Landrat Jürgen Schulz über den Riss, der durchs Wendland geht: “Wir sind nicht die kleinen Deppen hinterm Wald.“

Lüchow. Jürgen Schulz sagt, was er privat, aber eben auch von Amts wegen fühlt: "Es tut weh." Damit meint der parteilose Landrat von Lüchow-Dannenberg den tiefen Riss, der durch die Bevölkerung geht, der sich in 30 Jahren entwickelt hat, seit im Gorlebener Salzstock ein Endlager für hoch radioaktiven Müll geplant wird. Schulz glaubt: "In dieser Generation ist die Spaltung nicht zu überwinden."

An diesem Wochenende ist es wieder soweit. Zum 11. Mal rollt ein Castor-Transport, schafft Fakten, wenn elf weitere Behälter mit Atommüll in einer großen Halle in Gorleben abgestellt werden. Der Landrat wird diesen Sonnabend auf der großen Kundgebung der Atomkraftgegner sprechen.

Im Gespräch mit dem Abendblatt wirbt er um Verständnis für die Menschen, die sich nun seit 30 Jahren immer wieder querstellen. Das Thema einer Endlagerung im Gorlebener Salzstock, argumentiert Schulz, sei mit einem Autobahnbau oder einem neuen Kraftwerk nicht annähernd vergleichbar, all das sei schließlich reparabel und endlich: "Uns Menschen aber in der Region ist auferlegt worden, uns mit einer Frage auseinanderzusetzen, bei der der Zeithorizont in Hunderttausende von Jahren geht."

Dass die Menschen in anderen Teilen Deutschlands "oder schon in Uelzen" diese Belastung nicht nachvollziehen können, darüber ist sich Schulz klar: "Mag sein, wir erscheinen mit unserem Protest wie die kleinen Deppen hinterm Wald, aber in Wirklichkeit kommt das aus Betroffenheit. Ich bin bei Gott kein Schienensitzer oder Straßenblockierer, aber ich fordere ein, dass die Endlagerung in der Bundesrepublik mit größerer Sorgfalt und mehr Offenheit für Fachwissen diskutiert wird." Der Salzstock Gorleben, Schulz pocht auf den Tisch, sei Ende der 70er-Jahre eigentlich dritte Wahl gewesen, aber vom damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) ausgewählt worden, weil sich Teile der Region davon wirtschaftlichen Aufschwung versprachen und "weil es die bequem abseitige Zonenrandlage war". Genau hier sei die Politik gefordert, weil "offen ist, ob für den Standort Gorleben tatsächlich fachlich sauber entschieden wurde oder ob die Weichenstellung sachfremd war". Das Argument, in Gorleben sei bereits viel Geld investiert worden, ist für Schulz angesichts der Tragweite nebensächlich: "Wir müssen Alternativen prüfen, und das muss sich eine gut situierte Gesellschaft leisten nach bestem Wissen und Gewissen. Anders darf man mit den Menschen hier nicht umgehen."

Die unterschiedliche Einschätzung der Endlagerung, Schulz macht sich nichts vor, "reicht bei uns im Wendland hinein in die Familien und bis hin zur Geburtstagsfeier". Und wenn er an diesem Sonnabend auf der großen Kundgebung gesprochen hat, das kennt er schon, wird das anschließend das Gespräch mit der starken CDU-Opposition im Kreistag wieder lange belasten. Gute Freunde, so die Erfahrung von Schulz, haben gelernt, damit zu leben. Aber häufig sei es eben auch so, dass Menschen zueinander auf Distanz bleiben, weil da immer "die eine Frage ist, an der sich die Geister scheiden". Weswegen im Wendland, der Landrat ist spürbar berührt, "ein Stück guter politischer Kultur kaputtgegangen ist". Das gemeinsame Bier über Lagergrenzen hinweg nach der Kreistagssitzung "gibt es nicht mehr, sogar der Handschlag ist die Ausnahme". Das könne niemand nachvollziehen außerhalb des Wendlands.

Seine eigene Position sieht er "als nachdenklich, nicht widerstandskämpflerisch". Aber er kann auch nicht aus seiner Haut, geboren in Lüchow, immer hier geblieben: "Ich bin ein Kind dieser Region, lebe seit 30 Jahren mit diesem alles beherrschenden Thema Gorleben."