Geesthacht. Die 63-Jährige bricht in der Wohnung der Nichte zusammen. Herzinfarkt. Kein Puls. Doch sie überlebt. So kämpfte sie sich ins Leben zurück

Etwa 66.000 Menschen in Deutschland sterben jährlich am plötzlichen Herztod, berichtet die Deutsche Herzstiftung. Es hätte nicht viel gefehlt, und Emma Katzendorn wäre als einer dieser Fälle in die traurige Statistik für das Jahr 2022 eingeflossen. Die 63-Jährige war bereits tot. 40 Minuten lang wird sie in der Wohnung ihrer Nichte in Lauenburg reanimiert, dann erst ist wieder ein schwacher Puls messbar.

Nur fünf Wochen später steht Emma Katzendorn kerzengerade vor dem geschmückten Weihnachtsbaum im Foyer des Johanniter-Krankenhauses in Geesthacht. Die Helferin in einem Pflegeheim ist zu Besuch hier, um sich für die lebensrettende medizinische Hilfe zu bedanken. Emma Katzendorn sieht vital aus. Nur ihr Rollator, der in der Zimmerecke geparkt ist, zeigt, dass doch noch nicht wieder alles beim Alten ist. Und die zwei Stents in ihrer Brust.

Der Fall Emma Katzendorn – „Ein vorweihnachtliches Wunder“, findet Dr. Keller

Seit Donnerstag ist sie für drei Wochen in der Reha-Klinik am Timmendorfer Strand. Danach soll der Rollator irgendwann wieder aus ihrem Leben verschwunden sein. Nur die Stents werden bleiben als Erinnerung daran, dass sie die Schwelle zum Tod überschritten hatte. Ein „vorweihnachtliches Wunder“, findet Dr. Christian Dirk Keller, der Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin am Johanniter. „Der vorliegende Fall ist ein Parade-Beispiel für das Ineinandergreifen interprofessioneller Medizin wie Notfallmedizin, interventioneller Kardiologie und Intensivmedizin, wobei hier im Hause eine noch bessere Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Intensivmedizin als üblich besteht, da ich zusätzlich auch selbst noch Intensivmediziner bin“, erklärt er.

Vorher: Das Röntgenbild zeigt das praktisch verschlossene Vorderwand-Herzkranzgefäß, die Pfeile wurden zur Verdeutlichung im Krankenhaus eingezeichnet.
Vorher: Das Röntgenbild zeigt das praktisch verschlossene Vorderwand-Herzkranzgefäß, die Pfeile wurden zur Verdeutlichung im Krankenhaus eingezeichnet. © Johanniter | Johanniter

„Der Fall ist wirklich etwas sehr Besonderes“, meint auch Dr. Rouven-Alexander von Holten, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin. „Ein Drittel der Patienten überleben den ersten starken Herzinfarkt nicht. Dass es so schnell einen so positiven Verlauf gibt, das erleben wir nicht so häufig.“

Der schicksalhafte 12. November ist ein Sonnabend. Emma Katzendorn fährt mit ihrem Mann Samuel aus Ziethen östlich von Ratzeburg zu ihrer Nichte. „Ich fühlte mich nicht recht wohl, sagte zu ihr, mir drückt hier etwas“, erzählt Emma Katzendorn und zeigt auf ihren Brustkorb. Die Nichte will daraufhin den Blutdruck messen. Dann geht alles sehr schnell. Emma Katzendorn geht zum Sofa, um sich hinzulegen, doch das schafft sie nicht mehr. Sie bricht zusammen. Danach weiß sie für lange Zeit nichts mehr. „Ich wollte eigentlich zuerst zu Hause bleiben, aber mein Mann sagte, ,Du kommst mit’“, erzählt sie. „Wäre ich nicht mitgefahren, dann wäre ich jetzt tot.“ Vorerkrankungen hat sie nicht. Der Zusammenbruch kommt aus heiterem Himmel.

Nachher: Hier kann wieder Blut fließen. Das Bild zeigt das Gefäß wieder als kräftig schwarz und damit durchgängig.
Nachher: Hier kann wieder Blut fließen. Das Bild zeigt das Gefäß wieder als kräftig schwarz und damit durchgängig. © Johanniter | Johanniter

Zum Glück ist die Nichte in Erster Hilfe gut bewandert, sie lernt Krankengymnastin. Und erkennt sofort den Ernst der Lage. Kein Puls. Sie beginnt mit der Reanimation, bis das alarmierte Rettungswagenteam eintrifft. Dann übernehmen die Profis. Als der Puls mit flattrigem Puckern anzeigt, dass das Leben zurückkehrt in Emma Katzendorn, wird sie, noch immer bewusstlos, ins Johanniter-Krankenhaus gefahren. Dort geht es gleich ins Herzkatheterlabor. „Ein sehr schwerer Fall. Der Hauptzufluss zum Herzen war verschlossen“, schildert Dr. Rouven-Alexander von Holten die dramatische Situation.

