Die Richter wollen strenge Maßstäbe ansetzen bei der Untersuchung, ob die Koalition nach der Landtagswahl zu Unrecht einen Sitz mehr erhielt.
Schleswig. Verstößt die umstrittene Sitzverteilung im schleswig-holsteinischen Landtag gegen die Verfassung? Darüber hat das höchste Gericht im Norden am Montag in Schleswig verhandelt. Im Kern ging es um die Auslegung und Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes. Während der gut fünfstündigen Verhandlung ließ das Landesverfassungsgericht durchblicken, dass es strenge Maßstäbe anlegen möchte und damit die Sitzverteilung infrage stellt. Das könnte das Ende der CDU/FDP-Koalition bedeuten. Das Urteil soll am 30.August fallen.
„Bei Feststellung eines oder mehrerer Verfassungsverstöße wäre das Entscheidungsspektrum breit“, sagte Gerichtspräsident Bernhard Flor. Die Möglichkeiten reichen von einer Neuwahl über die Änderung der Sitzverteilung bis hin zur Auflage, das Wahlgesetz bis zur nächsten Wahl ändern.
Beschwert hatten sich 48 Wähler und die Linksfraktion, weil die Verteilung der Mandate nicht dem Wählerwillen entspreche. Bei der Landtagswahl am 27. September 2009 waren SPD, Grüne, Linke und Südschleswigscher Wählerverband (SSW) auf mehr Zweitstimmen gekommen als CDU und FDP. Trotzdem regiert Schwarz-Gelb mit einem Sitz mehr im Parlament. Das ergibt sich aus der im Wahlgesetz vorgeschriebenen Begrenzung von Ausgleichsmandaten. Sie ist aber strittig.
„Diese Kapriole des Wahlrechts stiftet Unfrieden in diesem Lande“, sagte der Rechtsanwalt der Fraktionen von Grünen und SSW, Wilhelm Mecklenburg. Der Wähler wisse nicht, ob er richtig vertreten werde. „Meiner Ansicht nach kann der Frieden nur wiederhergestellt werden, wenn der Landtag gesetzmäßig zusammengesetzt ist.“ Grüne und SSW hatten im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen das Wahlgesetz geklagt. Es verstößt ihrer Meinung nach gegen die Verfassung, weil diese einen vollen Ausgleich vorschreibe. Mehrere Mitglieder der Grünen hatten außerdem Wahlprüfungsbeschwerden eingeleitet.
Die CDU kam nach der Wahl auf so viele Erststimmen, dass sie elf Überhangmandate erhielt. Für diese bekommen die anderen Parteien laut Wahlgesetz einen Ausgleich. Dabei darf es nach Auffassung der Landeswahlleiterin alles in allem nur doppelt so viele weitere Sitze geben wie Überhangmandate – also 22. Die CDU erhielt davon acht, die anderen Parteien insgesamt 14. Drei CDU-Sitze blieben ohne Ausgleich. Die Linken und andere Beschwerdeführer meinen dagegen, die 22 weiteren Sitze müssten aber vollständig an die anderen Parteien gehen. Außerdem ist umstritten, ob der Ausgleich überhaupt begrenzt werden darf.
ImGrundsatz geht es dabei um die Frage, wie weit es die Gleichheit der Wahl auch gebietet, dass alle Stimmen die gleichen Erfolgschancen haben. Bei der derzeitigen Sitzverteilung, so der Anwalt der Linken, Hans-Peter Schneider, gebe es ein zu starkes Gewicht für die Erststimmen – „eine Prämie auf den legalen Machtbesitz“. Der Vertreter des Landtags, Wolfgang Ewer, dagegen erklärte, die Verfassung räume dem Verhältniswahlrecht nicht einmal den gleichen Rang wie dem Persönlichkeitswahlrecht ein. „Dass bestimmte Stimmen unter den Tisch fallen, ist dem System immanent.“ Der Verfassungsgeber habe keinen vollen Ausgleich festgeschrieben.
Die Grünen zeigten sich nach der Verhandlung optimistisch: Sie hoffe, dass sich die Stimmenverteilung schon im September ändern werde, sagte Landeschefin Erika von Kalben. Auch der SSW, der nur gegen das Wahlgesetz geklagt hatte, äußerte sich zuversichtlich.