Schwarzenbek. Eine Delegation aus Schwarzenbek reist nach Aarhus, um sich über erfolgreiche Bildungspolitik zu informieren. Wir haben sie begleitet.
Erst einmal müssen die Schuhe in der Frederiksbjerg Skole ausgezogen oder Kunststoffüberzieher wie in einem Operationssaal über die Fußbekleidung gestülpt werden. Erziehung fängt in Dänemark „ganz unten“ an. Eine gut 20-köpfige Delegation aus Schwarzenbek war zwei Tage lang in der 300.000-Einwohner-Stadt Aarhus im Norden Dänemarks, um sich Anregungen für die Schule der Zukunft, aber auch für ein Bürgerzentrum in der alten Realschule an der Berliner Straße zu holen.
Unsere Zeitung hat die Delegation begleitet, wir berichten in mehreren Folgen zu dem Thema. Denn Aarhus gilt in Sachen Bildungspolitik als Leuchtturm-Projekt. Deshalb kommen Besucher aus ganz Europa in die Hafenstadt, um sich Anregungen zu holen.
Schwarzenbek muss viele Millionen Euro in Bildung und Infrastruktur investieren
Auf die Europastadt kommen in den nächsten Jahren sehr hohe Investitionen – unter anderem in den Neubau von zwei Grundschulen – zu. Dazu kommt als Pflichtaufgabe der Neubau einer Feuerwache, aber auch die Frage der Folgenutzung der ehemaligen Realschule an der Berliner Straße 12. Es gibt nur grobe Ideen für alle Projekte. Und Zahlen nennen will keiner der Beteiligten, weil es sich nur um Visionen handelt. Aber für den Bau jeder der beiden Grundschulen werden bis zu 30 Millionen Euro eingepreist, für die neue Feuerwache zwölf Millionen und auch für das Bildungszentrum sind mehr als zehn Millionen Euro in Vorplanungen vorgesehen.
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Seit dem Jahr 2015 gibt es auch die Machbarkeitsstudie für die Umnutzung der ehemaligen Realschule an der Berliner Straße als Bildungszentrum. Das Dokk1 in Aarhus könnte ein Modell dafür sein. Aktuell dient die Realschule nach langem Leerstand als Flüchtlingsunterkunft und als Domizil für das Corona-Impfzentrum. Viel drängender ist aber die Frage, wie die Stadt die beiden sehr betagten Grundschulen erneuern will.
Dokk1 könnte Modell für ein neues Bürgerzentrum sein
„Wir müssen sehen, wie weit wir springen wollen. Denn es geht auch darum, die Schulen für die nächsten Jahrzehnte fit zu machen“, betonte Bürgermeister Norbert Lütjens kürzlich im Interview mit unserer Zeitung. Wie die Schule der Zukunft aussehen könnte, auf diese Frage lassen sich in der Frederiksbjerg Skole in Aarhus Antworten finden.
Beim Besuch der Schule, die aus den wiederverwerteten Ziegelsteinen eines ehemaligen Krankenhauses errichtet wurde, damit es sich in das Umfeld er alten Gebäude rundherum einpasst, fällt erst einmal die Größe, dann aber auch die Friedlichkeit und Ruhe in den Räumen und Fluren auf. Fast Tausend Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren werden hier unterrichtet. Trotzdem gibt es keinen Lärm. Dafür sorgen schallschluckende Akustikelemente in den Decken und die schalldichten Türen der Räume.
Viel Glas sorgt für Transparenz und Sicherheit in den Räumen
Denn ein Teil des Unterrichts findet auf Agoren (Marktplätzen) vor den Klassen- und Fachräumen statt. Außerdem gibt es viel Platz für Bewegung und Spiel vor den Türen der Unterrichtsräume. Wenn die Türen in den Räumen geschlossen sind, herrscht zwar Ruhe, aber keine Abgeschiedenheit. Jede Tür ist aus Glas, die Räume sind durch Fenster sehr transparent. „Jeder soll sehen, was in den Räumen passiert. Wir passen alle aufeinander auf. Das ist sehr wichtig, damit sich jeder wohl und sicher fühlt“, sagt die Schulleiterin.
Auch das ist Teil des Konzepts: „Bei uns trägt niemand Schuhe. Das erleichtert die Reinigung. Aber Schuhe sind auch Statussymbole, wie beispielsweise bestimmte stylische Boots oder hochpreisige Turnschuhe, die sich nur gut situierte Familien leisten können. Das wollen wir nicht“, erläutert Rektorin Jette Bjorn Hansen. Das gilt auch für die Unterrichtsmaterialien. Jedes Kind hat einen Laptop unter dem Arm, selbst an den zahlreichen Sitzgelegenheiten auf den Fluren befinden sich Steckdosen, Wlan im gesamten Haus ist eine absolute Selbstverständlichkeit.
