In Stade haben Roboter den Reaktordruckbehälter in Teile zerlegt. Jetzt muss der strahlende Rest des Meilers gepresst und gelagert werden.
Stade. Das Problem ist 253 Tonnen schwer und acht Meter hoch. Da helfen auch kräftige Männer nicht, um es zu beseitigen. Aber Roboter haben es mit Schneidbrennern in 273 handliche Teile zerlegt. Der Reaktordruckbehälter des stillgelegten Kernkraftwerks Stade existiert seit gestern nicht mehr. Die Einzelteile werden jetzt, wie der Betreiber E.on mitteilt, in spezielle Abschirmbehälter verladen. Lara wartet schon darauf. Lara ist das Lager für radioaktiven Abfall auf dem Gelände des Stader Meilers.
Das Atomkraftwerk hat zwischen 1974 und 2003 rund 146 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Seit nunmehr sieben Jahren wird das Kraftwerk zurückgebaut, wie es heute heißt. Man kann auch sagen, es wird entsorgt.
Wenn Ende dieses Jahrzehnts das Atomendlager Schacht Konrad in Salzgitter in Betrieb geht, dann wird auch Lara überflüssig. Offen ist derzeit noch, ob der Betreiber E.on die sprichwörtliche grüne Wiese zurücklässt oder an diesem Standort ein Kohlekraftwerk baut. Darauf hofft die Stadt, die Jahrzehnte von den Gewerbesteuereinnahmen durch den Atommeiler profitierte, davon kündet die liebevoll teuer herausgeputzte Altstadt. In Stade sind Tausende von Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Stilllegung des Meilers zu demonstrieren, der Arbeitsplätze brachte.
Rund 400 Mitarbeiter sind jetzt dabei, sich mit dem Rückbau selbst überflüssig zu machen, das Ende des Druckbehälters war Anlass für eine wehmütige Feier. Standort-Sprecher Burkhard Senkbeil berichtet, der Stilllegungsbeschluss habe Depressionen ausgelöst: "Aber es war bewundernswert, wie schnell sich die Mitarbeiter auf die neuen Aufgaben gestürzt haben."
Der Rückbau ist tatsächlich ein Kraftakt. Und die Zerlegung des Druckbehälters war dabei die schwierigste Arbeit. Schließlich haben hier die nuklearen Kettenreaktionen stattgefunden, hier erreichte die Radioaktivität in der Anlage ihren Maximalwert. Eben deswegen waren es in vorderster Front Roboter und andere fernbediente Technik, die in einem im Reaktorgebäude eingerichteten und von der Außenluft hermetisch abgeschlossenen Bereich dem Stahlkoloss des Reaktorbehälters zu Leibe rückten. Der strahlt immerhin mittelaktiv. Kontrolliert werden die Arbeiten über eine Videoanlage.
Die Abwicklung des Meilers hat E.on 2003 mit Wirtschaftlichkeitsüberlegungen begründet: "Aus technischer Sicht gab es keinen Grund für die Stilllegung." Laut Atomkonsens wäre aber 2004 die Reststrommenge für den ältesten deutschen Druckwasserreaktor ohnehin ausgeschöpft gewesen. Unmittelbar nach der Abschaltung sind die letzten Brennelemente von Stade in die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague gebracht worden. Damit waren auch 99 Prozent des radioaktiven Materials entsorgt.
In einem nach dem Atomrecht akribisch vorgeschriebenen Verfahren begann der Rückbau mit der Demontage solcher Teile, die nicht verstrahlt waren oder weitgehend dekontaminiert werden konnten. Bei diesen Komponenten ist - wenn überhaupt - Radioaktivität laut Betreiber nur an der Oberfläche zu finden. Diese Kontamination lässt sich abwaschen oder abreiben, Radioaktivität in Rissen oder Poren wird chemisch oder mechanisch entfernt.
Der übrig bleibende radioaktive Abfall wird mit einer Hochdruckpresse extrem verdichtet. Das geschieht schon mit Blick auf die spätere Endlagerung. Da soll er wenig Platz verbrauchen.
Im Falle von Stade geht E.on von einer Rückbaumasse von 326 000 Tonnen aus, der größte Teil davon ist Beton. Übrig bleiben sollen aber nur rund 3000 Tonnen schwach und mittelradioaktiver Müll.
Überwacht wird der gesamte Rückbau inklusive der Freimessung von Abfall von der Atomaufsicht, dem Umweltministerium in Hannover. Hier bescheinigt eine Sprecherin dem Konzern E.on gute Arbeit: "Aus Sicht der Atomaufsicht geschieht der Rückbau der Anlage Stade zielgerichtet und gut. Dazu gehört auch, dass E.on die Öffentlichkeit vor allem in Stade offensiv und umfassend informiert."
Geht weiter alles nach Plan, wird die Anlage 2014 aus dem Atomrecht entlassen und ein Jahr später der Rückbau abgeschlossen sein.