Geesthacht. Künstliche Kiemen, Tauchroboter, die mit anderen interagieren – was die Geesthachter von der Tiefseeforschung erwarten.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet verstrich am 9. Juli eine Frist mit möglicherweise dramatischen Folgen für das Ökosystem der Tiefsee. Die Internationale Meeresbodenbehörde ISA hatte es nicht geschafft, innerhalb von zwei Jahren einheitliche Regeln für den Abbau von Bodenschätzen in der Tiefsee von internationalen Gewässern zu erlassen.

Ohne einen solchen „Mining Code“ muss die Behörde nun Anträge auf Abbaulizenzen bearbeiten, ohne dass verbindliche Vorgaben geschaffen wurden. Die ersten Staaten und Unternehmen sitzen bereits in den Startlöchern. Der Inselstaat Nauru im Pazifischen Ozean plant, zusammen mit einem kanadischen Bergbauunternehmen eine Lizenz zu beantragen.

Forscher aus Geesthacht bringen Licht ins Dunkel der Tiefsee

Tiefseebergbau oder auch Deep Sea Mining – die Gewinnung von Rohstoffen vom Meeresboden in einer Tiefe von 200 Metern oder mehr – ist umstritten. Kritiker befürchten eine massive Bedrohung des größten Lebensraumes des Planeten, Befürworter sehen Vorteile darin, Rohstoffe dort abzubauen, weil der Schaden kleiner sein könnte als der Abbau an Land. Der Abbau von Nickel in Regenwäldern zerstöre 30-mal mehr Leben als der Abbau in der Tiefsee, befand das Magazin Focus.

Aber ist das wirklich so? Daten aus der Tiefsee gibt es wenige, der Raum gilt als schlechter erforscht als etwa der Mond. Das soll nun anders werden. Die drei großen Meeresforschungsinstitute der Helmholtz-Gemeinschaft – das AWI in Bremerhaven, das Geomar in Kiel und das Hereon in Geesthacht – werden ihre Meerestechnik in den kommenden sieben Jahren im Großprojekt MUSE einsetzen und Forschungsgeräte und Messverfahren für die Zukunft weiterentwickeln.

MUSE steht für Marine Umweltrobotik und -Sensorik für nachhaltige Erforschung

Der Aufbau dieser Infrastruktur – die unabhängig geplant wurde von der Entwicklung um den Tiefseebergbau – wird mit 29,7 Millionen Euro durch die Helmholtz-Gemeinschaft gefördert. MUSE steht für Marine Umweltrobotik und -Sensorik für nachhaltige Erforschung, dem Schutz und Management der Küsten, Meere und Polarregionen.

Einige Hightech-Geräte sollen neu entwickelt, andere verbessert werden. Autonome Unterwasserfahrzeuge sollen später selbstständig durch die Meere gleiten, ausgestattet mit einer Vielzahl von Sensoren. Das Ziel: Unterwasserrobotik soll schneller und effektiver zum Einsatz kommen, damit die Forschung mit den Folgen von Klimawandel, Artenverlust und Umweltverschmutzung Schritt halten kann.

Was passiert mit dem Phytoplankton?

Einer der am Projekt beteiligten Wissenschaftlern ist Dr. Klas Ove Möller vom Hereon, unter anderem Experte für Plankton. „Ich glaube, dass wir den Ozean noch nicht genug verstehen“, sagt der Koordinator und nennt ein Beispiel: „Millionen mikroskopisch kleiner Algen, das sogenannte Phytoplankton, bindet das CO2 aus der Atmosphäre und transportiert dieses, wenn sie absterben und sinken, gen Meeresboden, wo es gebunden wird. Das bezeichnet man als die biologische Kohlenstoffpumpe und ist ein wichtiger Bestandteil im Klimasystem der Erde. Die abgestorbenen Algen werden auch als ,Marine snow’, also Meeresschnee bezeichnet und brauchen extrem lange, um am Meeresboden anzukommen.“

Aber wie lange, was passiert auf dem Weg nach unten, wer frisst diese Partikel, und vor allem wie viel kommt somit wirklich unten an – das alles sei nicht gut erforscht.

