Lauenburg/Büchen. Die Erklärungen der Bahnbetreiber und des Ministeriums leuchten ein, die Unzufriedenheit der Fahrgäste jedoch bleibt bestehen.
Ob es die geringeren Pendlerzahlen zwischen den Jahren sind, fehlende Schüler in den Weihnachtsferien oder vor allem der massiv zusammengekürzte Fahrplan, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Fakt ist: Es verspäten sich zwischen Lüneburg im Süden und Lübeck/Kiel im Norden zwar weiter Züge des neuen Anbieters Erixx. Aber längst nicht mehr im Umfang der vergangenen Wochen. Von den vielen Zugausfällen ganz zu schweigen. Das ist auch gut so: Erixx Holstein hat den Zuschlag erhalten, die Linien RE83 und RB84 13 Jahre lang zu betreiben – und eine Alternative ist nach Auskunft der Verantwortlichen nicht in Sicht.
Bahnverkehr: Eine Alternative zu Erixx Holstein ist nicht in Sicht
Es kommen immer neue Faktoren ans Licht, die zum Erixx-Fehlstart beigetragen haben. Das Kieler Wirtschafts- und Verkehrsministerium reagiert auf die Frage nach einer Neuausschreibung der Verbindung mit Zurückhaltung. „Dies würde zumindest voraussetzen, dass es eine schwerwiegende Leistungsstörung gibt, die auf absehbare Zeit nicht behoben werden kann“, sagt Ministeriumssprecher Harald Haase. Voraussetzung sei, „dass es ein Unternehmen gibt, das die Leistungen kurzfristig erbringen könnte. Dies ist regelhaft aufgrund fehlender Fahrzeuge und fehlenden Personals nicht der Fall.“
Abgesehen davon, würde dies mit großer Wahrscheinlichkeit zu erheblich ungünstigeren Konditionen führen: „Die faktischen und wirtschaftlichen Hürden sind daher hoch.“ Unvermeidbar seien Reaktionen nur, „wenn Verkehrsunternehmen den Betrieb einstellen“. Auf die Frage nach Sanktionsmöglichkeiten verweist Haase auf die vereinbarten Vergütungsregeln. „Im Grundsatz wird sofort sanktioniert, weil zum Beispiel nicht erbrachte Leistungen auch nicht vergütet werden.“
Aktuelle Problemlage von „extremer Krankheitswelle gekennzeichnet“
Genervte Fahrgäste kritisieren, dass die Schienenverbindung an ein Tochterunternehmen der Osthannoverschen Eisenbahnen AG (OHE) vergeben wurde. Neben dem Erixx-Verkehr in Niedersachsen fährt unter ihrem Dach auch der Metronom. Früher ein Vorzeigeprojekt von Privatisierungsbefürwortern hat er sich über die Jahre zu einem Ärgernis vieler Kunden entwickelt.
In Kiel ist die Wahrnehmung eine andere: „Wie bei jedem Vertrag schaut unsere Nah.SH sich natürlich auch bei Verkehrsverträgen an, wer welche Leistungen anbietet. Die Zuverlässigkeit wird bei den Ausschreibungen also sehr genau geprüft“, sagt der Ministeriumssprecher. Die aktuelle Problemlage sei stark von „unvorhersehbaren Umständen wie einer extremen Krankheitswelle gekennzeichnet“. Unter der litten bundesweit auch die Deutsche Bahn und andere Anbieter in „etablierten Netzen“, so Haase.
Schwache Vergangenheit bleibt ohne Folgen für Bewerberauswahl
Der Sprecher der landeseigenen Nah.SH GmbH verweist zur Frage der Zuverlässigkeit auf die Ausschreibungsmodalitäten. Nach den geltenden EU-Normen dürfe nur die Bewerbung selbst bewertet werden, nicht jedoch die Vergangenheit der Bewerber, erläutert Nah.SH-Sprecher Dennis Fiedel. Die hätte, je nach Einzelfall, eine Bevorzugung oder Benachteiligung gegenüber neuen Bewerbern zur Folge, die ja keine Vergangenheit haben.
Wer die Ursachen für den fulminanten Erixx-Fehlstart betrachtet, kommt zu dem Ergebnis, dass hier vieles zusammengekommen ist. Die Personalknappheit beim neuen Anbieter wurde, wie berichtet, durch eine Erkältungswelle noch massiv verschärft.
