Geesthacht. Volle Züge bei Sonderfahrten der AKN ab Hamburger Hauptbahnhof. Am Sonntag sorgten allerdings Sabotage-Gerüchte für Aufregung.
Auf die 19 Minuten Verspätung kam es am Ende auch nicht mehr an. Schließlich hatten die Geesthachter über 70 Jahre warten müssen, bis wieder ein Personenzug vom Hamburger Hauptbahnhof bis in ihre Stadt fuhr. Am Sonnabend (15. Juni) um 10.24 Uhr machte Lokführer Manfred Schultz dann die historische Durchsage: „Nächste Haltestelle: Geesthacht. Diese Fahrt endet hier.“
Nur Augenblicke später fuhr der fast bis auf den letzten Sitzplatz besetzte Sonderzug der AKNEisenbahn GmbH am Alten Bahnhof in Geesthacht ein. Die Eisenbahngesellschaft hat die Fahrten auf Einladung der Stadt Geesthacht organisiert. Sie steigen im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich der Verleihung der Stadtrechte vor 100 Jahren.
Nächste Haltestelle: Geesthacht. Diese Fahrt endet hier
An diesem Wochenende sind ein Diesel-Triebwagen und ein Akku-Zug für mehrere Fahrten zwischen dem Hauptbahnhof und Geesthacht beziehungsweise zwischen dem Bahnhof Bergedorf-Süd und Geesthacht im Einsatz. Die Fahrten sollen die geplante Reaktivierung der Strecke unterstützen.
„Es ist ein tolles Gefühl zu zeigen, dass es auch schon heute geht nach Geesthacht zu fahren“, strahlte Bürgermeister Olaf Schulze, der die Fahrt vom Lokführerstand aus verfolgt hatte. Ein Zustand, den viele der bahnbegeisterten Fahrgäste gar nicht wieder hergeben möchten.
„Schade, dass es nur an diesem Wochenende ist“
„Schade, dass es nur an diesem Wochenende ist“ oder „Warum fährt der nicht täglich“ waren Sätze, die häufig fielen. Auch die Familien Packheiser und Behrendt aus Börnsen beziehungsweise Escheburg sind für die Bahn. „Es wäre ein Traum, wenn die Züge immer zum Hauptbahnhof fahren würden. Die sind auch gar nicht laut“, meinte Jörn Packheiser.
„Die Straßen sind doch alle dicht“, plädiert auch Bahnfan Wolfgang Marien aus Reinbek für die Reaktivierung. Er hatte sich am Sonnabend, wie viele andere auch, den Wecker gestellt, um sich den historischen Moment nicht entgehen zu lassen.
Typisch Bahn: Erst mit Verspätung geht es los
Typisch Bahn ging es nicht ohne Verspätung los: Erst über eine halbe Stunde nach vorgesehenen Zeit fuhr der Diesel-Triebwagen Lint54 auf Gleis 11 in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs ab. Ein Eurocity-Zug hatte die Strecke wegen eines technischen Defekts blockiert. Der Sonderzug nach Geesthacht tauchte auf der Anzeigetafel übrigens zwischen Abfahrten nach Kopenhagen und Karlsruhe auf.
Mit im historischen ersten Zug saßen auch etliche Vertreter aus der Politik. Die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer (SPD) freute sich, dass Hamburg und Schleswig-Holstein zu der Erkenntnis gekommen sind, „dass man die Bahn braucht. Das war ja lange nicht der Fall.“
Aktuell läuft Vorplanung zur Reaktivierung
Ali Demirhan, Fraktionsvorsitzender der Geesthachter Grünen ergänzte: „Unsere Arbeit seit 2012 zahlt sich aus.“ Damals hatte seine Partei mit der CDU eine gemeinsame Resolution in der Ratsversammlung verabschiedet. Demirhan hob auf Hamburger Seite die Verdienste des Bergedorfer CDU-Politikers Jörg Froh hervor.
2023 hatten sich schließlich die beiden Nordländer verständigt, in die Vorplanungen zur Reaktivierung der Bahnstrecke einzusteigen. Ende des Jahres könnten laut Matthias Meyer – der AKN-Geschäftsführer saß mit im Zug – erste Teilergebnisse der Wirtschaftlichkeitsprüfung vorliegen. „Es ist etwas anderes, es selbst zu erleben, als nur die Pläne zu sehen“, stellte Oliver Brandt, Grüner Landtagsabgeordneter in Kiel fest. Und seine Kollegin Andrea Tschacher (CDU) ergänzte: „So bekommt man ein Gespür, wie es wäre.“
Vom Hauptbahnhof bis Nettelnburg geht es fix
Dazu ist festzuhalten: Auf dem Abschnitt des DB-Gleises vom Hauptbahnhof bis zum Abzweig nach Geesthacht kurz hinter dem Bahnhof Nettelnburg ging es richtig fix. Mit 140 Stundenkilometern war der Dieseltriebwagen Lint54 unterwegs und holte dabei einiges an Verspätung auf. Der Akku-Triebwagen fuhr hier später sogar mit 160 Sachen.