Plankton-Organismen aus dem Atlantischen Ozean: Die Vielfalt soll durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz besser und deutlich  schneller dokumentiert werden können.
Plankton-Organismen aus dem Atlantischen Ozean: Die Vielfalt soll durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz besser und deutlich schneller dokumentiert werden können. © Hereon Geesthacht | Hereon Geesthacht

In der ersten Phase von MUSE soll sich zunächst darüber abgestimmt werden, welche Geräte überhaupt benötigt werden. Dabei geht es auch um die Energieversorgung tief unten im Meer. Die Geräte fahren oder schwimmen durch Batterien, die irgendwann leer sind. Da die teuren Roboter nicht unten auf dem Meeresgrund bleiben sollen, müssen sie immer wieder an die Oberfläche zum Aufladen gebracht werden.

Am Geesthachter Hereon wird zudem im Rahmen des MUSE-Projektes in einmaliger Zusammenarbeit von Küstenforschung und Materialwissenschaft an künstlichen Kiemen geforscht. „Diese Kiemen könnten Batterien in der Zukunft eventuell überflüssig machen, da wir mittels spezieller Membranen den Wasserstoff aus dem Wasser zum Antrieb der Fahrzeuge nutzen könnten“, erklärt Klas Ove Möller. „Es geht darum, dass wir tiefer, länger und weiter messen können – und zudem nachhaltiger.“

Künstliche Intelligenz ist ein großes Thema

Eine entscheidende Rolle bei der Interaktion der Tiefseeroboter spielt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. „KI ist ein großes Thema“, sagt Klas Ove Möller. „Die Unterwasserfahrzeuge sollen miteinander kommunizieren können.“ Das könnte dann so aussehen, dass einer dieser über den Grund rollenden Roboter ein anderes autonomes Fahrzeug selbstständig zur Hilfe ruft, wenn er etwas entdeckt hat. Die Weiterentwicklung von Sensortechnologien ist ein weiterer Schwerpunkt des Projektes.

Vorher muss der KI aber noch beigebracht werden, was sie spannend zu finden hat. „In meinem Bereich ist KI wichtig für die Datenanalyse. Wir machen dabei nichts anderes, als das, was eine Gesichtserkennung auf dem Handy mit Gesichtern macht. Wir machen Face-Detection, aber mit Plankton“, berichtet Klas Ove Möller.

Der Computer lernt, Tiere zu unterscheiden

„Wir trainieren den Computer so, dass wir sagen, hier hast Du das Bild eines Ruderfußkrebses, hier hast Du eine Qualle, hier einen Borstenwurm. Der Computer lernt, das zu erkennen und automatisiert die Analyse. Die sagt uns dann, ihr habt soundsoviel von diesen und von jenen Organismen. Dadurch können wir Veränderungen sehen, wenn wir die Untersuchung über einen längeren Zeitraum oder im nächsten Jahr wieder machen. Welche Arten sind verschwunden, welche invasiven Arten tauchen jetzt dafür vielleicht auf? Nach sieben Jahre wollen wir einige Prozesse besser verstehen“, sagt Klas Ove Möller

Zum möglichen baldigen Beginn von großangelegtem Unterwasserbergbau hat der Meeresforscher eine klare Meinung. „Welchen Effekt haben die Aufwirbelungen zum Beispiel auf Quallen, auf den im Boden gebundenen Kohlenstoff sowie auf das ganze Ökosystem? Das wissen wir gar nicht. Ich befürchte, dass abgebaut wird, bevor wir überhaupt verstanden haben, was da unten passiert. Zur Aufklärung kann MUSE einen Beitrag leisten, da die neuen Daten und Verständnisse genutzt werden können, um politische Entscheidungsträger besser zu informieren und zu beraten“, sagt Klas Ove Möller.