Breitenfelde. Ein Trio schaute nicht weg, als ein Mann in Breitenfelde auf Ehefrau und deren Bekannten einstach. Wie sie ihren Einsatz heute sehen.

„Der Mann wollte töten. Das sah man in seinen Augen“, sagt Torsten Stern. „Er ließ das Messer nicht einmal mit gebrochenem Arm los“, ergänzt Raphael Wiencierz. Gemeinsam mit Oliver Grahl verhinderten die beiden 55 Jahre alten Männer am Vormittag des 20. Juni dieses Jahres, einem Dienstag, im Ortszentrum von Breitenfelde den Mord an einer Afghanin (37) und deren Bekannten (45). Die beiden Männer wurden von dem Kreisvorsitzenden der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Rainer Kaefert, jetzt für Zivilcourage ausgezeichnet. Oliver Grahl war zum Festakt in der Gemeindeverwaltung verhindert.

„Wir würden das immer wieder tun. Wir haben zwei Menschenleben gerettet. Das war das Risiko wert“, sagen die beiden 55 Jahre alten Männer übereinstimmend. Die drei mutigen Helfer hatten sich am Vormittag des 20. Juni zufällig in Breitenfelde getroffen und nie zuvor gesehen.

Breitenfelde: Drei Männer wurden plötzlich Zeuge eines versuchten Mordes und halfen

Plötzlich wurden sie Zeuge des Messerangriffs, bei dem ein 52-jähriger Asylbewerber versucht haben soll, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau (37) zu erstechen. Auch ihren Begleiter, einen 45-jährigen Freund, der die Mutter von vier Kindern beim Einkaufen unterstützte, verletzte der Angreifer lebensgefährlich. Für die drei Männer stand unabhängig voneinander fest: Hier müssen wir helfen.

Bürgermeister Hinnerk Bruhn (l.) und der Kreisvorsitzende der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Rainer Kaefert, loben die drei Männer, die am am 20. Juni in Breitenfelde einen Messerangreifer überwältigten.
Bürgermeister Hinnerk Bruhn (l.) und der Kreisvorsitzende der Opferschutzorganisation Weißer Ring, Rainer Kaefert, loben die drei Männer, die am am 20. Juni in Breitenfelde einen Messerangreifer überwältigten. © Stefan Huhndorf

Die Attacke nahm auf dem Parkplatz vor dem Netto-Markt an der Bundesstraße 207 ihren Anfang. In unmittelbarer Nähe gibt es ein Gebäude, in dem mehrere Flüchtlings-Familien untergebracht sind. Dort lebte auch die Frau mit ihren vier Kindern, die gut im Dorf integriert sind. Der siebenjährige Sohn spielt Fußball im Breitenfelder SV. „Diese Unterkunft ist zentral gelegen. Dort kann die Integration gelingen. Leider klappt das nicht immer“, erläutert Bürgermeister Hinnerk Bruhn.

Fahrlehrer war bereit, den Messermann mit seinem Auto zu überfahren

Auf dem Netto-Parkplatz war nach Polizeiangaben die Übergabe des siebenjährigen Sohnes zwischen den beiden seit geraumer Zeit getrennt lebenden Ehepartnern vorgesehen. Der Vater lebte zum Zeitpunkt der Tat in Rendsburg und war für die Übergabe angereist, die Stichwaffe hatte er dabei. Dort griff der 52-Jährige den Bekannten seiner Ehefrau mit dem Messer an. Von da aus verfolgte der Mann seine flüchtenden Opfer mehrere Hundert Meter bis zur Shell-Tankstelle an der Bundesstraße.

Dort wollten die 37-Jährige und ihr Begleiter Schutz suchen. „Ich sah einen Mann mit einem Messer die Straße entlanglaufen und dachte, ich muss helfen“, sagt Fahrerlehrer Wiencierz aus Bäk bei Ratzeburg, der mit zwei Fahrschülern unterwegs war. Er bat seine Fahrschüler, die Polizei über Notruf 110 zu verständigen und verließ den Wagen. Dann sah der 55-Jährige die blutende Frau. „Ich sprang wieder in den Wagen und wollte den Täter notfalls überfahren, um ihn zu stoppen“, so der Fahrlehrer.

Der Täter ließ sich nicht stoppen, er wollte töten

So weit kam es nicht. Denn dann verschwanden Täter und Opfer in der Tankstelle. „Ich war an der Tankstelle, um Zigaretten zu kaufen. Plötzlich kam mir ein stark blutender Mann entgegen, dem bereits Organe aus der Bauchdecke hingen. Ein anderer verfolgte ihn mit einem Messer“, berichtet der Betriebsleiter eines landwirtschaftlichen Betriebs. Er dachte nicht lange nach, stellte sich dem Messerstecher in den Weg und warf ihm einen Ständer mit Zeitschriften entgegen.

„Der Mann ließ sich nicht stoppen. Er wollte töten“, sagt Stern, der auch bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv ist. Stern und Grahl, der ebenfalls zur Tankstelle kam, verfolgten den Mann ins Freie. „Auf dem Weg griff ich nach einem Brett von einem Haufen Bauschutt. Dann haben wir den Mann überwältigt. Vor dem Messer hatte ich keine Angst“, erzählt Stern. Als die beiden den Angreifer zu Boden rissen, brach dieser sich sogar den Arm. Trotz der Schmerzen ließ der Afghane das Messer zunächst nicht los.

