Kreis Pinneberg. Neues Modell soll die Schulbegleitung von Kindern in insgesamt 530 Klassen vereinfachen. Schulen können die Hilfen nun selbst steuern.
Die Schulbegleitung von Kindern mit Behinderungen wird im Kreis Pinneberg komplett umgestaltet. Statt wie bisher jeden einzelnen Schüler oder jede Schülerin separat von einem Betreuer im Unterricht begleiten zu lassen, wird schrittweise in allen 530 Klassen der 52 Grund- und Gemeinschaftsschulen im Kreis jeweils eine pädagogische Klassenassistenz geschaffen.
Los geht dieses „bahnbrechende Konzept“, das landesweit einmalig sei, wie es Schulrat Dirk Janssen sagt, zum nächsten Schuljahr zunächst in den 182 Klassen von 15 Schulen in Elmshorn, Pinneberg und Barmstedt.
An 15 Schulen in Elmshorn, Pinneberg und Barmstedt geht es nächstes Jahr los
Jede einzelne Klasse wird also künftig neben der Lehrkraft eine feste zusätzliche pädagogische Fachkraft erhalten, die sich um die Kinder kümmern soll, die wegen bestimmter Einschränkungen besonderen Förderbedarf haben.
Auf diese Weise ließe sich die Schulbegleitung endlich von den Schulen selbst steuern und auch die Kosten im Rahmen halten, erklärt die zuständige Abteilungsleiterin in der Kreisverwaltung, Christiane Timmermann. „Wir haben festgestellt, dass die jetzige Schulbegleitung nicht so wirksam ist, wie sie sein sollte“, erklärt Kreisjugendamtsleiter Christoph Helms.
127 Fachkräfte werden dafür kreisweit zusätzlich benötigt – 4,1 Millionen Euro
So werde die Einführung dieser Klassenassistenzen insgesamt 127 zusätzliche Fachkräfte benötigen, heißt es dazu in einer Beschlussvorlage für den Jugendhilfeausschuss. Das werde den Kreis Pinneberg zunächst schrittweise bis zu 4,1 Millionen Euro mehr im Jahr kosten.
Aber ohne diese Umstellung würden sich die Ausgaben für die Eingliederungshilfen bis 2028 auf rund 33 Millionen Euro im Jahr für den Kreis Pinneberg verdoppelt haben. Während sie mit den Klassenassistenzen bis dahin nur auf etwa 27 Millionen ansteigen würden.
Heute betreuen bis zu fünf Begleiter ihre Schützlinge in einer Klasse
Die Schulbegleitung sei zurzeit für keine Schule mehr steuerbar. Bis zu fünf Mitarbeitende von freien Trägern betreuen inzwischen in einer Klasse ihre Schützlinge. Allein in den Grundschulen würden durchschnittlich 223 Kinder mit individuellem Förderbedarf so unterstützt, mit den Gemeinschaftsschulen seien es sogar 670 betroffene Kinder im Kreis.
Zusammen werden momentan rund 16,5 Millionen Euro dafür ausgegeben. 34 Schulbegleitungen kämen durchschnittlich jedes Jahr hinzu, was die Kosten für den Kreis jedes Jahr um etwa ein Drittel erhöhe.
Lehrer aus der Praxis loben das neue Modell
Die Schulen hätten überhaupt keinen Einfluss darauf, welche Klassen oder Schüler von welchem Träger unterstützt würden, erklärt Maja Hatje von der Birkenalleeschule in Uetersen. Zurzeit arbeiteten an ihrer Schule mit 320 Kindern 15 Schulbegleiter in den 15 Klassen. Manche hätten mehrere, andere keine solchen Schulbegleiter in der Klasse. Mit dem neuen Modell der reinen Klassenassistenzen, das an ihrer Schule bereits erprobt wird, könnte sie die Betreuung künftig selbst steuern.
Die Fachkräfte für die Klassenassistenzen wären ihre Mitarbeitenden, die sie auch gezielt in jenen Klassen einsetzen könnte, wo der Betreuungsbedarf am größten sei. Und sollte der Bedarf nicht mehr notwendig seien, könnte sie die Assistenzhilfe in andere Klassen verlagern. Im derzeitigen System werde meist ein Förderbedarf aufrechterhalten, selbst wenn die betroffenen Kinder ihn nicht mehr brauchten.
Lehrerin und Assistenzkraft bilden ein Team für jede Schulklasse
Eine Steuerung der Schule sei bisher nicht möglich, weil die Schulbegleiter von verschiedenen Trägern eingesetzt werden, über die die Schule nicht selbst verfügen könnte, erklärt die Schulleiterin. „Künftig werden die jeweilige Lehrkraft und die Klassenassistenz ein festes Team bilden.“
Die betroffenen Kinder und deren Eltern hätten natürlich weiterhin einen Rechtsanspruch auf diese individuelle Eingliederungshilfe. Daran werde sich auch mit dem neuen System nichts ändern, betont Schulrat Dirk Janssen. Aber wie sich auf mehreren Elternabenden bereits gezeigt habe, wo die Klassenassistenzen vorgestellt wurden, würden diese es geradezu begeistert begrüßen, wenn jede Klasse quasi von vornherein eine Schulbegleitung erhielte.
Auch die Eltern begrüßen das Modell, weil es ihre Kinder nicht stigmatisiert
Damit würde nämlich die Stigmatisierung der betroffenen Kinder auf einen Schlag wegfallen, die viele Eltern fürchten. „Das ist ein großer Wunsch vieler Eltern“, weiß Kreisjugendamtsleiter Helms.
Zudem würde die aufwendige Begutachtung der Kinder nicht mehr nötig sein, die oft bis zu einem Jahr dauern könnte, bis die Schulbegleitung behördlich genehmigt sei. Wenn alle Klasse von vornherein über diese Assistenzkraft verfügten. Es würde ein erhebliches Maß an Bürokratie abgebaut werden können. „Die Schulen sind sehr unzufrieden, wie es zurzeit läuft“, betont Schulrat Janssen. Sie müssten viel für die Organisation der Schulbegleitung tun, ohne dass sie diese in irgendeiner Weise beeinflussen könnten.
Jede Schule kann den Einsatz der Assistenzkräfte künftig selber steuern
Zumal die meisten Schulbegleiter keine pädagogische Ausbildung hätten, die wiederum von gut 30 verschiedenen Träger im Kreis Pinneberg eingesetzt werden. Mit dem neuen System würde jede Schule Klassenassistenzen von nur einem Träger beauftragen können, wie es zum Beispiel die Birkenalleeschule in der Pilotphase mit den Familienräumen getan habe, erklärt Schulleiterin Hatje.
Das erleichtere die Zusammenarbeit erheblich und mache auch die Arbeit für die Förderzentren leichter, die weiterhin ihre Beurteilung dazu abgeben werden. Diese Gutachten lägen aber innerhalb von sechs bis acht Wochen vor.
Kreis Pinneberg ist mit dem Modell landesweit Vorreiter
„Für unsere Schulen ist das neue System der Klassenassistenzen der absolute Durchbruch“, ist Schulrat Janssen fest davon überzeugt, die Schulbegleitung von Kindern mit Förderbedarf und Teilhabeeinschränkungen für alle Seiten besser zu machen.
Der Kreis Pinneberg betrete damit landesweit Neuland und nehme Vorbildcharakter ein. So habe Bildungsministerin Karin Prien bereits signalisiert, dass sie dieses Modell anderen Kreisen im Land empfehlen wolle.