Die Zukunft der Schulen wird in jedem Fall digital sein
„Wir machen alles digital. Nur die unteren Klassen arbeiten noch voll analog mit Stift und Papier. Die Computer stellen wir, damit alle Schüler einheitlich die gleiche Technik bekommen. Wenn etwas nicht mutwillig zerstört wird, zahlen wir die Reparatur, in anderen Fällen und bei Verlust sind auch mal die Eltern in der Pflicht“, so die Schulleiterin.
Ein Kernpunkt der Erziehung ist Bewegung. Laufen ist auf den Gängen unbedingt erwünscht. „Die Kinder können besser denken, wenn das Gehirn durch Bewegung durchblutet wird“, so Jette Bjorn Hansen. Deshalb gibt es im gesamten Haus diverse Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung. Das Spektrum reicht von Laufstrecken in den Fluren über Spiele vor den Klassenzimmern bis hin zu einer Kletterhalle und der Röhrenrutsche. Aber natürlich gibt es auch Ruheräume, damit die Kinder sich einen Augenblick hinlegen können.
Am Anfang des Unterrichts sitzen erst einmal alle auf der Treppe
Alle Klassenräume sind in bestimmte Bereiche eingeteilt. Am Anfang steht die Treppe in einem Nebenraum. Dort treffen sich die Schüler zu Beginn der Stunde und setzen sich auf die Stufen. Der Lehrer bespricht mit ihnen, wie die Stunde ablaufen soll und was das Lernziel ist. Danach kann jeder individuell entscheiden, ob er alleine, in der Gruppe, auf der Treppe, im Klassenraum oder auch vor der Tür auf der Agora seine Aufgaben erfüllt. „Am Ende steht aber, dass das Lernziel erfüllt werden muss. Darauf achten wir. Der Weg dahin, bleibt dem einzelnen Pädagogen überlassen“, sagt die Schulleiterin.
Ein wichtiges Konzept neben der Bewegung ist auch die gesunde Ernährung. Das gehört zum Unterricht, aber auch in die Pause. Alle Kinder aus einer Klasse essen gemeinsam. Im Idealfall Speisen aus der Mensa, aber gerne auch mitgebrachte Mahlzeiten. Alle setzen sich dann gemeinsam an den Tisch und wenn jeder seine Mahlzeit hat, wird geklatscht. Dann herrscht zehn Minuten absolute Ruhe.
Neue Schule ist aus alten Ziegeln von einem ehemaligen Krankenhaus entstanden
Es gibt aber noch weitere Besonderheiten. „Wir haben früher in der direkten Nachbarschaft eine Schule aus dem Jahr 1909 gehabt. Ein Neubau war erforderlich, auch um neue Unterrichtskonzepte umzusetzen. Die Planung hat viele Jahre gedauert. Wir haben neue Konzepte auch in Kleinversuchen als Prototypen ausprobiert. Manches hat geklappt, anderes nicht. Alles ist in die Planung der neuen Schule eingeflossen“, erläutert Jette Bjorn Hansen.
Gerade diese Experimentierphase war ein wichtiger Baustein im Konzept der Schule. „Unterricht wandelt sich. Deshalb ist hier nichts zementiert. Wir sind ständig dabei, neue Ideen zu entwickeln und diese in unser Konzept einfließen zu lassen. Die letzte Schule hatten wir über Hundert Jahre. Diese soll genau so lange halten, aber sie wird sich ständig wandeln“, ist Jette Bjorn Hansen überzeugt.
Es gibt drei Einschulungstermine im Jahr im März, im August und im Dezember
Zum Konzept gehört auch die Offenheit. Es gibt keine Zäune. Jeder kann auf das Schulgelände, jeder kann die Laufbahn, die es umschließt nutzen oder auf den Freitreppen auf dem Hügel nebenan nutzen. Auch die Räume und Sportgeräte im Schulgebäude sind außerhalb der Unterrichtszeiten für den gesamten Stadtteil nutzbar. „Wir haben auch für die Kinder fließende Grenzen zwischen Unterricht und Freizeit. Die Schule soll ein Lebensraum und nicht nur ein Raum zum Lernen sein“, so die Schulleiterin.
Drei Stockwerke gibt es in der Frederiksbjerg Skole. „Ganz unten“ fängt die Klasse Null an, es gibt drei Einschulungstermine im Jahr im März, im August und im Dezember. In den ersten zwei Jahren werden die Kinder gemeinsam unterrichtet. Dann beginnt die Mittelstufe von Klasse drei bis sechs. Wer in die Oberstufe bis Klasse neun kommt, wird im obersten Stockwerk unterrichtet. „Die Kinder wachsen im Haus nach oben. Dann lernen sie das Fliegen und gehen auf das Gymnasium oder in den Beruf“, erläutert die Rektorin.