Dass die Polizei nichts von dem Einsatz des Aufklärungsfliegers wusste, sei “hochnotpeinlich“. Das Innenministerium verteidigt den Vorgang.

Lüneburg/Brüssel/Hannover. Nach dem Einsatz einer Überwachungsdrohne bei den Demonstrationen gegen den Castor-Transport verlangen Datenschützer von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) eine sofortige Klärung. Zwar seien Flüge des unbemannten Mini-Hubschraubers aus rechtlicher Sicht grundsätzlich zulässig, sagte der Sprecher des Landes-Datenschutzbeauftragten, Michael Knaps, am Mittwoch in Hannover. Auch die datenschutzrechtliche erforderliche Vorabkontrolle des Gerätes habe stattgefunden, eine technische Beschreibung liege ebenfalls vor. Wie bei anderen Videoaufzeichnungen durch die Polizei dürften mit der Drohne sogar Porträtaufnahmen gefertigt werden, falls konkrete Hinweise auf Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten vorlägen. Problematisch sei jedoch, dass die Polizeidirektion Lüneburg offensichtlich nichts von dem „Politikum“ eines umstrittenen Drohnen-Einsatzes wusste . „Das ist hochnotpeinlich und schon ein starkes Stück.“

Schünemann begrüßte in einer ersten Stellungnahme die Verwendung der Drohne. Sein Ministerium hat den Einsatz einer Aufklärungsdrohne durch die Polizei bei den Castor-Protesten ebenfalls als rechtmäßig verteidigt. Der Einsatz der mit einer Kamera bestückten Drohne habe die gleiche Rechtsgrundlage wie andere Videoaufzeichnungen durch die Polizei, sagte Ministeriumssprecher Klaus Engemann am Mittwoch. Rechtlich mache es keinen Unterschied, ob Aufnahmen bei einer Demonstration von einem Hubschrauber aus oder mithilfe der unbemannten Drohne erstellt würden.

Bei den Protesten gegen den Castor-Transport sei es zum ersten „echten Einsatz“ der Drohne gekommen, sagte der Ministeriumssprecher weiter. Im Rahmen der Erprobung der Drohne, die noch andauere, habe man zuvor lediglich deren Flugeigenschaften und optischen Fähigkeiten getestet.

Bei einem Einsatz in normaler Flughöhe könne die Drohne nur Übersichtsaufnahmen liefern, auf denen einzelne Demonstranten nicht identifizierbar seien, betonte Engemann zudem. Die Kamera der Drohne habe nicht die Fähigkeit, Gesichter einzelner Personen heranzuzoomen. Es sei allerdings wohl technisch möglich, aus Videoaufzeichnungen mit Hilfe der Drohne später Bildausschnitte zu vergrößern.

Unterdessen kritisieren Polizeigewerkschaften die Organisation beim Einsatz zum Schutz des jüngsten Atommülltransports nach Gorleben. „Die beteiligten Beamten sind stinksauer über die unzumutbaren Umstände des Castor-Einsatzes“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Nicht nur bei der Polizei in Niedersachsen brodele es gewaltig. „Uns erreichen immer mehr Proteste, gerade von Polizistinnen“, sagte er.

Wendt kritisierte, ein derartiges Organisationsdesaster wie in Gorleben habe er noch nicht erlebt. „Polizistinnen mussten ihre Notdurft öffentlich verrichten und sich dabei mit Handykameras von Demonstranten filmen lassen, weil es nur vereinzelt mobile Toiletten gab“, sagte er. Auch die Verpflegung mit Essen und Trinken habe nicht geklappt, weil die Traktoren der Demonstranten die Versorgung praktisch lahmgelegt hätten. Zum Teil hätten die Beamten bis Montag mit ihren Lunchpaketen vom Samstag auskommen müssen. Diese „Riesensauerei“ dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben. Im Wendland sollten Traktoren künftig vor dem Castor-Transport sichergestellt werden, um Straßenblockaden zu verhindern.

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, beklagte, Beamte seien mit ihrer rund 15 Kilogramm schweren Schutzkleidung bis zu 35 Stunden hintereinander im Einsatz gewesen, weil die Ablösung nicht wie geplant funktioniert habe. Die Forderungen seiner Gewerkschaft, entlang der Castor-Strecke etwa alle 300 Meter eine mobile Toilette aufzustellen, seien in Gorleben missachtet worden. Die GdP sei dabei, alle Versäumnisse zusammenzutragen. „Der Castor-Einsatz wird nicht ohne Folgen bleiben“, kündigte Witthaut an.

Lesen Sie hierzu auch den Abendblatt-Bericht von Luder Fertmann:

Harte Kritik am Polizeieinsatz beim Castortransport : Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) hat der Einsatzleitung gestern vorgeworfen, es habe "systematische Verletzungen des Rechts auf Versammlungsfreiheit und auf körperliche Unversehrtheit" gegeben. Strafrechtliche Konsequenzen muss nach Einschätzung des RAV haben, dass sich nach seinen Beobachtungen sogar mehrere bewaffnete französische Polizisten an dem Einsatz beteiligt haben.

Fotos von mindestens einem französischen Beamten, der aktiv gegen Demonstranten vorgeht, haben für Aufsehen gesorgt. Der Anwaltsverein stellt dazu fest, weder Bund noch Land Niedersachsen hätten dafür bislang eine ausreichende Rechtsgrundlage genannt.

Konkret wirft die Organisation der Polizei vor, sie habe bei dem Einsatz ab dem 6. November in einem seit Langem nicht erlebten Ausmaß großflächig und ohne Vorwarnung Zwangsmittel wie Reizgas und Schlagstöcke eingesetzt: "Durch diese Vorgehensweise wurden insgesamt mehr als 1000 Menschen verletzt, über 30 Demonstranten erlitten zum Teil schwere Kopfverletzungen." Ein Kletterer sei von einem Polizisten in einem Baum in vier Meter Höhe mit Reizgas attackiert worden, sei vom Baum gestürzt und habe eine Fraktur im Brustwirbelbereich erlitten.

Aufgezählt werden Freiheitsentziehungen für Hunderte von Demonstranten ohne Rechtsgrundlage sowie die Durchsuchung von mehreren Bauernhöfen, ebenfalls ohne richterlichen Beschluss: "Die Grundrechtsverstöße der Polizeieinheiten waren keine Einzelfälle." Die Polizei hatte es beim 12. Castor-Transport ins Wendland mit dem bislang stärksten Protest zu tun, über 7000 Personen beteiligten sich an Sitzblockaden und anderen Aktionen, fast 20.000 Polizisten waren im Einsatz.