Lauenburg. Für ihn war das Glas sprichwörtlich immer halbvoll statt halbleer. Doch was hat sein Optimismus Lauenburg gebracht?

Eine Ära geht zu Ende. Nach zwölf Jahren endet am Freitag die Amtszeit von Bürgermeister Andreas Thiede. Viele junge Menschen, die in Lauenburg aufgewachsen sind, können sich gar nicht daran erinnern, dass es hier je einen anderen Bürgermeister gegeben hat. Als Thiede am 1. April 2011 sein Amt antrat, lag Lauenburg wirtschaftlich am Boden. Sein Vorgänger Harald Heuer hatte vorzeitig das Handtuch geworfen.

Die Erwartungen an Andreas Thiede waren hoch. Mit 71,1 Prozent aller abgegebenen Stimmen wurde er im November 2010 zum Bürgermeister von Lauenburg gewählt. Die Wahlbeteiligung lag bei überraschenden 48 Prozent. Sechs Jahre später erhielt er mit 86,6 Prozent ein klares Votum für eine zweite Amtszeit – allerdings war niemand gegen ihn angetreten.

Andreas Thiede bezeichnete Lauenburg gern als „Boomtown“. Besonders die Innenstadt wollte er aus dem Dornröschenschlaf wecken. Unter seiner Führung, so glaubten viele, werde es mit der alten Schifferstadt endlich wieder bergauf gehen. Heute zieht der 53-Jährige einen Schlussstrich. Wir sprachen mit ihm darüber, wie für ihn die Bilanz seiner Amtszeit ausfällt.

Heute ist Ihr letzter Arbeitstag als Bürgermeister der Stadt Lauenburg. Mit welchen Gefühlen machen Sie den Platz für Ihren Nachfolger Thorben Brackmann frei?

Andreas Thiede: Es ist einiges, was mich heute bewegt. Erinnerungen werden wach. Ich weiß noch, wie ich am ersten Arbeitstag mein Büro betrat. In der Ecke stand ein vertrockneter Ficus, fast ohne Blätter. Für mich stand die traurige Pflanze symbolisch für die dramatische Situation, in der sich Lauenburg damals befand. Seitdem haben sich viele Dinge zum Positiven verändert. Thorben Brackmann bringt alle Voraussetzungen dafür mit, dass es mit Lauenburg weiter nach vorn gehen wird. Ich wünsche ihm dafür alles Gute.

Apropos erster Arbeitstag. An Sie wurden damals viele Erwartungen gerichtet. Machte Ihnen der große Vertrauensvorschuss keine Angst?

Zugegeben, ich hatte schon Respekt vor der Aufgabe. Andererseits: Was hatten wir schon zu verlieren? Der Schuldenberg war riesig. Die Politik raufte sich gerade erst wieder zusammen. Lauenburg war kurz davor, durch eine Fusion mit Geesthacht die Eigenständigkeit zu verlieren. Es herrschte eine depressive Stimmung in der Stadt. So fing ich an, den Zusammenhalt zu beschwören, und bald stellten sich ja auch erste Erfolge ein. Wir konnten den Konsolidierungsvertrag mit dem Land schließen.

War das nicht viel mehr eine glückliche Fügung? Nur wenige Wochen nach Ihrem Amtsantritt hatte die Landesregierung das Konsolidierungsprogramm für hoch verschuldete Kommunen in Schleswig-Holstein beschlossen und denen damit Chancen eingeräumt, ihre Schuldenberge abzubauen. Das war doch kein Verdienst der Stadt Lauenburg.

Das stimmt. Doch aus diesem Vertrag ergaben sich knallharte, auch schmerzhafte Sparvorgaben. Hätten Politik und Verwaltung damals nicht an einem Strang gezogen, hätten wir die Konsolidierungsmittel nicht bewilligt bekommen. Doch uns allen war klar: Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, kommen wir aus dem Schlamassel nicht raus.

September 2022: Bürgermeister Andreas Thiede, Architektin Madlene Heims und Martina Wulf-Junge vom Stadtentwicklungsamt (v.l.) beim Richtfest des Medienzentrums.
September 2022: Bürgermeister Andreas Thiede, Architektin Madlene Heims und Martina Wulf-Junge vom Stadtentwicklungsamt (v.l.) beim Richtfest des Medienzentrums. © Marcus Jürgensen | Marcus Jürgensen

Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ereignisse, die die Stadt während Ihrer Amtszeit prägten?

Die Haushaltskonsolidierung hatte zunächst höchste Priorität, schon allein, um die Eigenständigkeit der Stadt zu bewahren. 2013 forderte uns das verheerende Hochwasser heraus. Zwei Jahre später mussten wir die Flüchtlingskrise bewältigen. Schließlich traf uns die Corona-Pandemie und nun die Folgen des Krieges in der Ukraine. Was man aber während all dieser Herausforderungen feststellen kann: Immer, wenn es darauf ankommt, halten die Lauenburger zusammen. Immer finden sich Menschen, die uneigennützig helfen, die Lage in den Griff zu bekommen.

Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken? Welche Entwicklung hat die Stadt aus Ihrer Sicht seitdem genommen?

