Der Beamte habe den deutschen Kollegen aus einer “Notsituation“ helfen wollen. Grünen-Politiker Ströbele fordert rückhaltlose Aufklärung.
Hannover/Lüneburg/Potsdam. Auch nach dem Ende des diesjährigen Castor-Transports sorgt der Polizeieinsatz im Wendland für Ärger. Hintergrund ist der handgreifliche Einsatz eines französischen Polizisten am Sonntagnachmittag in Gorleben gegen einen Demonstranten. Das Bundesinnenministerium in Berlin verteidigte die Maßnahme. Der französische Beamte habe einem deutschen Bundespolizisten nur in einer akuten „Notsituation“ während einer Personenkontrolle nach einer Beamtenbeleidigung geholfen, betonte ein Ministeriumssprecher.
Der Einsatz des uniformierten und bewaffneten Beamten beim Castor-Transport von La Hague in Frankreich ins niedersächsische Gorleben sei zudem durch einen internationalen Vertrag zur grenzüberschreitenden Polizeiarbeit aus dem Jahr 2005 abgesichert. Auch das Bundespolizeigesetz regele entsprechende Kooperationen. „Aus diesem Grund ist eine Polizeikooperation zwischen Frankreich und Deutschland notwendig und auch seit Jahren üblich“, hieß es weiter.
Eigentlich hatte der französische Polizist gemeinsam mit einem Kollegen nur als „Beobachter“ am Castor-Transport teilgenommen. „Da ein Kontakt zu gewalttätigen Demonstranten bei solchen Einsätzen für alle Einsatzkräfte leider nicht ausgeschlossen werden kann, können auch französische Beamte bei diesen Einsätzen ihre Uniform und ihre Schutzausstattung tragen“, sagte der Sprecher.
Dies sehen der Grüne-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele und Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, völlig anders. Bundes- und niedersächsische Landesregierung müssten rückhaltlos den Einsatz ausländischer Polizei-Gewalttäter untersuchen und die vollständige Wahrheit unverzüglich gegenüber Parlamenten und Öffentlichkeit offenbaren, erklärte Ströbele.
„Diese Art der europäischen Zusammenarbeit richtet sich ganz eindeutig gegen die Demokratie und die Bevölkerung“, betonte Jelpke. Auch die Aussage, es handele sich um eine Notsituation, akzeptiert Ströbele nicht. Die vielen deutschen Polizisten hätten sich in der Situation nicht in einer Notlage gegen wenige Protestierer befunden, „aus der ausgerechnet ein einzelner Franzose sie hätte mit seinem mitgeführten Teleskop-Totschläger retten müssen“. Das Verhalten des Polizisten sei vielmehr als „Amtsanmaßung und Verstoß gegen das Waffengesetz augenscheinlich rechtswidrig“, meinte Ströbele.
Das Innenministerium in Hannover wies jede Verantwortung von sich: „Die Einsatzleitung in Lüneburg hat erst während des Einsatzes von den französischen Polizeibeamten erfahren.“ Linke und Grüne im Landtag wollten das nicht akzeptieren und sprachen von einem Skandal. Die Gesamtverantwortung für den Einsatz liege bei Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), betonten die Grünen.
Lesen Sie hierzu auch den Abendblatt-Bericht von Ludger Fertmann:
Hat die Bundespolizei beim Castortransport auch ausländische Polizisten auf deutschem Boden eingesetzt? Diesen Verdacht hat der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele und belegt ihn mit Bildern, die inzwischen auch im Internet kursieren. Zu sehen ist ein kräftiger französischer Polizist auf den Gleisen, den Schlagstock in der Hand. Und auf einem anderen Foto ist ebenfalls ein offenbar französischer Polizist abgebildet, der einen am Boden liegenden Demonstranten von den Gleisen zerren will und eine Waffe trägt.
Für Ströbele liegt nahe, dass es hier um Amtsanmaßung geht und einen Verstoß gegen das Waffengesetz: "Augenscheinlich rechtswidrig." Er verlangt von der Landesregierung in Hannover und der Bundesregierung "rückhaltlose Aufklärung über eine Bundeswehrbeteiligung und über den aktiven Einsatz ausländischer Polizisten gegen die Castor-Demonstranten".
Kristian Veil, Sprecher des Präsidiums der Bundespolizei in Potsdam, bestätigte gestern auf Anfrage lediglich, dass französische Polizisten als "Beobachter" im Wendland waren, wie das international inzwischen häufig als Austausch üblich sei. Zu den konkreten Bildern aber wollte er nichts sagen: "Wir prüfen das jetzt erst mal."
Und auch zu Ströbeles Frage, ob auch polnische und kroatische Beobachter vor Ort waren, gab es zumindest gestern keine Auskunft.
Eines zumindest scheint klar: Die Bilder sind im Wendland entstanden. Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. "Da bin ich mir sicher, das ist die Göhrde", sagte er auf Abendblatt-Anfrage. Genau hier hatte es am Wochenende zum Teil harte Auseinandersetzungen zwischen Gleisblockierern und der Polizei gegeben. Ehmkes Reaktion: "Mit bleibt die Spucke weg ob dieser Internationalisierung des Polizeieinsatzes im Wendland." Christian Jäger, der nach eigenen Angaben die Fotos gemacht hat, legte sich gestern laut Nachrichtenagentur AFP ebenfalls auf Ort und sogar die Zeit fest. Er habe die Bilder am Sonntag um 13.51 am Gleis im Wendland geschossen.
Nach Auskunft des Büros des Abgeordneten Ströbele hat zudem ein Rechtsanwalt als Augenzeuge Strafanzeige wegen Amtsanmaßung bei der Lüneburger Staatsanwaltschaft gestellt. Er will einen französischen Polizisten aktiv beim Räumeinsatz gesehen haben.
Tatsächlich ist die Einsatzleitung der Polizei von der Zahl der Demonstranten insgesamt und vor allem der hohen Zahl von rund 8000 Personen überrascht worden, die sich an Blockaden auf Gleis und Straße beteiligt haben. Rund 2000 Beamte wurden in letzter Minute zusätzlich angefordert. Nach Einschätzung des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) ist die Polizei "an die Grenzen der Belastbarkeit gegangen". Seine besondere Kritik galt gestern in einer Regierungserklärung zum Castortransport im Landtag von Hannover der Kampagne "Castor schottern": "Wer zum Schottern aufruft, der erleichtert gewaltbereiten Störern das Geschäft, der handelt verantwortungslos." Beim "Schottern" werden Steine aus dem Gleisbett entfernt. Ein Verfall politischer Kultur ist für Schünemann, dass 19 Parlamentarier der Linkspartei zum Schottern aufgerufen haben. Der Minister warnte zudem, es habe "gezielte Angriffe durch Linksextremisten auf den Rechtsstaat gegeben". Es gehe darum, künftige Transporte sicher durchzuführen und dabei den friedlichen Protest zu gewährleisten: "Das wird jedoch nur gelingen, wenn wir es nicht zulassen, dass militante Störer den Protest radikalisieren."
Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg wies Schünemanns Darstellung zurück. Ihr Sprecher Wolfgang Ehmke sagte, die Behauptung, politisch motivierte Gewalt habe die Proteste überschattet, sei frei erfunden. Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel sagte im Landtag, die Proteste seien "ein Lehrstück für lebendige Demokratie" gewesen. Und der SPD-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Olaf Lies hielt der schwarz-gelben Koalition vor: "Die Ursache für die Demonstrationen ist der Ausstieg aus dem Ausstieg durch CDU und FDP."