Geesthacht. Dr. Jörg Stüber (79) und Dr. Hartmut Klaus (77) gehen in den Ruhestand. Warum in Geesthacht so viele Ärzte fehlen.

Nur noch bis Ende Mai hat das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) der Johanniter in der Bergedorfer Straße 31-33 in Geesthacht geöffnet. Dann gehen Dr. Jörg Stüber und sein Kollege Dr. Hartmut Klaus in den verdienten Ruhestand. Dr. Stüber wird dieses Jahr 80 Jahre alt, Dr. Klaus ist 77 Jahre alt. Nachfolger gibt es nicht. Das ist nicht nur für ihre rund 2600 Patienten ein ernsthaftes Problem. In Geesthacht und Umgebung fehlen ganz besonders viele Hausärzte.

Der Planbereich der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH), zu dem auch Lauenburg, Schwarzenbek und das Amt Hohe Elbgeest gehören, ist mit elf unbesetzten Stellen der am schlechtesten versorgte in Schleswig-Holstein. Der Versorgungsgrad beträgt 90 Prozent. Von den 51 Hausärzten im Planbezirk haben sich 20 in Geesthacht niedergelassen.

Aufnahmestopp: 2600 Patienten bald ohne Hausarzt

Die Situation der hausärztlichen Versorgung in der Stadt war auf Anregung der SPD auch Thema der jüngsten Sitzung des Geesthachter Sozialausschusses. „Viele Hausärzte haben einen Aufnahmestopp. Neubürger finden einfach keinen Arzt“, weiß Christine Backs (SPD) aus Erfahrung. Backs hat vor Kurzem ihre Eltern aus Nordrhein-Westfalen zu sich geholt und einen Platz in einem hiesigen Pflegeheim gesucht.

Die seien zwar vorhanden, aber so Backs: „Voraussetzung für eine Aufnahme ist, dass man einen Hausarzt vorweisen kann.“ Schließlich benötigen die Bewohner besonders viele Rezepte – und die muss ja jemand ausstellen. Dass Aufnahmen im Pflegeheim am fehlenden Hausarzt scheitern können, bestätigte Christoph Wieck, der Fachbereichsleiter Bildung und Soziales bei der Stadtverwaltung.

Was Ärzte von Praxisgründung abschreckt

Kürzere Behandlungszeiten wegen Personalmangel: Nachricht am Eingang der Praxis von Dr. Stüber und Dr. Klaus.
Kürzere Behandlungszeiten wegen Personalmangel: Nachricht am Eingang der Praxis von Dr. Stüber und Dr. Klaus. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Doch warum ist es so schwer, junge Ärzte für die Region zu begeistern? Apotheker Frank Techet von der Stadtapotheke betont: „Hier sind die Mieten billiger, die Abrechnungspauschalen höher und die Praxis ist sofort voll. Ärzte verdienen hier mehr als in Hamburg. Zudem ist Geesthacht mit der Natur und der Nähe zu Hamburg und Lübeck absolut lebenswert.“

So einfach ist es aber offenbar nicht. Seit Ende 2021 wirbt Geesthacht auf der Seite der KVSH für sich als Standort. Das war eine der von der KVSH empfohlene PR-Maßnahme, um dem schon länger bekannten Missstand zu begegnen. Die bisherige Resonanz ist jedoch gleich null. Wie in so vielen Bereichen mangelt es an Fachkräften. Und die wenigen, die da sind, können sich ihren Arbeitsplatz aussuchen.

Finanzielle Risiken und Administration schrecken ab

Das sind mehrheitlich Frauen. Die Quote bei den Studierenden liege bei etwa 70 Prozent. Und vor allem deren Lebensplanungen, aber auch von jungen Ärzten, sind andere als bei einem klassischen Hausarzt alter Prägung. „60 Stunden und mehr will doch keiner mehr arbeiten“, sagt Dr. Jörg Stüber. 44 Jahre war er niedergelassener Hausarzt. 20 Jahre davon in einer Gemeinschaftspraxis mit Dr. Klaus und die letzten zehn Jahre als Angestellter im Johanniter-MVZ.

