Kiel/Lauenburg/Büchen. Neuer Bahnanbieter lässt zusätzliche Mitarbeiter in Belgrad ausbilden. Warum indes die Kritik am Wirtschaftsministerium in Kiel zunimmt.

Der Ärger um den Bahnanbieter Erixx hat den Landtag in Kiel erreicht. Neben den Verantwortlichen von Erixx und des Mutterkonzerns sowie der landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft Nah.SH sah sich auch das Wirtschafts- und Verkehrsministeriums um den neuen parteilosen Minister Claus Ruhe Madsen unangenehmen Fragen ausgesetzt. Die bundesweit beliebte Taktik, in solchen Fällen den Ärger an beauftragte Institutionen weiterzureichen, funktioniert diesmal nicht. Auch nicht gegenüber Bürgermeistern betroffener Kommunen, die Erixx sehr kurzfristig zu einem Gespräch eingeladen hatte, um die Wogen zu glätten.

Bahnchaos: Politik übt Kritik an Landesregierung

Der Ärger um die zeitweise chaotische Situation nach der Übernahme mehrerer Strecken durch den privaten Bahnanbieter Erixx Holstein ist inzwischen zu groß, als dass sich Stadtoberhäupter und Abgeordnete aus den betroffenen Regionen mit einfachen Antworten zufriedengeben mochten. Während der Erixx-Verkehr von Lüneburg über Lauenburg und Büchen bis Lübeck inzwischen im Wesentlichen nach Regelfahrplan erfolgt, gilt zwischen der Hansestadt und der Landeshauptstadt Kiel weiter ein gekürzter Ersatzfahrplan.

Nah.SH wehrt sich gegen Rolle als Prügelknabe

Hinzu kommt, dass Nah.SH-Geschäftsführer Arne Beck im Verkehrsausschuss des Landtags deutlich machte, dass er sich nicht in die Rolle des Prügelknaben drängen lassen will. In bemerkenswerter Deutlichkeit stellte Beck klar, dass Ausschreibung und Vergabe der Eisenbahnlinien zwischen Lüneburg, Lauenburg, Büchen und Lübeck sowie zwischen Kiel und Lübeck im Rahmen der politischen Vorgaben und gültigen Regeln erfolgt sind.

Diese werden, wie berichtet, im Wesentlichen durch EU-Recht bestimmt. „Neun Leitzordner sind mit den Unterlagen des Verfahrens gefüllt“, so Beck vor laufenden Fernsehkameras des Schleswig-Holsteins-Magazins. Wenn noch mehr Kontrolle und Nachhalten gewünscht sei, „dann benötigt Nah.SH auch das Personal dafür“.

Ausschreibung nach EU-Recht und politischen Vorgaben

Madsen-Vorgänger Bernd Buchholz (FDP) stellt angesichts derartiger Äußerungen und latenter Kritik an der Privatisierung von Bahnleistungen seine – neue – Oppositionsrolle zurück. Trotz der Probleme und des vorhersehbaren Mangels an Lokführern halte er das Vergabeverfahren für völlig richtig, so Buchholz, aktuell FDP-Landtagsabgeordneter.

Politik: Verkehrsministerium hat zu spät gehandelt

Minister Madsen selbst musste sich von Landtagsabgeordneten vorhalten lassen, das Ministerium sei zu lang untätig gewesen, habe viel zu spät reagiert. Auf einem kleinen Teilabschnitt im Großraum Kiel verkehren seit der Fahrplanumstellung Anfang Dezember wegen Gleisarbeiten Busse als Schienenersatzverkehr. Das Ministerium hätte schon frühzeitig „Schienenersatzverkehr vereinbaren können“ für die anderen betroffenen Strecken, kritisierte Niclas Dürbrock, SPD-Landtagsabgeordneter aus dem besonders betroffenen Kreis Ostholstein.

