Norderney. Falsch verstandene Tierliebe von Urlaubern schadet jungen Seehunden in der Nordsee. Wattführer appelliert an Gäste.
Er führt seit 50 Jahren Besucher durch das niedersächsische Wattenmeer. Bernhard Onnen ist nicht nur Wattführer, sondern auch Wattenjagdaufseher auf der ostfriesischen Nordseeinsel Norderney. Und als solcher appelliert er an Touristen, junge Seehunde auch mal in Ruhe zu lassen. Falsch gemeinte Tierliebe bringe die Tiere häufig erst recht in Gefahr.
Nordsee: Urlauber gefährden junge Seehunde im Watt
Ins Watt geht Bernhard Onnen, den alle nur Bernhard nennen, schon seit 60 Jahren. Bereits als kleiner Junge ist er mit den alten Wattführern losmarschiert. Die Faszination am Watt? „Dass es jeden Tag etwas Neues zu entdecken gibt. Es sind neue Vögel zu sehen, und das Watt ist nicht immer gleich, verändert sich von Tide zu Tide.“ Zum Frühjahr hin werden sich auch die Priele wieder verändert haben. So ist das am Meer, alles ist im Fluss.
Seine Vorfahren waren Strandräuber, berichtet Onnen. „Die waren tätig als Strandpiraten“, sagt er. „Bei schlechtem Wetter standen sie mit einer Laterne am Strand, haben die Schiffe hierher gelotst, haben die Leute erschlagen und ausgeplündert. Davon konnten sie dann leben, sie hatten dann Tauschobjekte.“
Ob das alles so stimmt, was er erzählt, oder ob da jede Menge Seemannsgarn dabei ist? Das ist bei einem ostfriesischen Schnacker wie Bernhard nicht so ganz klar. Aber so oder so ist das eine skurrile Geschichte.
Nordsee: Wattführer appelliert an Urlauber
„Heute sind wir Norderneyer ja friedliebender, heute sind wir alle Aktionäre bei der Reederei. Das ist einfacher“, sagt er. Die Wattwanderer lachen aus Höflichkeit. Anekdoten beim Marsch durch den Schlick zu platzieren, gehört als Wattführer wohl genauso dazu wie die Seevögel zu bestimmen, Wattwürmer mit einer Forke herauszugraben und Muscheln und Krebse zu entdecken.
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Alle 40 Minuten kommt ein Wattwurm aus dem Schlick nach oben, erzählt Bernhard Onnen. Und zwar mit dem Schwanzende zuerst. So entstehen diese Haufen, die man auf dem Wattboden sehen kann. „Warum mit dem Schwanzende zuerst?“, will er wissen. „Weil die Austernfischer versuchen, den Wurm zu fassen. Sie bekommen aber nur das Schwanzende und schnappen dabei in den Sand am Schwanzende. Das tut dem Wurm nichts.“
Appell: Junge Seehunde in Ruhe lassen
Gerade gestern, berichtet Bernhard, habe er einer Kindergartengruppe einen Seehund im Watt zeigen können. Für ihn als ehrenamtlicher Seehundbeauftragter sei es immer stressig, wenn im Frühjahr die Seehunde ihre Jungen auf der Sandbank oder am Strand auf der Insel ablegen. „Dann joggen da die Touristen vorbei und melden sofort, dass dort ein Seehundjunges liegt.“
Sein Appell: „Nicht heran laufen, nicht fotografieren, Abstand halten und den Seehund in Ruhe lassen. Die Mama kommt nach drei, vier Stunden und holt das Kleine wieder ab.“ Das würden viele Urlauber aber nicht verstehen. „Jeder glaubt, Tiere retten zu müssen. Manche wickeln die jungen Seehunde in Decken ein und schleppen das Tier herum. Wir müssen das Junge dann in eine Kiste stecken und nach Norddeich in die Aufzuchtstation bringen. Häufig unnötigerweise, weil das Muttertier ja wiederkommt“, sagt Onnen. „Mir ist es immer lieber, die Kleinen bleiben bei Mama.“
Aufklärung bringt wohl nicht viel
Trotz der vielen Aufklärung, gehe das noch an vielen Gästen vorbei. Ist ihr Junges fort, sagt Onnen, suche die Seehundmutter einen Tag nach ihrem Baby und gibt dann auf.
Wenn er gerufen wird, lässt Bernhard den Seehund liegen, guckt ihn sich eine Zeit lang an und schaut, ob die Mutter zurück kommt. „Wenn er krank ist, nehme ich ihn gleich mit.“ Um überleben zu können, muss ein Heuler zehn Kilo auf die Waage bringen.
Als Wattenjagdaufseher ist der ausgebildete Jäger zusammen mit einem Kollegen ehrenamtlich für das Wohl der Seehunde zuständig, kümmert sich um gestrandete, verletzte, verlassene und kranke Meeressäuger. In Schleswig-Holstein heißt es Seehundjäger, in Niedersachsen Wattenjagdaufseher, manche nennen sich auch gern „Seehundmanager“.
Massentourismus gefährdet Seehunde
Ungefähr 10.000 Seehunde leben im Umfeld Norderneys. Nachwuchs bekommen die Seehunde im Mai und Juni. Ausgerechnet, wenn der Tourismus boomt, haben Seehunde ihre Wurf- und Säugezeit. Das beklagt auch der Wattenrat, ein lockerer Zusammenschluss verbandsunabhängiger Naturschützer aus der Küstenregion Ostfrieslands.
Der Wattenrat schreibt dazu: „Probleme machen diesen Meeressäugern der immer noch wachsende Massentourismus.“ Wattwanderer, tieffliegende Hubschrauber, an Wurfplätzen anlandende Sportbootfahrer oder Surfer würden die Tiere an den Liegeplätzen stören und könnten so das Muttertier vom Jungtier trennen. „Unbedachte Touristen hätscheln vermeintlich verlassene Junghunde, so dass sich das Muttertier nicht mehr an den verlassenen Junghund und laut klagenden „Heuler“ herantraut“, heißt es weiter.
Kegelrobben sind weniger gefährdet
Ab September dann brauchen die jungen Tiere ihre Mutter nicht mehr. Bernhard Onnen: „Im Oktober sind die Jungen autark. Aber wenn wir dann gerufen werden, gucken wir natürlich, ob das Tier verletzt oder krank ist.“
Weniger Sorge bereiten ihm die Kegelrobben. Denn diese bekommen ihre Jungen im Winter, wenn weniger Touristen auf der Insel sind. „Kegelrobben legen ihre Jungtiere nicht an der Wasserkante ab, sondern robben in die Dünen, legen sie dort ab, und da sind die Jungen geschützter.“ Geschützt vor den vielen Touristen.
Der Aufenthalt auf Norderney wurde freundlicherweise unterstützt von INSULAR Ferienapartments und der Reederei Frisia.