „Ein genaues Ziel haben wir nicht. Das ergibt sich“, sagt Jana.
Raststätte A7: Womit sich der Lkw-Fahrer am Steuer wach hält
Frank Meier hingegen weiß genau, wohin er will. Nach Kolding nämlich, mit seinem Lastwagen, den er heute morgen um 5 Uhr in Aschaffenburg bestiegen hat. Was er nach Dänemark bringt? „Klopapier. Da scheißen die Leute ja auch.“ Aber jetzt macht der 60-Jährige erst mal die vorgeschriebenen 45 Minuten Pause. Den Job macht er schon seit 35 Jahren. Was er daran mag und was nicht? „Schön ist, wenn die Autobahn frei ist. Schlecht ist, wenn sie voll ist.“
Beim Fahren hält er sich mit Kaffee wach, und Musik, außerdem redet er mit Kollegen, per Funk. Aufregen kann er sich über Pkw-Fahrer, die fahren „wie die Bekloppten“ und ohne zu blinken die Spur wechseln. „Wie soll ich denn 40 Tonnen Stahl so schnell zum Stehen kriegen?“
Also bitte, etwas mehr Rücksicht. Vielleicht hat es die junge Familie aus Bad Salzuflen ja gehört, die gerade, im Schatten von Meiers Lkw, eine Pause macht. Die vier wollen nach Damp an der Ostsee. Tochter Leni, 5, freut sich schon auf den Strand.
A7: Bei der Autobahnpolizei in Neumünster begann die Frühschicht um 6.30
60 Kilometer weiter nördlich und etwas später sitzt Yannick Porepp, eine Tasse Kaffee in der Hand, hinter einem Pult mit vielen Knöpfen und Bildschirmen. Wir befinden uns in der Wache der Autobahnpolizei Neumünster, das bis zur Hamburger Grenze zuständig ist. Porepp ist stellvertretender Dienstgruppenleiter. Und er hat Frühschicht, seit 6.30 Uhr. Die hat bisher unter anderem eine „Streitigkeit zwischen einem Lkw-Fahrer und dem Personal einer Autobahnraststätte“ gebracht, aber das war nicht in Holmoor-Ost. Es ging um Geld, ein Missverständnis, die angerückten Beamten konnten die Sache schnell regeln.
Warum hatte der Schwertransport einen Hubschrauber geladen – und keinen Swimmingpool?
Ziemlich rätselhaft hingegen bleibt die Sache mit dem Schwertransport, den die Kollegen letzte Nacht stillgelegt haben, auf dem Parkplatz Bimöhlen. „Das war ein Lkw aus Polen. Laut Frachtpapieren sollte er einen Swimmingpool geladen haben. Aber er hatte einen Helikopter geladen, ohne Flügel.“ Da das so nicht geht, haben die Kollegen den Lkw mit einer „Parkkralle“ stillgelegt. Jetzt steht er da an der A 7, der Lkw mit dem Hubschrauber – der Fahrer hingegen sei weg, erzählt Polizeiobermeister Sven Simmonds.
Plötzlich ein Anruf, aus der Leitstelle in Kiel: Ein Kleintransporter aus Rumänien sei auf der Autobahn unterwegs, aber mit defekter Anhängerkupplung. Sven Simmonds und sein Kollege Aiko Fitschulke müssen los, schnell. Der Reporter darf mit, auf dem Rücksitz des Polizeiwagens, der bald mit Blaulicht und Tempo 200 über die Autobahn jagt. An einer Anschlussstelle, an der der Kleinlaster vorbeikommen muss, wird angehalten.
Wie der Autobahnpolizist das Double von DJ Ötzi traf
Die Beamten legen sich die Lauer und haben Zeit, ein bisschen was über ihren Job zu erzählen. Streits an Autobahnraststätten gehören zu ihrem Alltag, unter Lkw-Fahrern etwa, erzählt Sven Simmonds. Außerdem werden sie bei Unfällen gerufen, und vor etwa einem haben Jahr hatten sie sogar mit einem Mord zu tun, als ein Mann während der Fahrt seine Frau erstach.
