Norderstedt. Die CDU-Stadtvertreterin Brigitte Nolte ist Nachbarin und rege Besucherin des Flüchtlingsheims Harkshörn, in dem etwa 100 Menschen leben.

Wenn die CDU-Stadtvertreterin Brigitte Nolte morgens aus dem Fenster ihres Hauses am Feldweg in Harkshörn nach Westen blickt, über einen langgezogenen Acker hinweg, dann landet ihr Blick schließlich auf den meistens geschlossenen Rollläden jener grauen, rechteckigen Wohncontainer, in denen seit Januar etwa 100 Menschen versuchen, den Start in ein neues Leben zu bewältigen und Krieg, Verfolgung, Diskriminierung oder die hoffnungslosen Umstände in ihren Heimatländern hinter sich zu lassen.

Auf der einen Seite des Ackers der bürgerlich-deutsche Wohlstand. Auf der anderen Seite die traumatisierten Opfer der Konflikte in aller Welt.

Wie so vielen Deutschen ist auch Brigitte Nolte die deutsche Leichtigkeit des Seins fast peinlich angesichts des Leids ihrer neuen Nachbarn. „Wenn du gleichzeitig als Kommunalpolitikerin im Umweltausschuss zum Beispiel über das Für und Wider einer Baumschutzsatzung diskutierst, erscheint dir das irgendwie piefig.“

100 Menschen leben am Harkshörner Weg – darunter sind nur drei Frauen

Nolte weiß um die enormen Herausforderungen, vor denen die Stadt steht bei der Unterbringung und Inte­gration von knapp 600 Flüchtlingen allein in diesem Jahr. Die Stadtvertreterin ist voller Respekt vor der Arbeit des Willkommen-Teams, in dem sich ehrenamtlich Norderstedter Bürger engagieren, den Flüchtlingen bei den ersten Schritten in der Stadt helfen und damit wichtige Integrationsarbeit leisten. Brigitte Nolte fragt sich aber auch: Was kann ich tun? Sie entschließt sich, nicht nur über die Flüchtlinge zu reden, sondern auch mit ihnen, also an die Realität hinter den Rollläden der Container zu kommen und vielleicht eine Brücke zu schlagen zwischen ihrer Welt und der der Flüchtlinge.

Mittlerweile ist sie neben den Helfern des Willkommen-Teams eine der wenigen Norderstedterinnen, die bei den Flüchtlingen am Harkshörner Weg bekannt ist. Einfach angeklopft habe sie in der Unterkunft, in der es keine Klingeln gibt und in die nur reinkommt, wer einen Schlüssel hat. „Fast 100 Menschen leben hier, darunter nur drei Frauen und ein Kind.“ Iraker, Syrer, Albaner und Eriträer leben nebeneinander mit ihrer Kultur, mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen an Hygiene und Privatsphäre, mit all ihren Ängsten, Unsicherheiten und Traumata. „Die meisten haben Terror und Verfolgung erlebt – und Armut. Im Moment blicken sie in eine völlig ungewisse Zukunft. Viele von ihnen werden in Norderstedt bleiben.“

Flüchtlinge müssen viel Geld an die Schlepper bezahlen

Mit dem Ägypter Kiri, der seit Jahrzehnten in Hamburg lebt, hat Brigitte Nolte einen Übersetzer für die arabische Sprache an ihrer Seite. So lernt sie zum Beispiel Mohaned Dowara, 26, aus Syrien kennen. „Um friedlich zu leben und ein Dach über dem Kopf zu haben, zahlte er einem Schlepper 6000 US-Dollar.“ Die Flucht führte ihn über die Türkei und Italien bis nach Norderstedt. Ausgesucht hat er sich dieses Ziel nicht. „Seine neue Adresse am Harkshörner Weg ist das Ergebnis eines Zuteilungssystems, das Mohaned verborgen geblieben ist. Von Deutschland wusste Mohaned nicht viel. Sein Ziel war Europa “, sagt Nolte.

