Geesthacht. Geesthacht. Der 87-Jährige hat mehr als 30 Vögel per Hand aufgezogen – und brachte sie sogar per Flieger nach Italien.
So emsig wie an der Paket-Schlange im Erdgeschoss der Geesthachter Post (An der Post) geht es auch zwei Stockwerke höher zu. Unter dem Dachvorsprung des 1955 erbauten Gebäudes haben mehr als 30 Schwalbenpaare ihre Nester. Damit ist der Rotklinkerbau einer von fünf Standorten der Elbestadt, die auf der Beliebtheitsskala der Vögel ganz oben steht. Der Naturschutzbund (Nabu) zeichnete das Gebäude mit der Plakette „schwalbenfreundliches Haus“ aus – dabei habe die Post die Hochzeit schon hinter sich, sagt Gerd Förster.
Der 87-Jährige kümmert sich seit mehr als 40 Jahren ehrenamtlich um Schwalben, auch um die Mehlschwalben der Post. „Vor zehn Jahren hatten wir an der Post mehr als 80 Paare“, sagt Förster, der den Klimawandel als einen Grund ausmacht. „Es sind weniger Insekten da, somit fehlt es den Schwalben an Nahrung“, erklärt er. Zudem würden Schwalben in Afrika, wo die Zugvögel den Winter verbringen, gern gegessen.
Er reiste mit Vögeln bis Mailand
Gerd Förster hat mehr als 30 Tiere per Hand aufgezogen. „Sie waren aus dem Nest gefallen und wären allein nicht mehr zurecht gekommen“, sagt Förster, der für zwei Ziehkinder sogar bis nach Mailand gereist ist. „Es war schon Ende September und die Schwalben wollten einfach nicht losfliegen“, erzählt er.
Die sturen Jungvögel packte er vor zehn Jahren einfach in einen Karton und setzte sich mit ihnen in ein Flugzeug nach Italien. „Ich hatte im Fernsehen gesehen, dass das Wetter dort gut ist. Also bin ich zum Flughafen gefahren und habe die Schwalben im Handgepäck mitgenommen“, erinnert sich der Senior. Das Flughafenpersonal sei ihm sehr entgegen gekommen – auch auf der Rücktour. Denn in Mailand ließ sich nur eine der beiden Schwalben vom Losfliegen überzeugen. Die zweite kam wieder zurück nach Hamburg – wieder per Karton im Handgepäck. Die meisten Handaufzuchten würden sich aber von Försters Wohnzimmer, in dem sie ihre Runden drehen, trennen können. „Die machen sich dann in wärmere Gebiete auf den Weg“, sagt Förster, der dieses Jahr aber keine Schwalben losschickt.
Damit sich ein Schwalbenpaar einen Nistplatz herrichtet, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. „Schwalben brauchen Ton und Lehm als Bindematerial für ihr Nest“, sagt der Biologe Dr. Friedhelm Ringe vom Geesthachter Nabu. Zudem bevorzugen sie frei stehende, hohe Gebäude. „Sie mögen Häuser, um die keine Bäume stehen. So haben sie freien Flug auf ihre Nistplätze und Fressfeinde können nicht über die Bäume zum Nest gelangen“, erklärt Ringe. Das 17 Meter hohe Postgebäude passt demnach genau ins Schema – zumal Dr. Sabine Bibow und ihre Tochter Christine, denen das Haus gehört, auch schwalbenfreundlich sind.
"Schön zu sehen, wie die Schwalben hier segeln"
So haben die Gebäudeinhaber vom Vorbesitzer auf Hinweis von Gerd Förster und mit finanzieller Unterstützung er Bingolotterie Bretter, die den Schwalben zu Schutz und Anflughilfe dienen, unter dem Dachüberstand übernommen. Und die Bibows akzeptieren die kleinen Nebeneffekte, die die Rolle als Schwalbendomizil für das Gebäude und deren Nutzer mit sich bringen. „Außer, dass die Fenster verschmutzt sind, gibt es keine Einschränkungen. Aber das nehmen wir gern in Kauf. Es ist so schön zu sehen, wie die Schwalben hier fliegen und segeln“, berichtet Sabine Bibow. Beim Entfernen des Schwalbendrecks hat sie Jörg Schwager an der Seite.
Der Geesthachter reinigt regelmäßig Fenster und Wände, behält die Nester im Blick. „Dieses Jahr sind sogar neue Nester entstanden – das ist nicht jedes Jahr so“, sagt Schwager. Noch etwa bis Anfang Oktober werden Schwalben in Geesthacht ihre Flugkünste zeigen. Zu sehen sind Mehlschwalben, Rauchschwalben und Uferschwalben. Letztere stehen auf der Roten Liste II und sind besonders gefährdet. Mehl- und Rauchschwalben werden auf der „Vorwarnliste“ geführt.