Bis zum September 2012 müssen in Schleswig-Holstein Neuwahlen stattfinden. Carstensen lässt seine politische Zukunft offen.

Schleswig. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen verzichtet auf den Landesvorsitz der CDU. Dies teilte der 63-Jährige am Montagabend in Kiel am Rande einer Vorstandssitzung mit. Noch vor einigen Tagen hatte Carstensen erklärt, er wolle beim Parteitag am 18. September erneut für den Vorsitz der Nord-CDU kandidieren. Mit dem Rückzug reagiert er auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts : Spätestens im September 2012 und nicht erst regulär 2014 muss das Parlament neu gewählt werden, entschied das Gericht. Das aktuelle Wahlgesetz sei verfassungswidrig.

Die Opposition peilt einen Termin möglichst 2011 an. Den bittersten Kelch müssen Carstensen und Kubicki aber nicht leeren, denn die aktuelle Ein- Stimmen-Mehrheit von CDU/FDP ließ das Gericht unangetastet. Der Landtag muss neu gewählt werden, weil das Wahlgesetz nach Überzeugung der Richter der Verfassung zuwiderläuft. Sie sprachen von mandatsrelevanten Fehlern und Verletzung der Wahlgleichheit. Dies sei so schwerwiegend, dass die Legislaturperiode verkürzt werden müsse, erklärte Gerichtspräsident Bernhard Flor. Es geht um die Zahl der Wahlkreise, um Überhang- und Ausgleichsmandate und eine sehr komplexe Materie. „Die einzelnen Wahlfehler lassen sich nicht trennen und isoliert korrigieren“, sagte Flor.

Mit seinem Urteil rückt das Landesverfassungsgericht gut ein Jahr nach dem Bruch der großen Koalition das nördlichste Bundesland wieder spektakulär in den Fokus. In Kiel wird erwartet, dass Carstensen nicht noch einmal als Spitzenkandidat antritt. Der 63-Jährige ließ das in einer ersten Reaktion offen. Auch CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher (39), der als Kronprinz gilt, wollte sich zu der Frage unmittelbar nach Urteilsverkündung nicht konkret äußern. Er stellte Ende 2011 als Entscheidungstermin in Aussicht. SPD-Landeschef Ralf Stegner (50) legte sich ebenfalls nicht fest, ob er wieder als Spitzenkandidat antreten will.

Zunächst bleibt es an der Kieler Förde beim alten: CDU und FDP haben 48 Sitze, SPD, Grüne, Linke und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) zusammen 47. Die schwarz-gelbe Mehrheit kam nur dadurch zustande, dass die Landeswahlleiterin unter Berufung auf eine unklare Vorgabe im Wahlgesetz drei von elf CDU-Überhangmandaten nach der Wahl am 27. September 2009 nicht mehr mit Ausgleichsmandaten für die anderen Parteien kompensierte. Die Wahlprüfungsbeschwerden aus dem linken Lager dagegen blieben erfolglos. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über ihre Direktkandidaten in den Wahlkreisen mehr Sitze holt, als ihr nach dem Zweitstimmenverhältnis zustünden.

Wenn das Gericht auch noch die Sitzverteilung korrigiert hätte, wäre Schwarz-Gelb im Parlament mit 50:51 ins Hintertreffen geraten. Mit 101 hätte sich die Abgeordnetenzahl dann noch weiter von der Verfassungsvorgabe wegbewegt. Das Vorgehen der Landeswahlleiterin monierte das Gericht aber nicht: Schließlich habe sie sich an das Gesetz gehalten – das aber nun eben verfassungswidrig ist. Für Carstensen nähert sich mit dem Neuwahl-Urteil das Karriere- Ende wohl schneller als geplant. Der CDU von Kanzlerin Angela Merkel droht nach Günther Oettinger, Jürgen Rüttgers, Christian Wulff, Roland Koch und Ole von Beust mit Carstensen bald ein weiterer Regierungschef aus der alten Garde abhanden zu kommen.

Ein ganzes Problembündel führte unter dem Strich dazu, dass sich der Landtag von regulär 69 auf 95 Sitze aufblähte und zugleich drei CDU-Überhangmandate ungedeckt blieben. Nun muss ein Wahlrecht her, das eine Erhöhung der Mandate durch Überhang- und Ausgleichsmandate so weit wie möglich verhindert. Das läuft darauf hinaus, die Wahlkreise neu zu schneiden und ihre Zahl deutlich zu senken.

Jetzt wittern vor allem SPD und Grüne Morgenluft. „Die Hängepartie muss kurz sein“, sagte Grünen-Fraktionschef Robert Habeck (40). Er hätte gern einen Termin im Herbst 2011, hat aber Zweifel: „Es wird wahrscheinlich auf Zeit gespielt“. Die CDU will die vorgegebene Frist weitgehend ausschöpfen.

Das Urteil, das Gerichtspräsident Flor wenige Minuten nach 12.00 Uhr verkündete, ist eine Ohrfeige für jene Politiker, die mit ihrem Gesetz in einer veränderten politischen Landschaft – inzwischen sind sechs Parteien im Parlament – das Unheil selbst heraufbeschworen haben. Schlicht eine Wiederholungswahl anzuordnen, kam für die Verfassungsrichter nicht in Betracht: Die „Unregelmäßigkeiten“ seien nicht wegen fehlerhafter Auslegung des Gesetzes entstanden, sondern wegen dessen Verfassungswidrigkeit selbst. Also kann erst wieder gewählt werden, wenn ein neues Gesetz da ist.