Lufthansa schließt Ticketabrechung 2019 und investiert viel, um den Mitarbeitern eine Perspektive zu bieten.
Das Ziel ist ehrgeizig: Möglichst alle noch verbliebenen Mitarbeiter sollen einen Job finden und nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. 106 Frauen und Männer arbeiten noch bei einem Unternehmen, das einst zu den renommiertesten und größten Arbeitgebern in Norderstedt zählte: Lufthansa Revenue Services (LRS) – zu Hochzeiten haben gut 600 Mitarbeiter die Flugtickets aus der ganzen Welt im markanten Glasgebäude am Schützenwall abgerechnet. Doch die Fluglinie geriet unter Wettbewerbsdruck, musste Kosten senken und Mitarbeiter entlassen.
Gerade erst hat Lufthansa sein neues Preismodell vorgestellt, schon vor drei Jahren erfuhren die Beschäftigten in Norderstedt, dass der Standort geschlossen werden soll. Im Dezember 2012 protestierten 150 Mitarbeiter. Die Arbeit sei zu teuer, die Geschäftsführung lässt die rund 54 Millionen Flugtickets pro Jahr nun in Indien und Polen abrechnen.
Doch dann entwickelten die Norderstedter in langen Verhandlungen mit der Geschäftsleitung ein Maßnahmenpaket, das den drohenden Verlust von Arbeitsplatz und Perspektive mildert und bundesweit seinesgleichen sucht. „Ein solches Modell, wie es hier erfolgreich realisiert wird, habe ich woanders noch nie gesehen“, sagt Lufthansa-Sprecher Wolfgang Weber. Die LRS wurde in die Lufthansa Job Services Norderstedt GmbH und die Lufthansa Global Business Services GmbH mit Sitz am Flughafen Hamburg aufgespalten. Dorthin wechselten 120 Mitarbeiter, sie steuern und kontrollieren die Dienstleister in Indien und Polen.
177 blieben bei der neu gegründeten Lufthansa Job Services GmbH am Schützenwall. „Wir haben eine Gesellschaft gegründet, die Menschen den bestmöglichen Weg aus dem Unternehmen ermöglicht“, sagt Geschäftsführerin Saskia Heidenberger. Ziel war und ist, die ehemaligen Ticketbearbeiter so zu qualifizieren, dass sie im Konzern oder außerhalb neue Arbeit finden. Um maßgeschneiderte Lösungen bieten zu können, braucht es Zeit, auch das nötige Zeitpolster verschafften sich Saskia Heidenberger und ihr Team. Ende 2019 und damit zwei Jahre später als ursprünglich geplant, werden die Lichter endgültig ausgehen. Bis dahin sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.
Mit im Boot war immer der Betriebsrat, der das Norderstedter Modell unterstützte. „Auch aus unserer Sicht ist dieser Weg noch die beste Lösung, wenn sich die Schließung des Standortes schon nicht verhindern lässt“, sagt die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Kerstin Freitag. Lufthansa suchte sich die Wirtschaftsakademie (WAK) Schleswig-Holstein, die auch in Norderstedt vertreten ist, als Weiterbildungs-Partner.
„Zunächst haben wir viele persönliche Gespräche mit den Mitarbeitern geführt, um verborgene Talente oder Hobbys zu entdecken, die in eine neue berufliche Tätigkeit münden können“, sagt die Geschäftsführerin. Sie wurde fündig: Gut 20 Betroffene arbeiten inzwischen als Hufschmiedin, Altenpflegerin, Hundefriseurin oder Demenzbetreuerin, Lufthansa hat die Ausbildung finanziert. „Es ist allerdings nicht immer so leicht. Viele wollen die Seile zur Lufthansa einfach nicht kappen, fühlen sich emotional enorm mit dem Unternehmen verbunden“, sagt Weber. 24 ehemalige LRSler, vor allem IT-Spezialisten, blieben im Haus und wechselten zu Lufthansa Systems. Im Gebäude haben auch die Lufthansa Industry Solutions AG und Lufthansa Cargo Räume gemietet, insgesamt arbeiten noch rund 500 Männer und Frauen.
Mit der WAK haben die konzerneigenen Jobbeschaffer ein Sonderprogramm aufgelegt: 18 Frauen werden in zehn Monaten zu Kauffrauen für Büromanagement ausgebildet – ein neues Berufsbild, das es erst seit 2014 gibt. „Unsere Mitarbeiterinnen werden die ersten auf dem Arbeitsmarkt sein“, sagt Saskia Heidenberger. Ende August startet das Programm „Fit fürs Büro“. Die Geschäftsführerin geht davon aus, dass sie für den bis Anfang März 2016 terminierten Kursus gut 20 Teilnehmerinnen finden wird. Auf der Suche nach sozialen Projekten im Konzern oder extern sind Saskia Heidenberger und ihr Team auch für die 42 Männer und Frauen, die zurzeit die aktive Phase der Altersteilzeit durchlaufen.
„Nun wollen wir noch mal richtig durchstarten, um möglichst viele weitere Mitarbeiter zu qualifizieren und ihnen eine Perspektive zu geben“, sagt Saskia Heidenberger. Sie appelliert an die Norderstedter Unternehmen, den Beschäftigten eine Chance zu geben. Schließlich handele es sich um erfahrene und zusätzlich geschulte Spezialisten für komplexe Datenverarbeitung.