Lauenburg. Über ein Jahr lang war der kleine Seehund in Lauenburg zu Gast, mal am Elbufer, mal in der Marina. Doch die Sorge um ihn wuchs.

Warum es ihn nach Lauenburg verschlagen hat, wird wohl immer sein Geheimnis bleiben. Mindestens ein Jahr ist Seehund Fredo hier zu Hause gewesen. Mal wurde er dort am Elbufer gesehen, mal da. Die Lauenburger Marina hatte es ihm wohl besonders angetan. Hafenmeisterin Yildiz Frühauf war es auch, die der possierlichen Robbe den Namen gab. Doch jetzt ist das Abenteuer von Fredo zu Ende. Am Montag, 24. April, holten ihn Mitarbeiter der Seehundstation Friedrichskoog ab. Auf direktem Weg wird das Tier in seinen eigentlichen Lebensraum, die Nordsee, gebracht.

Große braune Augen, kugelrundes Gesicht und lustige Schnurrhaare – wer Fredo einmal aus der Nähe gesehen hat, vergisst ihn wohl nicht wieder. Schließlich ist es nicht gerade typisch für den Bereich der Elbe, dass sich hier Seehunde häuslich niederlassen. Zum Schluss hatte das Tier sämtliche Scheu vor den Menschen verloren.

Seehund Lauenburg: Wissenschaftler rätseln über seine lange Reise

Kamerascheu war Fredo nie, und das Medieninteresse war ihm ja auch immer sicher. Ein Fernsehteam des NDR drehte im Januar sogar einen Film über den kleinen Seehund in Lauenburg. Auch das Interesse der Wissenschaftler war schnell geweckt. Dr. Dominik Nachtsheim vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) in Hannover erforscht seit Jahren das Leben der Meeressäuger. Unter seiner Leitung lief zwischen August 2019 bis Dezember 2022 das wissenschaftliche Projekt „Tracking und Untersuchung von Seehunden in der Tideelbe“.

Aber Lauenburg? Das war auch dem Seehundexperten ein Rätsel. Immerhin hat sich der kleine Kerl von der Nordsee über den Hamburger Hafen und die Geesthachter Staustufe gut 150 Kilometer stromaufwärts bis hierher durchgeschlagen. Und selbst wenn dies der einen oder anderen Robbe in der Vergangenheit auch schon gelungen war, nie wurde eines dieser Tiere über einen so langen Zeitraum hier gesichtet. Dafür, dass Fredo keinerlei Scheu vor Menschen zeigte, hat der Wissenschaftler eine Erklärung: „Das scheint ein Jungtier zu sein, etwa ein bis zwei Jahre alt. In diesem Alter sind die Tiere überaus neugierig“, sagt er. Seehunde können zwischen 30 und 40 Jahre alt werden.

Fredo zeigte keine Scheu vor Menschen und Hunden

Das erste Mal streichelt Hafenmeisterin Yildiz Frühauf Seehund Fredo. Es ist schließlich Abschied. 
Das erste Mal streichelt Hafenmeisterin Yildiz Frühauf Seehund Fredo. Es ist schließlich Abschied.  © Privat | Privat

Doch ein Seehund ist und bleibt ein Wildtier, das auch kräftig zubeißen kann, wenn es in Bedrängnis gerät. Doch Fredo scheint weit davon entfernt. Immer häufiger wurden in den sozialen Netzwerken Fotos gepostet, auf denen die kleine Robbe seelenruhig vor den Handykameras der Menschen posierte. Obwohl Experten ausdrücklich davor warnen, ließen sich immer öfter Leute dazu hinreißen, der Robbe im wahrsten Sinne des Wortes auf den Pelz zu rücken.

Einige versuchten sogar, das Tier aus falsch verstandener Tierliebe von seinem Ruheplatz ins Wasser zu zerren. Fredo ließ das alles über sich ergehen. Nicht mal Hunde machten ihm Angst. Im Gegenteil: Sobald er einen der Vierbeiner am Elbufer sah, war seine Neugier geweckt. Nase an Nase standen sich Hund und Seehund nicht selten gegenüber. Stammt von einer dieser Begegnungen die frische Verletzung an Fredos linkem Auge?

Experten der Seehundstation Friedrichskoog vor Ort

Je mehr Fredo den Lauenburgern ans Herz wuchs, umso mehr Sorgen machten sich viele um die kleine Robbe. In den sozialen Netzwerken war seit einigen Tagen von bedenkliche Beobachtungen die Rede: „Er hat Probleme beim Fressen“, hieß es da oder „Er muss zu seinen Artgenossen“. Andere wollen beobachtet haben, dass Touristen das Tier am Lösch- und Ladeplatz an den Schwanzflossen über das Kopfsteinpflaster zogen.

In der Seehundstation Friedrichskoog gingen am vergangenen Wochenende besorgte Anrufe ein. Die Experten hatten von Fredo zwar schon gehört und sich anhand von Videos und Fotos ein Bild gemacht, jetzt wollten sie aber lieber auf Nummer sicher gehen. Am Montagvormittag machten sie sich auf den Weg nach Lauenburg, um nach der kleinen Robbe zu sehen.

Das sieht rabiat aus, aber das Netz dienst nur dazu, Fredo sicher in das Transportfahrzeug zu bringen. Sabrina Karmann, Tierpflegerin der Seehundstation Friedrichskoog (l.) und
Das sieht rabiat aus, aber das Netz dienst nur dazu, Fredo sicher in das Transportfahrzeug zu bringen. Sabrina Karmann, Tierpflegerin der Seehundstation Friedrichskoog (l.) und "Seehundjäger" Hauke Grothusen begutachten den Gesundheitszustand des Tieres. Anwohnerin Elle Nore hatte die Tierretter angerufen.   © DIRK EISERMANN | Dirk Eisermann

Fredo ahnte nicht, dass sein Abenteuer nun zu Ende sein sollte, als das Auto der Seehundstation auf dem Gelände des Wassersport-Clubs Lauenburg anhielt. Seelenruhig ließ er sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Tierpflegerin Sabrina Karmann sah es auf den ersten Blick: Fredo hatte während des vergangenen Jahres genügend Fisch in der Elbe gefangen. „Sein Ernährungszustand ist sehr gut und der kleine Cut am Auge heilt schon ab“, sagte sie. Ungewöhnlich sei lediglich, dass Fredo sämtliche Scheu vor dem Menschen verloren habe.

Zu seinem eigenen Schutz soll das Tier deshalb in die Nordsee zurückkehren. Dort trifft es seine Artgenossen. Ob Fredo sich in Lauenburg einsam gefühlt hat? Wahrscheinlich nicht. „Seehunde sind Einzelgänger, die nur an Land in größeren Gruppen zusammenliegen“, weiß Sabrina Karmann.

Übrigens: Auf der Seehundstation angekommen wurde Fredo erstmal gründlich untersucht. Dabei wurde auch das letzte Geheimnis gelüftet: Fredo ist in Wirklichkeit eine Friederike.