„Die Autobahn, das ist ein Querschnitt durch die Gesellschaft“, sagt Sven Simmonds. Und so begegne man, bei den üblichen Verkehrskontrollen, auch mal prominenten und halbwegs prominenten Personen: „Einer Kollegin ist bei der Gelegenheit mal die Band Tokio Hotel begegnet. Und ich habe bei einer Kontrolle das Double von DJ Ötzi kennengelernt. Der war total stolz auf seinen Job.“
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Simmonds, 32 Jahre alt und in seinem früheren Berufslehrer Klempner, mag seinen Job ebenfalls. Er hilft gerne Menschen, außerdem sei die Arbeit abwechslungsreich und spannend. Wieder ein Funkspruch: Den rumänischen Kleintransporter haben Kollegen einer anderen Wache ausfindig gemacht, dafür befinde sich „ein Objekt“ ein Stück weiter auf der Fahrbahn. Also wieder los: Blaulicht, linker Streifen, Tempo 200. Wir jagen an dem Parkplatz mit dem herrenlosen Helikopter aus Polen vorbei. Und etwa 20 Minuten später ist das „Objekt“ gefunden, es handelt sich um einen Reifen. Simmonds und Fitschulke stoppen den Verkehr und holen ihn von der Fahrbahn.
Verkehrskontrolle: Hat der junge Golffahrer Drogen genommen?
Dann geht es weiter mit Stichprobenkontrollen. Ein Lkw-Fahrer aus Bulgarien muss an einer Autobahnraststätte seine Papiere zeigen. Der braungebrannte Mann um die 50 versteht zwar weder Deutsch noch Englisch aber versteht, was man von ihm will, und händigt bereitwillig alle Papiere aus, mit denen auch alles in Ordnung ist.
Wenig später gerät ein junger Mann aus Sachsen, der in einem Golf unterwegs ist und zu einem „Kumpel nach Kiel“ möchte, in die erste Verkehrskontrolle seines Lebens. Weil er so nervös ist, testen die beiden Beamten – die sehr freundlich mit ihm umgehen – auf Drogen. Aber der Urintest, durchgeführt am Rande eines Feldes, ergibt: Auch hier alles in Ordnung.
Autobahnraststätte Holmoor-West: Warum es hier heute leider kein Mittagessen gibt
Um 14 Uhr, die Beamten haben den Reporter wieder abgesetzt, ist es etwas zu spät zum Mittagessen. Aber Mittagessen gibt es auch gar nicht, in der Raststätte Holmoor-West. „Wegen Personalmangel geschlossen“, steht an der Tür. Viele Reisende behelfen sich anders, sitzen unter Bäumen, picknicken. So auch Naja Thanning und Emil Christensen, ein junges Paar aus Dänemark. Die beiden wollen nach Hamburg, dort übernachten, und dann weiter in den Harz, nach Wernigerode, „Wandern, Mountainbiken.“
Ein Stück weiter rumpelt es laut – sehr laut. Ein Greifarm hebt einen Müllcontainer hoch, entleert den Inhalt in einen Lkw der Firma Veolia. Am Steuer sitzt Christian Stein, der auch den Greifarm steuert. Er ist seit heute morgen „zwischen Pinneberg und Bordesholm“ unterwegs gewesen, jetzt hat er gleich Feierabend, später will er zu Hause „den Grill anmachen und dazu ein schönes Bier“ trinken.
Davon ist Leon Himi, zuständig für die Reinigung der Toiletten, noch weit entfernt. Sein Arbeitstag begann um 12, er hat noch einige Stunden vor sich. Er war früher Gabelstaplerfahrer, bekam dann Probleme mit dem Rücken, konnte nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Das hier macht er erst seit Anfang August – und „nur für den Übergang“, höchstens zwei, drei Monate möchte er hier tätig sein.