Das Herz schlägt wieder, aber was ist mit neurologischen Schäden?

Er weist auf die Bedeutung für die schnelle Reanimation hin. „Dänemark hatte 2002 mit einer Reanimationsausbildung für Laien begonnen, dort gibt es inzwischen eine dreimal bessere Quote bei erfolgreicher Wiederbelebung als in Deutschland, wir haben hier Nachholbedarf“, sagt er. „Es geht nicht darum, zu beatmen, sondern darum, zu drücken, damit wichtige Organe mit Blut und Sauerstoff versorgt werden.“

„Die Patientin hatte einen Herz- und Kreislaufstillstand daheim und wurde erfolgreich und professionell vom Rettungsteam inklusive Notarzt wiederbelebt. Alleine hier hat Frau Katzendorn sehr viel Glück gehabt, weil Reanimationsbemühungen auf der Straße oder zu Hause leider nicht selten erfolglos bleiben oder es trotz erfolgreicher Reanimation wegen zu großen Sauerstoffmangels im Gehirn zukünftig kein selbstbestimmtes Leben mehr möglich ist“, erklärt Dr. Christian Dirk Keller.

Auch in diesem Fall ist das zunächst unklar. Das Herz schlägt zwar wieder, aber gibt es neurologische Schäden? „Das war in den ersten Tagen nicht so einfach zu beurteilen“, berichtet Dr. von Holten. Die Ursache der Probleme war ein großer Vorderwand-Herzinfarkt durch ein verschlossenes Herzkranzgefäß. „Dieses konnte ich mit Herzkathetertechnik aufdehnen, mit Stents behandeln und dadurch wieder nachhaltig durchgängig machen“, erklärt Dr. Keller das Vorgehen.

Behandlungsergebnisse, die mit größeren Herz-Kliniken vergleichbar sind

Er bietet Patienten mit Herzbeschwerden an, sie jederzeit ohne große Bürokratie zu untersuchen. „Durch meinen Werdegang mit Ausbildung am Herzzentrum der Universitätsklinik Köln und in der AK Altona erreichen wir mit unseren Herzkathetereingriffen Behandlungsergebnisse, die mit denjenigen von größeren Herz-Kliniken vergleichbar sind“, erläutert er. „Das gleiche gilt für unsere Kollegen der Intensivstation mit Dr. von Holten an der Spitze, die Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin ebenfalls auf Niveau größerer Standorte leisten.“

Anschließend folgt eine ausgedehnte intensivmedizinische Behandlung mit maschineller Überwachung und therapeutischem Eingreifen in Vitalfunktionen wie Atmung, Kreislauf, Wasserhaushalt, Stoffwechsel, Nieren- und Leberfunktion und Ernährung. Relativ früh am 18. November wird ein Luftröhrenschnitt gesetzt für die Beatmung. Am 21. November gibt es erste Reaktionen seitens der Patientin, Emma Katzendorn arbeitet sich aus der Tiefe des künstlichen Komas langsam zurück an die Oberfläche des Bewusstseins. Am 5. Dezember verlässt sie die Intensivstation. Auch danach wird die Herzfunktion weiterhin überwacht, aber es ergeben sich keine weiteren Rhythmusstörungen. Die Überwachung wird nun immer weitmaschiger, am 13. Januar steht noch einmal ein Termin im Johanniter an. Blutdruckmittel nimmt sie schon länger, nun kommen als Medikament Blutverdünner hinzu.

Im Komatraum erscheint Emma Katzendorn die bereits verstorbene Schwester

„Ich habe ein zweites Leben begonnen“, sagt Emma Katzendorn. Aus der Zeit im Koma erinnert sie nicht viel. Einmal wacht sie kurz auf, als sich einer ihrer Söhne über sie beugt. Die erste Erinnerung mit klaren Sinnen hat sie an das Gesicht ihres Mannes. Er wacht jeden Tag am Bett. „Ich fragte: ,Wo bin ich denn’? Da haben wir beide Tränen gelassen. Danach war ich wieder weg.“ Und dann gibt es da noch eine ganz besondere Begegnung. Emma Katzendorn erscheint im Komatraum ihre Schwester. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. „Sie sagte: ,Was hast du gemacht? Ich brauche dich nicht’, und schubste mich wütend zur Seite“, erzählt Emma Katzendorn.

Am Timmendorfer Strand verbringt sie mit Blick auf die Ostsee zusammen mit ihrem Mann Samuel die Weihnachtstage. Am 1. Januar ist Emma Katzendorn zudem in Rente wie bereits der Gatte. Der übrigens eine große Unterstützung sei, lobt sie. „Wenn er früher was nicht gemacht hat, jetzt macht er alles“, sagt sie und schmunzelt. Früher wäre ihr das nicht immer recht gewesen, „aber jetzt mache ich die Augen zu und lasse ihn machen“. Das übrigens ist ihr Motto für das zweite Leben: „Alles mit Geduld, nicht schnell, nur genießen“, sagt sie.