Mölln. Vor 30 Jahren ermordeten Neonazis in Mölln drei Menschen. Ein Verein erinnert mit besonderem Projekt an dunkles Kapitel der Stadt.

30 Jahre nach den Brandanschlägen von Mölln sei es an der Zeit, einen Klassiker der deutschen Aufklärung wiederzuentdecken, meint Dr. William Boehart, ehemaliger Chef der Archivgemeinschaft im Südkreis und Vorsitzender des Lauenburgischen Kunstvereins (LKV): die Ringparabel. Die drei Ringe stehen für die drei Weltreligionen, die Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) damit 1779 erstmals als gleichberechtigt nebeneinander stellt, für die damalige Zeit eine revolutionäre Vorstellung.

Angesichts der Krisen in der Welt sei es an der Zeit, sich die Erkenntnisse der Aufklärung wieder bewusst zu machen. Boehart: „Es geht dabei um Toleranz, die Menschenwürde und das friedvolle Miteinander als ethische Richtschnur.“

Brandanschläge von Mölln: Videoperformance zum Gedenken

In „Nathan der Weise“ lässt Lessing Sultan Saladin den weisen Nathan fragen, welche Religion denn nun die wahre sei: Christentum, Islam oder Judentum. Lessing lässt Nathan mit einer Parabel antworten: In einer Familie vererbt der Vater einen besonderen Ring immer seinem liebsten Sohn. Doch der Mann hat seine drei Söhne gleich lieb und lässt deshalb zwei identische Ringe anfertigen. Als er gestorben ist, versuchen die Kinder herauszufinden, welcher den echten Ring hat. Der Richter erklärt ihnen aber, dass ihr Vater gar nicht gewollt habe, dass sie den wahren Ring finden und sie alle an die Echtheit ihres Ringes glauben sollen.

Christian Egelhaff, Dr. William Boehart und Christian Krohn (v.l.) haben die Videoperformance, in dessen Mittelpunkt die Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise steht, konzipiert. 
Christian Egelhaff, Dr. William Boehart und Christian Krohn (v.l.) haben die Videoperformance, in dessen Mittelpunkt die Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise steht, konzipiert.  © Marcus Jürgensen | Marcus Jürgensen

Gemeinsam mit dem Mustiner Künstler Christian Egelhaff und Andreas Krohn, Leiter des Lübecker Kammerchores, hat Boehart das Projekt „Die Kraft des Ringes“ konzipiert, das am Sonntag, 18. September, auf dem Marktplatz in Mölln aufgeführt wird. Den künstlerischen Grundstoff dazu liefert Egelhaaf, der einen viele Jahre verschollenen Stummfilm aus dem Jahr 1922 über Lessings „Nathan der Weise“ in Sequenzen zeigen wird, die er mit geometrischen Formen kombiniert. Dabei werden die Videos nicht auf eine Leinwand, sondern direkt auf Häuser, Bäume und das Pflaster projiziert.

Videoperformance mit Stummfilm-Sequenzen und Musik

Musiker Krohn wird die Szenen und Effekte zusammen mit 25 Sängerinnen und Sängern des Kammerchores musikalisch untermalen. Mit dabei ist Jazz-Trompeter Ingolf Burkhardt, Mitglied der NDR-Bigband. Sigrid Dettlof, Leiterin des Lübecker Theaters Combinale, wird Auszüge aus dem in den Jahren zwischen 1934 und 1938 entstandenen Gedicht „An die Nachgeborenen“ von Bertolt Brecht (1898-1956) rezitieren. Die 45-minütige Performance wird aufgezeichnet und soll dann anderen Institutionen zur Verfügung gestellt werden.

„Wir wollen 30 Jahre danach eine andere Sichtweise einbringen. Wo stehen wir heute? Was ist wichtig für ein friedliches Zusammenleben in Zukunft. Mit einem Wort: Aufklärung“, beschreibt Boehart die Zielsetzung des Trios. Die Videoperformance „Die Kraft des Ringes“ beginnt am Sonntag, 18. September, um 20.15 Uhr auf dem historischen Marktplatz. Am Sonnabend, 17. September, gibt es zur selben Zeit eine Generalprobe.

Schulen werden in das Gedenken eingebunden

Vom 5. bis 27. November gibt es im Stadthauptmannshof (Hauptstraße 150) eine Ausstellung zu Tatorten rassistischer Gewalt in Deutschland: „30 Jahre nach Mölln: Was sind wir? Wo wollen wir hin?“ Zeitgleich ist im Museum Historisches Rathaus die Ausstellung des Hamburger Fotografen Andreas Walle „30 Jahre nach Mölln – Mölln nach Mölln“ zu sehen.

Der Verein Miteinander Leben plant zudem gemeinsam mit Schülern des Marion-Dönhoff-Gymnasiums Porträts und Interviews mit den Überlebenden der Anschläge. Ebenfalls in Planung ist eine Ausstellung mit dem Zeichner Nils Oskamp, der seine Erfahrungen mit Neonazis im Comic „Drei Steine“ thematisiert hat. Die eigentliche Gedenkveranstaltung ist dann für den Abend des 23. November geplant.

Neonazis töteten am 23. November 1992 Großmutter und Kinder

Nach Hoyerswerda im September 1991 und den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, bei denen Neonazis unter dem Beifall der Umstehenden Steine und Molotowcocktails auf Flüchtlingsheime warfen, waren die Brandanschläge in Mölln die ersten rechtsextremen Gewalttaten nach der Wiedervereinigung, die auch Todesopfer forderten.

In der Nacht auf den 23. November 1992 warfen gegen 0.30 Uhr zwei junge Neonazis Molotowcocktails in das Obergeschoss eines Hauses an der Ratzeburger Straße, gegen 1 Uhr erfolgte die Attacke auf das Haus an der Mühlenstraße 9. In den Flammen starben die damals 51-jährige Bahide Arslan, ihre zehnjährige Enkelin Yeliz und deren Cousine Ayse (14), dazu gab es neun Schwerverletzte. Die Täter hatten ihre Taten mit dem Nazi-Gruß „Heil Hitler“ stolz selbst der Polizei gemeldet. Beide wurden dank Zeugenhinweisen gefasst und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, sind jedoch seit Jahren wieder auf freiem Fuß.

Als Reaktion auf die Anschläge entstand in Mölln der Verein „Miteinander Leben“, der unter anderem in Schulen Projekte für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage fördert. Seither wird jedes Jahr am 23. November in Mölln an die Anschläge erinnert.