So war es auch bei Fakhri Abou Assaf, 44, der vor vier Monaten über den Libanon und Libyen aus Syrien floh und dafür 4500 US-Dollar bezahlen musste. Nolte: „Seine Familie war vermögend, bevor der Bürgerkrieg begann. Jetzt lebt er ebenfalls am Harkshörner Weg. Sobald sein Asylantrag bewilligt ist, will er seine Frau und seine fünf Kinder nachholen.“

Natürlich möchten Mohaned und Fakhri wieder in ihre Heimat zurückkehren. „Wann das möglich sein wird, ist nicht absehbar. Womöglich wird es eine Generation dauern, bis wir Syrien oder den Irak als sicheres Herkunftsland bezeichnen können“, sagt Nolte. „Bis dahin sind die Kinder der Flüchtlinge vielleicht erwachsen und sprechen besser deutsch als arabisch.“

80 Prozent der Flüchtlinge sind junge Männer. „Flexibel, mobil, mit guten Sprachkenntnissen und einer Berufsausbildung wären sie am Arbeitsmarkt gefragt. Bis dahin ist es indes noch ein weiter Weg“, sagt Nolte.

Die Norderstedter Bildungswerke geben Deutschkurse, und in den Inte­grationskursen wird vermittelt, was sie über Deutschland wissen müssen. „Aber die Gelegenheit, deutsch zu sprechen, gibt es nicht oft. Meistens sind sie unter sich in der Containerunterkunft und kommunizieren per Handy mit der Familie, die sie verlassen haben.“ Der Empfang in den Containern ist allerdings schlecht. Wer telefonieren will, muss rausgehen. Immerhin: Wilhelm.tel wird demnächst den Internetzugang ins Containerdorf legen.

Für Asylbewerber gibt es in Deutschland viele Hürden, eine Arbeit zu finden

An einem Donnerstagnachmittag wartet in der Küche des Flüchtlingshauses eine Gruppe von Balkanflüchtlingen auf Brigitte Nolte. Als Übersetzerin ist Florie mit dabei, eine Norderstedterin, die als 14-Jährige mit ihrer Familie vor dem Balkankrieg geflohen war. „Ich hatte meinen Start in Deutschland in den alten Asyl-Unterkünften in Harkshörn. Heute übersetzte ich für meine Landleute in der neuen Unterkunft.“ Florie lebt mit ihrer Familie in Norderstedt und arbeitet für die Justizverwaltung.

Laura aus dem Kosovo hat drei Söhne. Der Jüngste ist elf Jahre alt und das einzige Kind in der Flüchtlingsunterkunft Harkshörn. Lauras Mann ist verschwunden. Als alleinstehende Frau ist es im Kosovo nicht möglich, in Frieden zu leben, sagt Laura. Sie hat ihr Hochzeitsgold verkauft, um den Weg nach Deutschland zu bezahlen. Sie will nie mehr zurück. „Da will ich lieber sterben“, sagt Laura verzweifelt.

„In Deutschland gibt es Frieden – und es gibt Arbeit“, sagt Gent, 26, aus Albanien. Er buchstabiert seinen Namen: Gustav-Emil-Nordpol-Theodor. Gent ist so etwas wie der Sprecher der Albaner in Harkshörn. Der Lehrer für Albanisch kann etwas Deutsch und kennt sich in Norderstedt schon ganz gut aus. „Wir wollen keine Sozialleistungen, wir wollen nur Arbeit, so wie unsere deutschen Verwandten, die uns seit Jahren in der Heimat unterstützen“, sagt Gent.

Deutscher Staatsbürger würde Gent gerne werden. „Aber wer soll dein Land wieder aufbauen, wenn alle nach Deutschland kommen?“, fragt ihn Brigitte Nolte. Gent will davon nichts wissen. Korrupte Eliten hätten dort alles zerstört. Dass eine Anerkennung seines Asylantrags schwierig wird, darüber will er lieber nicht sprechen.

Beim Weg aus dem Container notiert sich Brigitte Nolte noch den Namen eines Flüchtlings, dessen deutsche Frau in Berlin lebt und der nicht verstehen kann, warum er hier in Norderstedt sitzen muss. Laura hatte sie zuvor gebeten, doch eine andere Unterkunft für sie und ihre Kinder zu suchen, weil sie es allein unter so vielen Männern nicht geheuer findet. Gent erhofft sich, das Brigitte Nolte ihm irgendwie bei der Suche nach Arbeit helfen kann.

Ihnen und auch allen anderen Flüchtlingen, die Brigitte Nolte kennenlernte und die sie um Rat und Hilfe baten, hat Nolte nicht versprochen, dass sie ihnen weiterhelfen wird. Was die Norderstedterin versprochen hat ist, dass sie wiederkommen wird und ein Ohr für ihre Geschichten, Sorgen und Nöte hat.