A7, Holmoor-West: „Deutschland ist sicher“, sagt der junge Polizist aus Frankreich
Wir lernen im Laufe des Nachmittags noch einige Leute in Holmoor-West kennen. Und viele von ihnen sind sehr nett. Etwa Remy Dinet, 20 Jahre alt und Polizist aus Montpellier, der allein mit seinem Wagen in Skandinavien Urlaub gemacht hat und auch heute in seinem Wagen schläft. „Deutschland ist sicher“, sagt er.
Oder Jamie Peters, 46 Jahre alt, Fotograf und Filmemacher aus dem niederländischen Haarlem. Mit seinem Motorrad war er zwölf Tage lang in Skandinavien unterwegs. Er liebt es, mit seiner Maschine unterwegs zu sein, „mentale Erholung“ sei das für ihn. Nun fährt er zurück zu seiner Freundin, die sich vor dem Reisen auf dem Motorrad fürchtet und deshalb zu Hause blieb.
A7: Was ein Lkw-Fahrer aus Holland über das Eheleben erzählt
Auf dem Weg zurück zu seiner Partnerin ist auch Peters’ Landsmann Bert van Dijk. Der Lkw-Fahrer, der Papier von Dänemark nach Holland transportiert, sagt: „Ehen bei Truckern, das ist eine schwierige Sache. Ich kenne viele Kollegen, die zum zweiten oder dritten Mal geschieden sind.“ Bei ihm allerdings ist es anders, sein Zuhause stehe hinter seiner Arbeit. „Letzte Woche habe ich 36. Hochzeitstag gefeiert“, erzählt van Dijk, der auch schon Enkelkinder hat. Apropos lange Zeiträume: Bert van Dijk versteht nicht so richtig, warum die Deutschen so lange brauchen, um Brücken zu bauen, zum Beispiel in Rendsburg. Aber das ist noch mal eine andere Geschichte.
Auf der anderen Seite der A7 begegnen wir einige Stunden später einer dänischen Reisegruppe, die gerade neben dem Bus eine Pause macht, bei Kaffee mit Sprühsahne, der bei Bedarf auch mit „Johnnie Walker“ verlängert werden kann. Die Gruppe, es sind etwa 30 Personen im Rentenalter, kann auch bald Jubiläum feiern, man ist seit fast 30 Jahren in der Konstellation unterwegs. „
Holmoor-Ost: Eine junge Frau aus Belgien auf dem Weg zum Studium in Oslo
Wir waren zusammen in Slowenien, Kroatien, Ungarn“, sagt Reisegruppenmitglied Nils Christensen. Diesmal ging die Reise nach Deutschland, an die Mosel, nach Traben-Trabach. Der Riesling von dort sei „der beste Wein der Welt“, findet Christensen, der den Reporter zum Kaffee einlädt. Er nimmt ihn lieber ohne Schuss Whisky, denn er muss ja noch fahren.
Eine junge Frau namens Julie steht auf dem Parkplatz, wo jetzt, abends um sieben, kein Wohnmobil mehr parkt. Sie ist aus Belgien und mit Eltern und Bruder unterwegs, will es heute noch bis Kiel schaffen, dann geht es weiter nach Oslo, wo ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Sie möchte in der norwegischen Hauptstadt studieren, „Public Health“. Die Eltern bringen sie hin, das Auto ist randvoll bepackt. Julie freut sich sehr auf ihr Studium und die „superinteressante Stadt“, während die Eltern etwas wehmütig lächeln, weil die Tochter ja nun eine Weile weg sein wird.
A7: Warum sich Mohammed Younas so sehr auf sein Zuhause freut
Drinnen, im Inneren der Raststätte, wird Mohammed Younas etwa in einer halben Stunde das letzte Schnitzel servieren, dann macht die Küche zu. Und dann, um 20 Uhr, kann Younas seine Schicht beenden und nach Hause nach Quickborn. Er freut sich schon auf den Feierabend: „Ich habe drei Kinder!“, sagt er und lächelt.