Kontrolleur schickt 53-Jährige zum Entwerten der Tickets auf den Bahnsteig. Mitreisende sind empört.
Hude/Bremen. Zufälliges Zusammentreffen unglücklicher Umstände oder systematisch schlechter Umgang mit den Kunden ? An diesem Wochenende machte die Deutsche Bahn AG erneut Negativschlagzeilen, weil eine 53-jährige Frau wegen einer nicht entwerteten Fahrkarte auf dem kleinen Bahnhof Bookholzberg aus dem Regionalzug aussteigen musste, während wenige Abteile weiter ihre drei neun bis zwölf Jahre alten Kinder allein weiter Richtung Bremen fuhren.
Wie in zahlreichen, in den vergangenen Monaten bekannt gewordenen Fällen von verbotenem Rauswurf von Minderjährigen aus Zügen , entschuldigte sich die Bahn gestern wieder fast wortgleich mit dem Hinweis auf eine "Verkettung unglücklicher Umstände".
Der Fall: Agnes F. war mit ihren drei Kindern unterwegs von Hude nach Bremen, von da aus sollte es mit dem Fernzug nach Hause in Kassel gehen. In Hude hatte die Frau ihre Fahrkarten für den Verkehrsverbund am Automaten gekauft, aber vergessen sie zu entwerten. Sie sprach darauf einen Kontrolleur im Zug an. Agnes F. nennt dessen Reaktion unwirsch. Sie solle die Fahrkarte gefälligst am nächsten Haltepunkt Bookholzberg entwerten, sagte er ihr. Dort aber war der Entwerter defekt, und ehe die 53 Jahre alte Sozialarbeiterin einen zweiten fand, klappten die Türen zu, der Zug fuhr weiter. Per Handy alarmierte die Frau aufgeregt die Bahnpolizei in Bremen, andere Fahrgäste kümmerten sich mittlerweile um die Kinder, in der Hansestadt fand schließlich die Familienzusammenführung statt. Doch da war der Fernzug nach Kassel längst weg. Agnes F., noch immer spürbar wütend, berichtete dem "Weser Kurier", der Kontrolleur habe auch noch ihre Kinder wegen der fehlenden Fahrkarten angeblafft, zum Ärger vieler Mitreisender.
Die Schilderung der Bahn unterscheidet sich deutlich: Der Mann sei kein Schaffner gewesen, sondern Kontrolleur. Er habe der Frau mit dem Hinweis auf den Entwerter einen Gefallen tun wollen, weil andernfalls die erhöhte Beförderungsgebühr von 40 Euro je Person fürs Schwarzfahren fällig geworden wäre. Dem Mann tue die Sache leid, aber er habe nicht die Möglichkeit gehabt, das ursprüngliche Ticket im Zug zu entwerten. Zudem habe er nichts von den mitreisenden Kindern gewusst und das Zurückbleiben der Frau auf dem Bahnsteig nicht bemerkt. Das Ganze sei, so ein spürbar bekümmerter Bahnsprecher in Hannover, schlecht gelaufen, zumal angesichts des defekten Entwerters letztlich die Bahn wohl auf die erhöhte Beförderungebühr verzichtet hätte.
Für Carl Waßmuth vom Bündnis "Bahn für alle" steckt hinter dem Vorfall System, und er kritisiert die brachiale Kundenpolitik der Bahn. Dirk Fischer, Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneter mit Sitz im Verkehrsausschuss, nennt den neuen Vorfall "absolut inakzeptabel". Es sei "abenteuerlich", in Ausnahmefällen die Fahrkarte nicht auch im Zug zu entwerten. Unmöglich nennt auch der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Carstensen den Vorfall: "Ist das Bahnpersonal vielleicht überlastet?", fragt er. Der grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann im Verkehrsausschuss empört sich: "Ein Schaffner ist doch kein Polizeibeamter."