Energie: Es geht um das letzte Prozent Radioaktivität. 200 Mitarbeiter sorgen dafür, daß ihre ehemalige Arbeitsstätte verschwindet. Bis 2015 soll alles weg sein.

Stade. Die Sonne strahlt an diesem wunderschönen Spätsommertag im September über dem Kernkraftwerk Stade. Als würde sie über das Ende des künstlich geschaffenen Konkurrenten triumphieren, der ihr für zwei Jahrzehnte den Rang als Energiequelle ein ganz klein wenig streitig gemacht hat. Der im November 2003 abgeschaltete Stader Reaktor strahlt dagegen so gut wie gar nicht mehr. "99 Prozent der Radioaktivität sind weg", sagt Detlef Hubert (52), Sprecher der E.on Kernkraft GmbH. Die letzten Brennelemente haben Stade im April dieses Jahres zur Endlagerung in Frankreich verlassen. Seit diesem Monat laufen die Arbeiten, das letzte Prozent radioaktiven Materials zu entsorgen. Die Phase 1 des nuklearen Rückbaus, so der offizielle Sprachgebrauch, hat begonnen - vier Jahre hat E.on Kernkraft auf die Genehmigung aus dem Niedersächsischen Umweltministerium gewartet.

Ende 2015 soll das Kernkraftwerk völlig vom Erdboden verschwunden sein. 100 Hektar Gesamtbetriebsfläche werden nach den derzeitigen Plänen nur noch grüne Wiese sein - mit Ausnahme eines turnhallengroßen Lagers mit dem Namen "Lara" für den leichtradioaktiven Abfall. Möglicherweise wird aber auch "Lara" verschwinden - nämlich dann, wenn die Erzgrube Konrad in Salzgitter als Atommüll-Endlager genehmigt werden sollte. Die E.on Kernkraft hat spitz nachgerechnet und sich bewußt für den direkten Rückbau entschlossen. 500 Millionen Euro soll der Rückbau kosten. Der Vorteil: 200 Mitarbeiter behalten ihren Job in Stade. Die Alternative wäre die Versiegelung des Kraftwerks unter einer Betondecke gewesen, der sogenannte "sichere Einschluß". 30 Jahre hätte der Betonkoloß als Relikt des Atomzeitalters an der Elbe gestanden. Erst dann hätte der Rückbau eingesetzt.

Zwei Kernkraftwerke in Deutschland wurden bis heute zur grünen Wiese rückgebaut. Das Interesse der Öffentlichkeit daran, was hinter den Kulissen des Stader Kernkraftwerks passiert, ist sogar seit der Stillegung noch gestiegen. Ein norwegisches Fernsehteam will in Kürze einen Bericht drehen. Bis zu 6000 Besucher im Jahr empfängt Öffentlichkeitsarbeiter Detlef Hubert. Das Gelände ist streng bewacht: Stacheldraht, mit Handfeuerwaffen bewaffnetes Sicherheitspersonal, Zugang nur mit Personalausweis.

330 000 Tonnen Material - soviel wöge das Kernkraftwerk, würde man es auf eine Waage stellen - werden in den nächsten zehn Jahren beiseite geschafft. Dazu beschäftigt die E.on Kernkraft noch 200 Mitarbeiter am Standort Stade - zur besten Zeit des Druckwasserreaktors, der den Jahrestrombedarf einer Millionenstadt decken konnte, hielt der Betrieb noch 1200 in Lohn und Brot. Hinzu kommen heute noch 150 Mitarbeiter von Fremdfirmen, überwiegend aus dem Baubereich. Auch wenn es um den Abbau einer Industrieanlage geht: Die E.on-Mitarbeiter, überwiegend Maschinenbau- und Elektroingenieure, Schlosser und Elektriker, machen sich die Hände nicht dreckig. Sie planen, führen Aufsichten, dokumentieren. "Nein", erklärt Detlef Hubert, "die Physiker schaufeln nicht plötzlich Kohle."

Zur Zeit beginnen die Arbeiten in dem sensibelsten Gebäude. Im Kontrollbereich unter der Schutzkuppel wird bis 2007 Platz für Dekontamierungsanlagen geschaffen.

Wie das freie Kernkraftwerksgelände im Jahr 2015 genutzt werden soll, ist noch offen. Angeblich prüfen zwei Interessenten, möglicherweise in Stade ein neues Kohlekraftwerk zu bauen "Bei E.on gibt es im Moment keine Pläne für irgendein neues Kraftwerk in Stade", zuckt Detlef Hubert mit den Achseln. "Möglich ist vieles - im Gespräch gar nichts."