Norderstedt. Der Betriebsrat kritisiert den fehlenden Sozialplan und Alibimaßnahmen. Geschäftsleitung spricht von einem erfolgreichen Modell.

Die Mitarbeiter sitzen da, haben nichts zu tun und starren acht Stunden aus dem Fenster. Mit sinnvoller Beschäftigung hat das ebenso wenig zu tun wie die vermeintlichen Qualifizierungsmaßnahmen. So beschreibt der Betriebsrat von Lufthansa Job Services (LJS) in Norderstedt die aktuelle Lage. LJS heißt das Unternehmen, das einen lange erfolgreichen Geschäftszweig abwickelt. Zu Hochzeiten haben gut 600 Mitarbeiter von Lufthansa Revenue Services (LRS) Flugtickets aus der ganzen Welt im markanten Glasgebäude am Schützenwall abgerechnet.

Doch die Fluglinie geriet unter Wettbewerbsdruck, musste Kosten senken und Mitarbeiter entlassen. Die Arbeit sei zu teuer; die Geschäftsführung lässt die rund 54 Millionen Flugtickets pro Jahr nun in Indien und Polen abrechnen.

Ende 2019 werden die Lichter in den Büros endgültig ausgehen. Das gilt auch für die 80 Kollegen von Lufthansa Cargo, die die Luftfracht abrechnen. „Für die Mitarbeiter wird der Rückzug sozialverträglich geregelt, viele gehen in Rente, und wir werden Altersteilzeit-Modelle anbieten“, hatte Unternehmenssprecher Michael Göntgens angekündigt.

Altersdurchschnitt liegt bei 51 Jahren

Die LRS wurde aufgespalten in die Lufthansa Job Services (LJS) Norderstedt GmbH und die Lufthansa Global Business Services GmbH mit Sitz am Flughafen Hamburg. Dorthin wechselten 120 der 340 LRS-Mitarbeiter, sie steuern und kontrollieren die Dienstleister in Indien und Polen.

Da setzt die Kritik des Betriebsrates an: „Die Entscheidung, wer nach Hamburg wechseln durfte, ist aus unserer Sicht willkürlich gefallen. Eine Sozialauswahl hat nicht stattgefunden“, sagt Betriebsrätin Claudia Clementsen-Reischmann. Soziale Kriterien wie Schwerbehinderung oder alleinerziehend, Alter und Betriebszugehörigkeit hätten keine Rolle gespielt. Die meisten Kollegen seien mehr als 30 Jahre dabei, hätten alte Arbeitsverträge und seien unkündbar. Der Altersdurchschnitt liege bei 51 Jahren.

„Und da finden sie mal einen vergleichbaren Job auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Clementsen-Reischmann. Inzwischen hat der Betriebsrat in erster Instanz erstritten, dass der Arbeitgeber zumindest Verhandlungen zum Ausgleich der sozialen Nachteile für die Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat aufnehmen müsse. Die Geschäftsleitung wolle vor dem Landesarbeitsgericht in Kiel diesen gerichtlichen Beschluss nun wieder kassieren.

63 Mitarbeiter fanden im Konzern neue Aufgaben

43 Mitarbeiter gehen demnächst in die Freizeitphase ihrer Altersteilzeit (siehe nebenstehenden Bericht). 63 fanden innerhalb des Konzerns neue Aufgaben, 53 schlossen Aufhebungsverträge und ließen sich neue berufliche Existenzen von der Lufthansa finanzieren. Nun sollen auch die verbliebenen 60 Beschäftigten einen Job finden. Das ist das Ziel der Geschäftsleitung, die von einem außergewöhnlichen Modell spricht. Der Konzern stelle im Vergleich zu anderen Unternehmen ungewöhnlich viel Geld und Zeit zur Verfügung, um den Betroffenen maßgeschneiderte Lösungen und eine berufliche Perspektive außerhalb des Unternehmens bieten zu können. Bis 2019 sind betriebsbedingte Kündigungen durch einen vereinbarten Interessenausgleich ausgeschlossen.

Zu den Maßnahmen zählen auch Qualifizierungsseminare wie die Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement und der Kursus „Fit fürs Büro“. 36 Beschäftigte nehmen an den Fortbildungen teil, die auf Kritik des Betriebsrates stoßen: „Die Kolleginnen haben in 30 Jahren bewiesen, dass sie nicht nur fit sind, sondern hoch qualifiziert“, sagt Betriebsratsvorsitzender Andreas Liedtke. Er hält die Kurse für Alibimaßnahmen. Stattdessen solle der Konzern eine vernünftige Personalpolitik machen und die Mitarbeiter so schulen, dass sie angemessene Arbeitsplätze in anderen Konzernbereichen finden.

Das Nichtstun macht auf Dauer krank

In den Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen habe sich der Arbeitgeber verpflichtet, den Betroffenen eine gleichwertige Arbeit anzubieten. Liedtke nennt das Negativbeispiel eines Kollegen, dem Lufthansa eine Stelle in München angeboten habe, für 30 Prozent weniger Lohn, im Schichtdienst und mit neuem Arbeitsvertrag, bei dem die Betriebszugehörigkeit verloren gegangen wäre.

„Statt hier rumzusitzen und die Zeit totzuschlagen, würden wir lieber arbeiten“, sagt Liedtke. Das Nichtstun mache auf Dauer krank, drücke auf die Psyche, das Selbstbewusstsein schwinde. Der Betriebsrat verweist auf Studien, wonach „verordnete Untätigkeit“ sogar Selbstmordgedanken hervorrufen könne. Der Arbeitgeber missachte den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Daher will der Betriebsrat den Schutz der Gesundheit gerichtlich erwirken.

Alternativ fordern die Arbeitnehmervertreter ein „50-Plus-Modell“: Beschäftigte jenseits der 50 werden mit einem Großteil ihrer Bezüge nach Hause geschickt, der Arbeitgeber zahle zudem die Rentenbeiträge weiter. Andere Unternehmen wie E.on und Shell seien diesen Weg gegangen.