Die schönste Nachricht: Beide sind außer Lebensgefahr

Später konnte Grahl ihn festhalten, während sich Stern und Wiencierz in erster Linie um die stark blutende Frau kümmerten. „Sie hatte neun Stichwunden, sie war regelrecht aufgeschlitzt. Anwohner haben uns Handtücher gegeben, mit denen wir die Blutungen eindämmern konnten, bis die Rettungskräfte eintrafen“, so der Fahrlehrer. „Meine Fahrschüler haben den Wagen, während ich der Frau half, übrigens vorschriftsmäßig auf dem Parkplatz der Kreissparkasse abgestellt und auf mich gewartet“, ergänzt er.

Es dauerte über 20 Minuten, bis der erste Rettungswagen vor Ort war. Grund dafür waren die Staus, die sich vor den Absperrungen gebildet hatten, weil die Polizei den Bereich wegen einer vermuteten Amoklage weiträumig abgesperrt hatte. „Als wir dann einige Zeit später von der Kripo vernommen wurden, habe ich erfahren, dass beide außer Lebensgefahr waren. Das war für mich die schönste Nachricht“, so Wiencierz.

Bürgermeister lobt die Zivilcourage der drei tapferen Männer

„Der Hintergrund unserer heutigen Zusammenkunft ist ein schlechter, aber die Zivilcourage, die diese drei Männer an den Tag gelegt haben, ist beispielhaft. Solche Menschen, die anderen in Not helfen, werden immer weniger“, sagte Bürgermeister Hinnerk Bruhn. „Leider nehmen nicht alle Flüchtlinge in unserem Dorf die Hilfe an, die wir ihnen bieten. Immer wieder gibt es Streit in der Unterkunft. Die widerliche Tat vom 20. Juni erschüttert uns“, so der Bürgermeister weiter.

„Das vorbildliche Verhalten dieser drei Männer ist nicht selbstverständlich. Immer öfter ducken sich Menschen einfach weg, wenn andere in Gefahr sind“, betont Rainer Kaefert, Kreisvorsitzender der Opferschutzorganisation Weißer Ring. Er ehrte die Helfer mit einer Urkunde. Dass Menschen unter Einsatz ihres Lebens einem bewaffneten Täter entgegentreten, ist allerdings eine heikle Sache. „Oft reicht es schon, wenn man in solchen Fällen die Polizei und den Rettungsdienst über Notruf informiert und möglicherweise andere Menschen sucht, die ebenfalls helfen wollen, so wie es hier geschehen ist“, sagt Kaefert.

Polizei warnt davor, bewaffneten Tätern entgegenzutreten

Polizeisprecherin Jacqueline Fischer betont, dass Zivilcourage wichtig ist, aber keinesfalls die eigene Gesundheit und das eigene Leben beim Helfen aufs Spiel gesetzt werden sollte. „Wegschauen darf man ohnehin nicht. Das ist unterlassene Hilfeleistung und strafbar. Aber wichtig ist es, dass Zeugen den Notruf wählen und Einsatzkräften genau schildern, wie die Lage vor Ort ist und ob es Verletzte gibt“, so die Hauptkommissarin.

Außerdem sollten Helfer die Opfer versorgen und gegebenenfalls aus dem Gefahrenbereich ziehen, sofern das ohne Gefahr für die eigene Gesundheit möglich ist. Gut ist es auch, wenn Zeugen am Telefon bleiben und die Leitstelle über die weitere Entwicklung auf dem laufenden halten, bis die Polizei eintrifft. „Sich einem bewaffneten Täter entgegenzustellen, ist sehr riskant“, warnt sie.

Während es Urkunden und Präsente für die Helfer gab, nahmen die Opfer keine Hilfe in Anspruch. „Die Familie ist nicht an uns herangetreten und war auch nicht greifbar für ein Hilfsangebot unsererseits“, bedauert Kaefert. Generell bewegt sich die Zahl der Hilfesuchenden, die sich an den Weißen Ring wenden, auf einem sehr hohen Niveau. „Wir haben im vergangenen Jahr allein im Kreisgebiet 120 Fälle betreut. Meist ging es um Sexualdelikte, Körperverletzung und häusliche Gewalt. Häufig hängt das eine auch mit dem anderen zusammen“, so Kaefert.

Sexualdelikte und häusliche Gewalt werden ein wachsendes Problem

Zu den Opfern, die sich an den Weißen Ring wenden, zählen zunehmend Flüchtlinge. „Ich bin aktuell durchschnittlich zwei Mal die Woche im Frauenhaus in Schwarzenbek, um Opfer zu betreuen“, so Kaefert. Das Problem mit der Häuslichen Gewalt hat sich vor allem in der Corona-Pandemie verstärkt, bleibt aber weiterhin ein zentrales Thema. Der Weiße Ring finanziert sich über Spenden und hilft Opfern mit Geld, Beratung, aber auch mit der Suche nach Therapeuten und Anwälten. „Im vergangenen Jahr haben 25.000 Euro für die Opferhilfe im Kreis ausgegeben“, sagt Kaefert.