Währenddessen war Lars Kühl am Sonnabend der erste am Bahnhof Bergedorf-Süd. Der 54-jährige AKN-Mitarbeiter war als „Notfall-Manager“ im Dienst. Seine Hauptaufgabe: der reibungslose Ablauf am Bahnsteig. In Bergedorf-Süd bedeutete dies auch, die zweistufigen Hilfsausstiege an die richtige Stelle zu platzieren.
Strecke muss modernisiert werden
„Der Bahnsteig ist mit 38 Zentimetern Höhe viel zu niedrig für die heutigen Züge“, sagte der Eisenbahner. Normal ist in etwa das Doppelte. Für die Sonderfahrten bedeutete dies, dass die AKN den Dieseltriebwagen die Ausstiege extra umrüsten musste und trotzdem noch die Stufen anstellen musste. Klar ist, bevor hier regelmäßig Züge fahren können, ist einiges zu modernisieren.
Dazu gehört auch die vielen Übergänge an der Strecke zu sichern. Aktuell ist die Geschwindigkeit zwischen Bergedorf und Geesthacht auf 40 km/h begrenzt. „Die Vision für die Zukunft sind 100 Stundenkilometer“, sagt AKN-Geschäftsführer Meyer.
Einige Bahngegner protestieren bei Sonderfahrten
Die Reaktivierung ist zunächst nur von Geesthacht bis Bergedorf vorgesehen, wobei der Anschluss an den S-Bahnhof die wohl größte Hürde darstellt. Während der Sonderfahrten regelten ein halbes Dutzend Streckenposten die Übergänge.
Aus Sicht der Bahngegner sprechen viele Argumente dagegen. Mit Plakaten hatten rund 30 Gegner am Sonnabend in Bergedorf protestiert, entlang der Strecke hingen einige Plakate. „Dabei sind die Züge leise“, hebt Gerhard Boll, Bahnexperte der Geesthachter Grünen hervor.
Hierbei ist der Akku-Zug noch leiser als der Dieseltriebwagen – und er war noch voller, als er um kurz vor 14 Uhr im Hauptbahnhof eintraf. Viele Fahrgäste mussten mit einem Stehplatz vorliebnehmen. „Das zeigt doch, dass die Leute den Zug wollen“, betont Bürgermeister Olaf Schulze.
Dauerhafter Anschluss zum Hauptbahnhof hoch im Kurs
Die meisten Befragten wünschen sich dabei den direkten Anschluss an Hamburg. Hier bremste AKN-Chef Meyer indes die Euphorie. „Das geht erst, wenn das DB-Gleis zum Hauptbahnhof zweigleisig ist“, so Meyer. Das sei zwar Bestandteil vom Deutschland-Takt, der erst bis 2070 vollständig umgesetzt sein soll. Hamburg und Schleswig-Holstein würden allerdings darauf drängen, dass dieser Abschnitt eher fertig wird.
Positiv: Im Vergleich zur 2020 veröffentlichten Machbarkeitsstudie hätten sich laut Meyer die Zahlen mittlerweile verbessert. „Das Einzugspotenzial ist größer geworden, weil mehr Menschen in Geesthacht, Escheburg und Börnsen leben“, sagte Matthias Meyer. Die Wirtschaftlichkeit ist Voraussetzung für die Reaktivierung, nur dann fördert der Bund den Großteil der erforderlichen Summe.
Sonderfahrten bleiben im Gedächtnis
Bis dahin müssen die Bahnbefürworter in Erinnerungen schwelgen. Ein 72-jähriger Bergedorfer, der sich am Sonnabend die Ankunft des ersten AKN-Zuges nicht entgehen ließ, wusste noch, dass er im Jahr 1977 mit einer kleinen grünen Lok aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg bis nach Geesthacht gefahren ist.
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Wer bei den Sonderfahrten dabei war, dem werden derweil die Ansagen von Lokführer Manfred Schultz im Gedächtnis bleiben. Und viele von diesen wünschen sich, dass sie den Satz „Nächste Haltestelle: Geesthacht“ in nicht allzu ferner Zukunft noch viel öfter hören werden.
Während die Fahrten am Sonnabend schiedlich-friedlich abliefen, gab es am Sonntag bei einer der Fahrten zum Hamburger Hauptbahnhof am Nachmittag kurzzeitig Aufregung, nachdem der Triebwagen die Schranken am Sander Damm in Bergedorf mit einstündiger Verspätung passiert hatte. Die Gerüchteküche brodelte daraufhin im Geesthachter Bahnhofsgebäude. „Saboteure hätte Schrauben aus dem Gleis gezogen“, will einer gehört haben.
Das stimmte zum Glück nicht. Matthias Meyer konnte den Sachverhalt aufklären. So soll jemand – wahrscheinlich ein Streckenposten – ein Fahrzeug beim Pollhof in Gleisnähe gemeldet haben, dessen mitgeführtes Werkzeug er verdächtig fand. Der Zug stoppte, Schienen und Wagen wurden gründlich untersucht. Festgestellt wurde nichts, trotzdem fuhr der Triebwagenführer zunächst aus Sicherheit nur auf Sicht weiter. Die nächsten Fahrten aber liefen dann bereits wieder wie geplant.