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen ist es uns gelungen, dass 2012 die gymnasiale Oberstufe genehmigt wurde. Auch da haben Politik und Verwaltung endlich an einem Strang gezogen. Seitdem pendeln Schüler von außerhalb nach Lauenburg. Wir entwickelten neue Baugebiete, und auch der Wohnungsbau kam voran. Dadurch stiegen die Einwohnerzahlen von Lauenburg. Wir konnten neue Kitas und Sportanlagen einweihen. In der Innenstadt wurde das Ärztehaus gebaut und der Edeka-Neubau eingeweiht. Auf all diese positiven Entwicklungen kann nun aufgebaut werden.

Aber es sind nicht alle Pläne aufgegangen. In einem Redaktionsgespräch vor zwei Jahren zählten Sie auf, was Sie als Bürgermeister unbedingt noch erreichen wollen: die Beseitigung der Brandruine im Stadtzentrum, die Entwicklung des neuen Gewerbegebietes und die Realisierung des Hotelprojekts am Fürstengarten. Hinter keines dieser Vorhaben können Sie heute einen Haken machen. Trifft Sie das persönlich?

Nein. Anders wäre es, wenn ich nicht bis zuletzt alles versucht hätte. Es gibt gute Gründe und vor allem äußere Einflüsse, die auch ein Bürgermeister nicht ändern kann. Das gilt es zu akzeptieren.

Aber sind es nicht Gründe, die man den Bürgern hätte erklären müssen? Wäre dann nicht das Verständnis dafür größer gewesen, dass sich nach großen Ankündigungen einiger Projekte dann doch nichts tat? Nehmen wir als Beispiel das geplante Hotel am Fürstengarten.

Wer sechs Jahre an das Hotel glaubt und im siebten Jahr nicht mehr, dem brauche ich im achten Jahr nicht mit irgendwelchen Gründen kommen. Zweifler hätte ich nur noch mit Fakten überzeugen können. Eine andere Kommunikation hätte die Prozesse nicht beschleunigt. Ich hatte ja selbst nicht geglaubt, wie viele dicke Bretter gebohrt werden müssen. Nachdem die Probleme mit dem Denkmalschutz endlich abgearbeitet waren, hatten wir nach zehn Jahren endlich Baurecht. Dann kam die Corona-Krise und der Tourismus brach ein, nicht gerade förderlich für ein Hotelprojekt. Aber auch diese Hürden sind fast genommen.

Am Neujahrstag stieg auch Bürgermeister Andreas Thiede mit der DLRG in die Elbe.
Am Neujahrstag stieg auch Bürgermeister Andreas Thiede mit der DLRG in die Elbe. © Elke Richel | Elke Richel

Sie glauben also nach wie vor an das Hotel am Fürstengarten?

Auf jeden Fall! Zweifler meinen ja, es würde höchstens das angeschlossene Wohnprojekt realisiert. Aber dem ist nicht so, in dieser exponierten Lage wird das geplante Hotel gebaut. Dieses Projekt hat alle Beteiligten zusammengeschweißt. Ich freue mich darauf, wenn es in absehbarer Zeit realisiert wird und rechne das dann auch ein gutes Stück meiner Beharrlichkeit zu.

Was nehmen Sie an persönlichen Erfahrungen aus Ihrer Zeit als Bürgermeister von Lauenburg mit? Würden Sie aus heutiger Sicht Dinge anders machen und wenn ja, welche?

Ich musste feststellen, dass selbst wenn alle das wollen, Dinge nur sehr schwer zu verändern sind. Man kann noch so hochmotiviert sein, es verlangt immer mehr Kreativität, der Überregulierung in Deutschland etwas entgegenzusetzen. Außerdem musste ich lernen, dass Planungshorizonte manchmal nicht über mehrere Legislaturperioden haltbar sind, weil sich politische Mehrheiten und Interessenlagen ändern. In dieser Beziehung kann man seinen Optimismus schon mal verlieren. Im heutigen Wissen um diese Umstände hätte ich mir zu Beginn meiner Amtszeit möglicherweise ein wenig niedrigere Ziele gesetzt.

Für viele überraschend hatten Sie frühzeitig bekannt gegeben, zur Bürgermeisterwahl im November vergangenen Jahres nicht mehr antreten zu wollen. Andererseits sind Sie mit 53 Jahren noch entschieden zu jung für den Ruhestand. Wie sehen Ihre neuen beruflichen Pläne aus?

Ich hatte sehr viel Freude als Bürgermeister, aber das Amt schlaucht auch sehr. Deshalb setze ich mich jetzt nicht unter Druck, was künftige Pläne betrifft. Meine Frau hat mir über viele Jahre den Rücken frei gehalten. Jetzt freue ich mich darauf, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Im Übrigen habe ich von der Crew unseres Patenschiffes Tender Elbe etwas Wichtiges gelernt: Ein scheidender Kapitän geht von Bord und dreht sich nicht mehr um. In diesem Sinne schließe ich dieses Kapitel meiner beruflichen Laufbahn erst mal ab. Alles andere wird die Zeit zeigen.