Norderney. Ana Gabriela Beutelstein ist von Mexico City nach Norderney gezogen. Sie geht täglich in der Nordsee baden – egal, wie das Wetter ist.

Langsam und zögerlich oder ohne nachzudenken einfach rein? Es gibt verschiedene Taktiken, in die elf Grad kalte Nordsee zum Baden zu gehen. Ana Gabriela Beutelstein, alle nennen sie nur Coco, macht es zackig, ohne lange zu zögern. Das war einmal anders.

Als sie von Mexiko-City nach Norderney zog, konnte sie sich nicht vorstellen, überhaupt in der Nordsee zu baden. Viel zu kalt. Heute ist das anders. Heute ist sie da radikaler.

Nordsee: Noch vor dem Frühstück ins Meer

Ein paar Aufwärmübungen im Badeanzug und ab gehts an diesem Herbstmorgen um acht Uhr in die Nordsee. Die zeigt sich an diesem Tag auf eine angenehme Weise ruppig, mit Wellen, und am Horizont ist auch noch ein Regenbogen. Was für ein schöner, fast kitschiger Morgen bei neun Grad Außentemperatur. Coco geht im Badeanzug vor in die Brandung, eine Truppe Wagemutiger hinterher. Manche laufen, andere gehen. Jeder in seinem eigenen Tempo.

Die 51-Jährige ist Gästebetreuerin und bietet für die Gäste der Insular-Ferienhäuser unter dem Motto „tagfrisch“ einen kleinen Anschub an, um noch vor dem Frühstück ins Meer zu gehen.

Elf Grad kalte Nordsee auf Norderney. Für Coco warm genug zum Baden.
Elf Grad kalte Nordsee auf Norderney. Für Coco warm genug zum Baden. © Genevieve Wood | Genevieve Wood

Eine ihrer Kundinnen geht zum vierten Mal bei diesen niedrigen Temperaturen in die Nordsee. Als Jana Klein wieder aus dem Wasser kommt, sagt sie: „Das ist so wohltuend und gibt einen Kick für den ganzen Tag.“ Die Frankfurterin ist mit Mann und ihren Söhnen, zehn und 16 Jahre alt, für eine Woche auf Norderney. „Bis auf den einen Tag, als es so stürmisch war, habe ich es jeden Morgen gemacht“, sagt die 50-Jährige, und ihre Augen haben so einen besonderen Glanz. Ihr Mann hat es nur zweimal mitgemacht. „Der ist morgens zu bequem“, sagt sie und lacht.

Bei Kälte baden fällt gemeinsam leichter

Aber wer es ausprobiert, so wie die Reporterin an diesem Morgen, stellt fest: Gemeinsam mit Anleitung fällt es leichter, sich zu überwinden. Die Dynamik einer Gruppe hilft. Alle sind in freudiger Erwartung und auch ein bisschen albern, überdreht.

Nach dem Eintauchen in die Nordsee geht es schnell zurück an den Strand, den Poncho anziehen, Socken und Schuhe. Das Schöne: Anschließend ist es angenehm warm, und diese Wärme hält einige Stunden an. Cocos Tipp: „Nach dem Baden das Salz noch auf der Haut lassen, einen Tee trinken und erst später warm duschen.“

Nordseebaden ist seit fünf Jahren Cocos tägliches Ritual

Seit fünf Jahren ist dieser morgendliche Sprung in die Nordsee Cocos Ritual. Für sie ist es das pure Leben. „Ich mag Herausforderungen“, sagt sie. Und für sie war das Leben auf Norderney die ersten Jahren eine Herausforderung. Von Mexico City, einer mehr als 22-Millionen-Einwohner-Megacity, auf eine 6000-Einwohner-Insel in Norddeutschland auszuwandern, war 2012 ein gewaltiger Schritt. Aber wenn man sich in einen Norderneyer verliebt, geht man solche Wege.

Anfangs sprach sie kein Deutsch, fühlte sich einsam. Aber Coco packt die Dinge an, die sie ändern möchte. Sie lernte zwei Jahre intensiv Deutsch, arbeitet lange Zeit in einem Bekleidungsgeschäft und schloss wenige, dafür aber intensive Freundschaften. Sich von einer Latina, die an Wärme und Hitze gewöhnt ist, zu einer Norddeutschen zu entwickeln, die bei Minusgraden im Meer badet – war dann der nächste extreme Schritt, die nächste Herausforderung, die Coco brauchte.

In Mexiko ist das Meer eher 28 Grad warm, hier derzeit um die elf Grad

Dabei war ihr zu Beginn sogar im Sommer das Wasser zu kalt. „Da gehe ich niemals rein“, meinte sie. „In Mexiko ist das Meer 28 Grad warm.“ Ihr erster Winter auf der Insel? Ein Schock. „Das war bitter. Nicht nur die Kälte, vor allem aber das fehlende Licht“, erzählt sie. „Ich dachte immer, wann kommt denn die Sonne?“ Sie war ständig erkältet.

Das hat sich erst geändert, als sie begann, täglich in der Nordsee zu schwimmen, als Klimatherapie sozusagen. Jeden Morgen fährt sie von zu Hause im Jumpsuit und Poncho und mit Mütze auf dem Kopf zu ihrer Lieblingsstelle und steigt im Sommer um 5.30 Uhr ins Meer, im Herbst und Winter erst um sieben Uhr – ab Ende Oktober immer mit Mütze, weil die Körperwärme als erstes über den Kopf entweicht. „Klar, war es zu Beginn kalt, aber es hat mir gefallen. Im Meer trainiere ich meinen Kopf, ich kann klar denken.“

Nordsee ist wie das Leben: mal ruhig, mal stürmisch

Coco formuliert das noch philosophischer: „Manchmal ist das Meer ruhig, manchmal unruhig, so wie das Leben auch.“ Im Meer sei sie einfach. Da müsse sie nichts haben, nichts machen. „Ich fühle mich wie ein Fisch in meinem Element.“ Bei so niedrigen Temperaturen ins Wasser zu gehen fällt ihr auch deshalb so leicht, weil sie damals einfach diesen Entschluss gefasst hatte, bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit im Meer zu baden.

Der Kopf und der Wille können ziemlich viel bewirken, auch wenn der Körper mit der Kälte zu Anfang noch zu hadern hatte. Das habe sich schnell gelegt, sagt Coco. „Der Körper sagt: Geh raus! Der Kopf sagt: nein.“ Der Kopf gewinnt.

Es ist ja nicht so, als schwimme sie für eine halbe Stunde. Manchmal sind es zehn Minuten oder weniger, manchmal schwimmt sie, manchmal watet sie lediglich im Wasser. Für einen Schock sorgte einmal nicht die Kälte, sondern ein Seehund, der im Morgengrauen neben ihr auftauchte. „Er schien ganz freundlich zu sein, ich bin aber schnell raus“, sagt sie und lacht.

  • Der Aufenthalt auf Norderney wurde unterstützt von Insular Ferienapartments und der Reederei Frisia.