Wer mit  Erixx auf der Schiene von Kiel nach Lüneburg möchte, muss derzeit meist in Lübeck umsteigen.
Wer mit Erixx auf der Schiene von Kiel nach Lüneburg möchte, muss derzeit meist in Lübeck umsteigen. © dpa | Marcus Brandt

Lukas Kilian, CDU-Abgeordneter aus Stormarn, verlangt eine finanzielle Entschädigung der betroffenen Fahrgäste. Schließlich habe das Land Verkehrsleistungen bei Erixx bestellt, die nicht erbracht wurden. Wie Erixx-Holstein-Sprecherin Michelle Kränzlein am Freitag bestätigte, werde derzeit eine „Entschädigungslösung für unsere Fahrgäste“ entwickelt. „Alle Details werden spätestens Anfang Februar kommuniziert.“

Entschädigung für Erixx-Fahrgäste im Februar?

Auf Nachfrage hatte Jost Knebel, Chef der Konzernmutter Nettinera Deutschland, im Wirtschaftsausschuss des Landtags erklärt, Erixx Holstein hätte zu Beginn auch mit 50 der ursprünglich geplanten 70 Triebwagenführer den wegen Gleisarbeiten eingeschränkten Betrieb auf den übernommenen Verbindungen sicherstellen können. Doch die Krankheitswelle habe mit ihren massiven Personalausfällen zu Verspätungen und Zugausfällen geführt.

Lokführerausbildung: 70 Prozent geben auf oder fallen durch

Hinzu kommen Zahlen, die schon zuvor in der Gesprächsrunde mit den Bürgermeistern ungläubiges Stauen ausgelöst hatten. Während deutschlandweit die Durchfallerquote in der Lokführerausbildung bei etwa 20 Prozent liege, so Knebel, habe sie zuletzt bei Erixx teils 70 Prozent und mehr betragen. Gegenüber der Bürgermeisterrunde war sogar von 80 Prozent die Rede gewesen, ohne dass Gründe dafür genannt wurden.

„Zu der Bürgermeisterrunde waren offenbar diejenigen eingeladen worden, die lautstark ihren Ärger artikuliert hatten“, meint Uwe Möller, Bürgermeister von Büchen. Er hatte die Wut vieler Menschen kanalisiert, die in den ersten Wochen auf dem Umsteigebahnhof vergeblich auf ihren Zug warteten oder hier strandeten, weil sie infolge von Verspätungen ihren Anschluss verpassten.

Büchen hat 100 Beschwerden nach Kiel weiter gereicht

„Wir haben etwa 100 Beschwerden gesammelt und dann weitergegeben. In den vergangenen Tage kam gerade noch eine.“ Die Lage auf der Strecke im Herzogtum Lauenburg habe sich augenscheinlich normalisiert, so Möller. „Der Druck aus der Region hat dazu sicherlich beigetragen.“

Mit rund 70 Prozent habe die Abbrecher- und Durchfaller-Quote in den ersten fünf Kursen tatsächlich ungewöhnlich hoch gelegen, bestätigt Michelle Kränzlein. Doch Verstärkung sei in Sicht. Seit fünf Jahren kooperiere der Konzern mit der Eisenbahntechnischen Schule in Belgrad, die weit über den Bedarf in Serbien ausbilde.

„Im Schwesterunternehmen Die Länderbahn erhalten die fertig ausgebildeten Triebfahrzeugführer einen Qualifikationskursus und eine anspruchsvolle Sprachausbildung sowie die Unterstützung bei der Anerkennung ihrer Qualifikation in Deutschland über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, so Kränzlein.

Inzwischen konnten konzernweit so 37 serbische Lok- und Triebfahrzeugführer bereits erfolgreich integriert werden. Und von März an werde auch Erixx Holstein von dieser Zusammenarbeit profitieren können.

Insider warnen: Droht im Sommer das nächste Chaos?

Insidern zufolge droht im Sommer das nächste Problem: Vor der Einführung der neuen Akkuzüge, die ursprünglich schon vergangenen Dezember zur Streckenübernahme von Erixx hätten zur Verfügung stehen sollen, benötigen Lok-/Triebwagenführung eine Zusatzausbildung. Sie soll rund vier Wochen dauern – plus zwei Wochen Training.