Am Sonntag tritt Bob Dylan im Hamburger Stadtpark auf. Vor 30 Jahren spielte er zwei Abende im Segeberger Freilichttheater. Henstedt-Ulzburgs Bürgervorsteher Carsten Schäfer war dabei.

Dienstag, 14. Juli 1981. Dicht gedrängt sitzen und stehen etwa 10 000 Besucher im Segeberger Freilichttheater am Kalkberg, um einen außergewöhnlichen Musiker zu erleben. Kurz nach 20 Uhr kommt er auf die Bühne - ein unauffälliger, schmächtiger Mann inmitten einer Schar von Musikern und Sängerinnen: Bob Dylan. Es ist das erste Deutschland-Konzert seiner Sommer-Tour 1981. Zwei Tage zuvor stand er in Kopenhagen auf der Bühne, einen Tag zuvor gab er eine seiner raren Pressekonferenzen im Kurhaus Hotel in Travemünde, wo er drei Nächte verbringt, bevor es weitergeht zum nächsten Konzert am Loreley-Felsen.

Der Konzertauftakt enttäuscht die meisten Besucher: Keines seiner bekannten Lieder, sondern "Saved" stimmen Bob Dylan und Band an. "Saved" ist ein neues Lied und Ausdruck der aktuellen "Dylan-Periode": Der Meister hat gerade seine christliche Phase eingeläutet. Eigentlich nicht schlimm, aber das will hier niemand hören. Erst der dritte Song ist nach dem Geschmack der Besucher in Bad Segeberg: "Like a Rolling Stone". Allerdings erkennen längst nicht alle dieses Lied.

Die Fans haben viele Dylan-Songs nicht wiedererkannt

Zu den Ratlosen auf der Tribüne im Hintergrund gehört Carsten Schäfer aus Henstedt-Ulzburg. Zusammen mit einer Freundin sitzt der 21-jährige Zivildienstleistende auf der Holzbank und versucht zu ergründen, was Meister Dylan da nun gerade angestimmt hat. Dass es dieses Lied ist, das Experten später zum "Jahrhundert-Song" küren, erschließt sich weder dem jungen Schäfer, noch vielen anderen Zuhörern. "Ich war enttäuscht, weil ich viele Lieder nicht wiedererkannt habe", sagt Carsten Schäfer heute, mit dem Abstand von 30 Jahren zu diesem Konzertereignis.

Der Journalist Günter Amendt, der im März bei einem Autounfall in Eppendorf ums Leben gekommen ist, hat aber offenbar den Durchblick behalten. In der Zeitschrift "Konkret" schreibt er über das Segeberger Konzert: "Nicht glatt gestriegelt, sondern neu gegen den Strich gebürstet, die Rhythmen verändert, Melodieteile verrückt... In der Neo-Neu-Neuauflage erweisen die alten Lieder sich wieder mal als unverwüstlich hits- und frostbeständig."

Heute weiß Carsten Schäfer, Inhaber einer Versicherungsagentur und Bürgervorsteher von Henstedt-Ulzburg, dass es wohl die "gegen den Strich gebürsteten Rhythmen" waren, die das "Aha-Erlebnis" verhinderten. "Knockin' on Heavens Door" als Reggae - das muss erst mal verdaut werden. Mehr als gewöhnungsbedürftig. "Jetzt weiß ich , dass Bob Dylan heute noch so spielt und seine Lieder verfremdet, damals war es anders als erhofft und erwartet." Die Stimmung, erinnert er sich, war nicht überschäumend. Es sei kein Funke übergesprungen, der Applaus sei allenfalls höflich gewesen. Zum Kauf einer Dylan-LP hat ihn das Konzert damals jedenfalls nicht angeregt. Auf ein Besuch des Konzerts im Hamburger Stadtpark verzichtet Carsten Schäfer. Ohnehin ist das Konzert schon seit Monaten ausverkauft.

"Den Kalkberg im Rücken, 10 000 erlebnishungrige Bewunderer vor sich - eine stimulierendere Kulisse konnte sich Bob Dylan, 40-jähriger US-Superstar zwischen Folk-Vergangenheit und rockiger Zukunft nicht wünschen." So beschreibt das Hamburger Abendblatt am 16. Juli 1981 das Konzert von Bob Dylan im Segeberger Freilichttheater am Kalkberg. Autor Thomas Lubowski scheint die Songs auch nicht erkannt zu haben: Seine Konzertkritik beschränkt sich auf eine Beschreibung der Szenerie. "Im innersten Umkreis der Bühne wirkte die Lautstärke wohl zu direkt auf die Füße der Fans ein. Ihr wilder Tanz wollte nicht so recht zur gelassen-heiteren bis nachdenklichen Abendstimmung passen." An eine gelassen-heitere Stimmung kann sich Carsten Schäfer indessen nicht erinnern. Der Abendblatt-Kritiker empfiehlt mehr "brechtsche Distanz" zu den Dylan-Songs. Diese Distanz ist dem jetzigen Bürgervorsteher auch etwas abgegangen.

Die beiden Segeberger Dylan-Konzerte sind nicht spurlos auf dem Friedhof der Erinnerungen gelandet. Wer will, kann sich sogar ein CD-Album bestellen - illegal aufgenommen, aber öffentlich im Internet angeboten: "Hanging In The Balance", heißt die CD. "Recorded live at Freilichttheatre Bad Segeberg, West Germany, 14th July 1981". Der Eröffnungssong "Saved" fehlt.

Nach dem elften Lied spricht Dylan erstmals ins Mikrofon

An seinem zweiten Konzertabend in Bad Segeberg variiert Bob Dylan das Programm. Der Auftaktsong ist mehr nach dem Geschmack des Publikums: "The Times They Are A-Changing" ist eines seiner bekanntesten Lieder. Nach dem elften Lied spricht er erstmals ins Mikrofon: "Thank you!", sagt er und kündigt den nächsten Song an: "Dead Man, Dead Man" von seinem neuen Album. Am Abend zuvor ist er gesprächiger. Da sagt er "Thank you" schon nach dem dritten Song und kündigte das Lied "Till I Get Right", gesungen von seiner Background-Sängerin Regina Havis aus Nashville an. Vor dem Ende des Konzerts weist er auf das Segeberger Konzert am nächsten Tag hin. Er versteigt sich sogar zu der Feststellung, dass er irgendwann gerne mal für ein paar Monate nach Segeberg kommen würde. "It's so nice." Und: "All right, we're going now." Den Segebergern läuft ein Schauer über den Rücken, für Dylan-Fans ist es eine Sensation: So gesprächig gibt sich der Meister auf der Bühne höchst selten. Eine Sternstunde also.

Das alles ist haargenau dokumentiert: Denn kein Schritt und kein Satz des Song-Poeten bleiben unerwähnt - selbst dann nicht, wenn er sich in die norddeutsche Provinz verirrt. Für eingefleischte Fans ist alles von überragender Tragweite. Für Carsten Schäfer ist der Ausflug am 14. Juli 1981 hingegen nicht mehr als eine klitzekleine Randnotiz seines bisherigen Lebens. Und übrigens: Die junge Dame, mit der er im Konzert war, ist nicht seine Ehefrau geworden...