Gert Lindemann soll das Agrarland Niedersachsen aus der Krise holen. Er hat viele Pläne – eine Agrarwende lehnt er jedoch ab.

Hannover. Es ist ein Verdacht mit fadem Beigeschmack: Aus der Sicht von Niedersachsens neuem Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) ist die illegale Panscherei mit Giftstoffen bei der Herstellung von Tierfutter schon länger als bislang nachgewiesen gängige Praxis. Der 63-jährige Jurist hat den Verdacht, dass schwarze Schafe in der Branche bereits vor März 2010 technische Fette mit Futterfetten vermischt haben. Schließlich war das Beimischen schädlicher Stoffe innerhalb der Grenzwerte bis 2003 erlaubt.

Der am Mittwoch vereidigte Lindemann will die Drahtzieher des Skandals deshalb am liebsten hinter Gittern sehen. Denn, da ist sich der 63-jährige Jurist und Agrarexperte sicher, das bisherige Strafmaß mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren sowie die bei Verstößen zumeist ausgesprochenen Geldstrafen, schrecken die kriminellen Drahtzieher nicht genug ab. „In Fällen, in denen wenige Personen derartig immense Schäden durch kriminelles Handeln anrichten, müsste es nach meiner persönlichen Überzeugung auch durchaus zu Freiheitsstrafen kommen und nicht dazu, dass man mit einer Geldstrafe noch davonkommen kann“, sagt Lindemann.

Angesichts der seit Wochen bundesweit geführten Debatte über den Dioxin-Skandal ist es nicht verwunderlich, dass die Amtseinführung Lindemanns in den Hintergrund rückte. Lindemann selbst hatte sich in den vergangenen Wochen mit Äußerungen zurückgehalten, obwohl es ihm seit der Berufung durch Ministerpräsident David McAllister (CDU) als Nachfolger seiner am 17. Dezember zurückgetretenen Vorgängerin Astrid Grotelüschen durchaus in den Fingern juckte.

Jetzt darf Lindemann als Chef des Agrarressorts aktiv werden. Wer jedoch erwartet hatte, er würde den kriminellen Machenschaften mit einem radikalen Kurswechsel begegnen, der sieht sich getäuscht. „Die Notwendigkeit eines umfassenden Strukturwandels in der Landwirtschaft liefert der Skandal nicht“, betont Lindemann. Statt eines Kurswechsels helfe „hier nur Kontrolle und Strafverfolgung“. Lindemann liegt damit auf der selben Linie wie seine Berliner Amtskollegin Ilse Aigner (CSU), deren Aktionsplan im Kampf gegen verseuchte Futtermittel zeitgleich zur Vereidigung Lindemanns im schwarz-gelben Bundeskabinett beschlossen wurde. Lindemann ist sich sicher: „Eine nostalgische Verklärung traditioneller Produktionsweisen dient weder der Landwirtschaft noch dem Verbraucher.“

Lautstarken Forderungen der Opposition nach einer Rückkehr zur bäuerlichen Landwirtschaft erteilt Lindemann damit eine klare Absage. Frühere Agrarskandale hätten schließlich auch Bio-Betriebe betroffen, es sei „Zufall“, dass diesmal nur konventionelle Betriebe betroffen seien. Einen Systemfehler in den Agrarstrukturen kann er nicht erkennen. Die Opposition zeigte sich angesichts der Marschrichtung alles andere als erfreut: „Wer einen Pensionär zum Minister macht, hat wenig Vertrauen in die Restlaufzeit seiner Regierung“, spottet Linken-Fraktionschef Hans-Henning Adler an die Adresse McAllisters. Auch Grünen-Chef Stefan Wenzel kritisierte: „Sie kommen nicht als reformfreudiger Jungbauer – Sie sind der Grandseigneur der alten Schule“. Für die SPD liegt der Skandal im „handlungsunfähigen“ Krisenmanagement von McAllister. Er habe sich in der „größten Ernährungs- und Agrarkrise, die dieses Land erlebt hat“ in der Staatskanzlei versteckt.

Zurück zu Lindemann. Auch wenn er ganz bewusst eine Agrarwende ablehnt, Reformen im bestehenden, von Massentierhaltungsbetrieben dominierten Agrarsystem will er aber dennoch vorantreiben. So soll der Tierschutz besser werden. Es dürfe nicht sein, dass umstrittene Haltungsbedingungen etwa bei Geflügel als „nicht änderbar“ entschuldigt würden. Forderungen wie diese waren im Agrarministerium in Hannover vor Wochen noch undenkbar. Wegen ihrer engen Beziehung zur Mastputenindustrie hatte seine Vorgängerin während ihrer knapp siebenmonatigen Amtszeit permanent in der Kritik gestanden.

Über fehlende Arbeit und mediale Aufmerksamkeit in seinem neuen Amt kann sich Lindemann daher garantiert nicht beklagen. Nun soll der passionierte Jäger mindestens bis zur Landtagswahl 2013 das in die Negativschlagzeilen geratene Ressort in Niedersachsen leiten und dessen Image wieder aufpolieren. Keine leichte Aufgabe, dessen ist sich Lindemann bewusst. „Ich kann es brauchen“, antwortet er beim Gang durch den Landtag allen Gratulanten, die ihm Glück wünschen.