Bundespolizei begründet den Einsatz ausländischer Polizisten im Wendland mit Ausnahmesituation. Unklar ist, wobei sie mitgewirkt haben.
Lüneburg. Im Jahr 2005 haben sieben europäische Länder den Vertrag von Prüm "über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration" geschlossen. Und auf genau diesen Vertrag beruft sich die Bundespolizei, nachdem bekannt geworden ist, dass mindestens ein französischer Polizist beim Castor-Einsatz im Wendland und damit auf deutschem Boden zum Schlagstock gegriffen hat.
Kristian Veil, Sprecher des Präsidiums der Bundespolizei in Potsdam, bestätigte, der Mann habe den Transport eigentlich nur als Beobachter begleitet, aber in einer Notsituation Nothilfe für deutsche Kollegen geleistet. Das sei gedeckt durch Artikel 28 des Prümer Vertrages. Bundespolizisten seien am Sonntag am Bahngleis nach Dannenberg "in Bedrängnis" geraten.
Allerdings konnte der Sprecher gestern nicht einmal bestätigen, ob der von ihm geschilderte Vorgang identisch ist mit jenen Bildern, die im Abendblatt veröffentlicht worden sind und die einen französischen Polizisten zeigen, der einen liegenden Demonstranten gewaltsam von den Gleisen zerrt. Das Bild passt auch nicht zur offiziellen Erklärung der Nothilfe, weil zu diesem Zeitpunkt drei Beamte der Bundespolizei im Hintergrund nur zusehen. Zu erkennen ist auf dem Foto auch, dass der Franzose eine Pistole im Halfter trägt.
Der Sprecher der Bundespolizei verweist darauf, der Prümer Vertrag regle auch, dass es Polizisten aus den Partnerstaaten bei solchen Einsätzen erlaubt werden könne, Uniform, Schutzausstattung und die Dienstwaffe zu tragen. Begründung: "Ein Kontakt zu gewalttätigen Demonstranten kann bei solchen Einsätzen für die Einsatzkräfte leider nicht ausgeschlossen werden." Solche Erklärungen gab es auch vom Bundesinnenministerium.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele glaubt dagegen an "mehrere Ausraster" ausländischer Polizisten: "Der Erklärungsversuch des Bundesinnenministeriums bricht spätestens bei Klagen von Betroffenen und Strafanzeigen vor Gericht zusammen wie ein Kartenhaus." Tatsächlich hat ein Berliner Anwalt nach eigenen Angaben Strafanzeige erstattet - aber nicht wegen des Vorgangs auf den Fotos. Er habe den Franzosen zwei Stunden zuvor als Augenzeuge erlebt, sagte der Anwalt dem Abendblatt: "Der Polizist wirkte an einer Festnahme mit, das ist Amtsanmaßung."
Wenn die Angabe der Bundespolizei stimmt, dass nur ein französischer Polizist überhaupt auf der Transportstrecke im Wendland war, müsse es sich auch hier um den Mann handeln, der auf den Fotos zu sehen ist.
Eine Sprecherin der zuständigen Lüneburger Staatsanwaltschaft sagte auf Anfrage, man gehe der Strafanzeige nach, der Anwalt will sie unmittelbar vor Ort im Wendland gegenüber leitenden Beamten der Bundespolizei zu Protokoll gegeben haben.
Das niedersächsische Innenministerium versuchte, auf Distanz zu bleiben: "Die Einsatzleitung der Landespolizei hat erst während des Castoreinsatzes von den französischen Polizeibeamten erfahren." Zudem falle der Transport auf der Schiene in die Zuständigkeit der Bundespolizei. Auf die Frage, ob auch das Land es bei Kooperationen mit ausländischen Polizisten diesen Beamten erlaubt, Waffen zu tragen, lautete die Antwort: "Das ist möglich, aber nicht üblich."
Dass Bund und Länder ausländischen Polizisten das Tragen von Waffen und die Beteiligung an Einsätzen gestatten können, bestätigt auch der Kieler Juraprofessor Florian Becker dem Abendblatt: "Das muss immer völkervertraglich abgesichert werden." Der Spezialist für öffentliches Recht erläutert: "Dann dürfen die immer genau das machen, was auch niedersächsische Polizisten dürfen." Dass ausländische Polizisten keinen deutschen Amtseid abgelegt haben, ändere an der Rechtslage nichts: "Das sind die Segnungen des vereinten Europas, da lebt man mit der Fiktion oder auch Realität, dass wir alle unseren Rechtsstaat auf dem gleichen Niveau angesiedelt haben."
Beobachter des Transports waren im Bereich der Landespolizei nach Abendblatt-Informationen kroatische, polnische und niederländische Polizisten - alle ohne Waffen.
Bereits heute soll Innenminister Uwe Schünemann (CDU) im Innenausschuss des Landtages befragt werden. Der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg: "Der bloße Verweis auf die Zuständigkeit der Bundespolizei reicht nicht. Schließlich lag die Gesamtverantwortung für den Polizeieinsatz beim hiesigen Innenminister."