Fahrzeugübergabe von DB Regio „hat nicht gut funktioniert“
Zudem steht nicht die notwendige Zahl an Zügen zur Verfügung, weil viele defekt sind. „Die Fahrzeugübergabe von DB Regio an Erixx hat nicht gut funktioniert. Das ist korrekt, ist aber keine Schuldzuweisung“, sagt Fiedel.
Ursprünglich war vorgesehen, dass Erixx mit der Streckenübernahme vom Land bestellte, umweltfreundliche Züge mit Akku-Betrieb nutzen kann. Weil sich deren Auslieferung bis voraussichtlich Mitte 2023 verzögert, hatte Nah.SH eine Ausschreibung gemacht, um kurzfristig das benötigte fahrende Material stellen zu können. DB Regio hat mit seinen bis dahin auf der Strecke verkehrenden Zügen das Rennen gemacht. Mit den bekannten Folgen.
Erixx ist mit alten Wagen statt neuen Akkuzügen am Start
Es sei nicht optimal, wenn ein neuer Bahnanbieter mit alten Fahrzeugen an den Start gehen muss, sagt der Geesthachter Bahnexperte Gerhard Boll. Doch das Land habe reagieren müssen, habe mit der Ausschreibung einen nachvollziehbaren Weg beschritten, so der Grüne: „Dass ein vorhandener, auf der Strecke erprobter Wagenpool vorerst weiter eingesetzt wird, ist nicht das Problem.“
Sehr wohl aber dessen Zustand. Und der Umstand, dass mit der Entscheidung für die früheren Züge von DB Regio gleich auch die Wartung mitvergeben wurde. Die soll in der Kieler DB-Werkstatt geschehen, damit genau dort, wo die Erkältungswelle das Personal deutlich getroffen hat. „Jetzt rächt sich erneut, dass die Deutsche Bahn unter Hartmut Mehdorn die Schließung von Werkstätten vorangetrieben hat, um das Unternehmen für einen Börsengang zu verschlanken.“ Folge: Weil Züge nicht gewartet werden, fallen weitere Verbindungen aus.
Deutsche Bahn hat Werkstätten geschlossen, das rächt sich
Doch auch neue Züge sind keineswegs ein Garant, dass es besser läuft. So sind in Schleswig-Holstein Bombardier E-Triebwagen angeschafft worden, deren Software massive Probleme bereitet hat. Boll: „Es gelang nicht, die Wagen zu trennen. Also sind über geraume Zeit Techniker mitgefahren, um die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.“
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Neue Züge tragen zu Problemen bei
Auch einige Probleme, unter denen der Metronom aktuell leidet, wurden erst virulent, als neue Züge beschafft wurden. Die Übernahme der Zugsparte des kanadischen Herstellers Bombardier durch den französischen Konzern Alstom Anfang 2021 war an den Börsen als Elefantenhochzeit gefeiert worden, entstand damit doch der weltweit zweitgrößte Eisenbahnbauer.
Kurze Zeit später sperrte Alstom Metronom-Züge wegen möglicher Sicherheitsrisiken. Die Erkenntnis: Mit neuen Fahrzeugen wird nicht automatisch alles besser.
Am Knotenpunkt Büchen zu wenig Raum für Regios
Doch viele Probleme sind hausgemacht – aktuell entstanden oder auch Erben der Vergangenheit. Dass Regionalzüge in Büchen häufiger warten müssen, um den schnelleren IC auf der Strecke Hamburg – Berlin die Vorfahrt zu lassen, liegt nach Auffassung von Bahnkennern auch daran, dass in der Vergangenheit zu viele Überholmöglichkeiten auf der Haupttrasse abgebaut wurden. Folge: „Am Knotenpunkt Büchen ist der Plan so eng, dass dort wenig Luft für die Regios bleibt.“
Insider berichten auch, der aktuell besonders große Mangel an Lokführern sei zum Teil Ergebnis kurzsichtiger Planungen. Dabei verschlimmere sich der Nachwuchsmangel immer weiter.
Kampf um knappe Lokführer verschärft die Situation
Manche Lokführer sind oder wollten von DB Regio zu Erixx wechseln, weil sie in der Region leben, nicht umziehen wollten. Weil die Deutsche Bahn für den Halbstundentakt zwischen Hamburg und Lübeck aber selbst mehr Zugführer benötigt, tobt nun ein Kampf ums knappe Personal. Nicht immer mit einem guten Ende für den Newcomer Erixx Holstein.