„Mit einem MVZ hat man weniger finanzielle Risiken, keine administrative Belastung oder muss mit Personalknappheit kämpfen“, sagt Stüber. Zu wenig Personal ist der Grund, dass ihre Praxis aktuell zum Beispiel am Donnerstagnachmittag und Freitag geschlossen ist. Auch telefonische Anfragen sind nicht möglich.

Für Stüber liegt der Fehler im System. „Bei der 47. Neuordnung des Gesundheitswesens habe ich aufgehört zu zählen. Jetzt sind wir irgendwo über 50. Das sind alles Pseudo-Verbesserungen“, schimpft der 79-jährige Mediziner. Die Führung der Patientenakten oder die strikte Reglementierung, welches Medikament erlaubt ist, weil es weniger kostet, müssten sich wesentlich vereinfachen. „Das schreckt junge Leute ab“, sagt Stüber.

Teampraxen – die Lösung für die Zukunft?

Die Lösung: „Wo heute ein Arzt arbeite, müssten künftig zwei Ärzte eingestellt werden“, meint Stüber. Eine ähnliche Auffassung vertritt auch die KVSH. „Die hausärztliche Versorgung kann in Zukunft nur durch größere Strukturen, also beispielsweise Teampraxen, aufrechterhalten werden. Die KVSH hat ihr Förderkonzept den aktuellen Gegebenheiten angepasst“, teilt Sprecher Nikolaus Schmidt mit. Zuschüsse sind auf ein Teampraxen-Modell ausgerichtet.

Dabei wird zwischen einer Neugründung und einer Erweiterung um eine Stelle unterschieden. Bei einer Neugründung ist eine Bezuschussung von bis zu 30.000 Euro pro Vollzeitstelle möglich, bei einer Erweiterung von bis zu 20.000 Euro. Gehört eine nichtärztliche Assistenz zur Teampraxis kann dafür gesondert bis zu 10.000 Euro Zuschuss gewährt werden. Bezuschussungsfähig in Höhe von bis zu 10.000 Euro ist auch der Aufbau eines professionellen Praxismanagements.

KVSH soll in Pflicht genommen werden

„Andere Kommunen geben Starthilfe, indem sie Räume zur Verfügung stellen“, ergänzte Dr. Stüber. „Die sind in Geesthacht nicht das Problem“, hielt Bürgermeister Olaf Schulze im Sozialausschuss dagegen. Die Stadt helfe zudem bei der Suche nach Kitaplätzen und Wohnraum. „Wir müssen uns überlegen, wie Ärztinnen arbeiten wollen“, regte Nadine Noglik (FDP) an.

Vielmehr müsse die KVSH in die Pflicht genommen werden, meint Schulze. Zumal sie gemäß Paragraf 105 des Sozialgesetzbuches die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung gewährleisten muss. Gemeinsam mit Landrat Christoph Mager will Olaf Schulze das Gespräch mit der KVSH suchen, zumal auch die Versorgung von Flüchtlingen ein Problem darstellt.

Dr. Stüber und Dr. Klaus haben den Johannitern als ihrem Arbeitgeber frühzeitig erklärt, dass sie nun endgültig in den Ruhestand treten wollen. Doch alle Bemühungen die Praxis zu erhalten, scheinen gescheitert. Zuletzt ist eine potenzielle Nachfolgerin abgesprungen. Nun wird der kassenärztliche Sitz wohl an die KVSH zurückgegeben und ein dort ansässiger Gefäßmediziner (Dr. Lumma) ins Krankenhaus wechseln.

„Wir haben aus Freude an der Arbeit und der Verantwortung gegenüber den Patienten solange weitergemacht“, betont Dr. Stüber. Doch mit fast 80 Jahren will er sich jetzt anderen Dingen im Leben widmen: der Malerei und dem Ferienhaus in Frankreich.