Geesthacht. Noch ist nicht sicher, ob das Großprojekt überhaupt genehmigt wird. Trotzdem lässt der LBV jetzt schon die Bagger anrollen

Es sieht aus, als ob hier riesige Maulwürfe wühlen würden. Meterlange Wülste von aufgeworfener Erde ziehen sich auf einem Feld am nordöstlichen Rand von Geesthacht wie braune Narben quer über die grünende Flur. Passanten rätseln, was hier westlich des Worther Weges vor sich geht. Ein Schild, wer für die Arbeiten verantwortlich ist und wozu sie dienen, ist an dem Metallzaun zur Zufahrt nicht angebracht. Dort steht nur ein mobiles WC-Häuschen für die Arbeiter.

„Bei den aktuellen Arbeiten handelt es sich um erste vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen zur dauerhaften Sicherung der ökologischen Funktion“, teilt der Landesbetrieb Straßen und Verkehr Schleswig-Holstein (LBV) mit. Es sind die zum Jahresbeginn angekündigten sogenannten CEF-Maßnahmen, die nötig sind wegen der geplanten Geesthachter Ortsumgehung.

Erste Arbeiten für die Ortsumgehung Geesthacht haben begonnen

Auch wenn weiterhin nicht sicher ist, dass die Straße überhaupt genehmigt werden wird, werden vorab schon mal Ausgleichsmaßnahmen vorgenommen mit der Anlage von Knicks und der Offenlegung eines derzeit verrohrten Gewässers. Das Planfeststellungsverfahren für die Maßnahme läuft, „doch wurde einerseits dem Antrag des Vorhabenträgers auf die vorgezogene Realisierung erster Artenschutzmaßnahmen stattgegeben, und andererseits sind auch für gesamte Strecke weitere Vorbereitungen für die Baudurchführung erforderlich“, erklärte der LBV.SH den Stand der Dinge.

Jens Kalke von den Geesthachter Grünen findet es als Gegner des Bauwerks widersinnig, dass solche Arbeiten stattfinden können, bevor noch eine Genehmigung für den Bau ausgesprochen wurde. „Man versucht wohl dadurch, vollendete Tatsachen zu schaffen“, argwöhnt er.

Vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen sind gesetzeskonform

Doch die Gesetzeslage ist hier mit den Planern. „Gemäß Bundesfernstraßengesetz können auf Antrag des Vorhabenträgers bereits während des noch laufenden Planfeststellungsverfahrens im Rahmen einer vorläufigen Anordnung vorbereitenden Maßnahmen oder Teilmaßnahmen zum Bau festgesetzt werden“, heißt es vom LBV.SH. Dem sei stattgegeben worden. „Durch die Vorarbeiten wird nicht über die Ausführung der Straße entschieden“, darauf weist eine amtliche Bekanntmachung hin.

Die Erdschüttungen sind für die Knickwälle vorgesehen, die später noch profiliert und bepflanzt werden. „Die Knickwälle dienen als CEF-Maßnahme für die Haselmaus“, erklärt der LBV. Erst wenn ihre Funktionsfähigkeit gegeben sei, könne die Umsiedlung beziehungsweise Abwanderung der Haselmäuse erfolgen und mit dem Bau der Trasse in dem Bereich, in dem die Tiere bislang lebten, begonnen werden. Bis zur Wirksamkeit sollen drei Vegetationsperioden vergehen. Die für diese Knickwälle benötigte Erde wurde nicht etwa angeliefert, sondern durch den Aushub für das neue Gewässer gewonnen.

In den Knicks soll die Haselmaus leben können.
In den Knicks soll die Haselmaus leben können. © dpa-Zentralbild | Walter Tilgner

Im April erfolgt die Bepflanzung der Knicks und anschließend die Entwicklung der Fläche zum Extensiv-Grünland durch eine Aushagerung - die Verminderung des Nährstoffgehaltes - über drei Jahre. Im Zuge des Straßenbaus soll der hergestellte Gewässergraben an die bestehenden Rohrleitungen angeschlossen und das Wasser umgeleitet werden. Die Arbeiten sind mit den Pflanzungen im April zunächst abgeschlossen, später schließt sich eine Entwicklungspflege an. Auch ein Laubwald soll hier entstehen.

Weitere Artenschutzmaßnahmen sollen im Herbst folgen

Vertreter des Geesthachter Fachdienstes Umwelt waren im Vorfeld der Arbeiten bei einem Ortstermin dabei zum Informationsaustausch zu den Bauarbeiten. Vor Ort waren die Netzbetreiber, der ehemalige Eigentümer der Fläche und die Stadtverwaltung Geesthacht. Thematisiert wurden unter anderem die Zuwegung, vorhandene Drainagen, Abstände zu Freileitungen hinsichtlich der Bepflanzung und Knickpflege. Weitere Maßnahmen zum Ausgleich für Artenschutz sollen voraussichtlich im Herbst erfolgen.

Neben der zurzeit mit dem Bagger bearbeiteten Fläche soll eine weitere Fläche aufgeforstet werden, auch deswegen ging es in den Gesprächen um die Zuwegung und die Höhen-Abstände zu Freileitungen. Darüber hinaus ist die Stadtverwaltung nicht in die Arbeiten involviert. Die im Norden und Westen an die Fläche angrenzenden Knickwälle gehören der Stadt. Es ist geplant, diese an den LBV zu veräußern. Die Knicks bleiben in ihrer jetzigen Form aber erhalten. Die Fläche, auf der sie jetzt hergestellt werden, gehört nicht der Stadt. Der LBV strebt an, sie von einem Landwirt zu kaufen.

Gegner der Umgehungsstraße bekräftigen Kritik

Die Arbeiten bei der geplanten Trasse, wodurch die Umgehungsstraße zum ersten Mal für die Geesthachter von einem fiktiven Stadium in greifbare Nähe gerückt wird, nimmt Jens Kalke zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass es ein Irrtum sei, zu glauben, die angespannte Verkehrssituation in Geesthacht würde sich mit der Umgehungsstraße in Wohlgefallen auflösen.

Denn einige Straßen, auch innerorts, würden ganz und gar nicht von der 161 Millionen Euro teuren und umweltzerstörenden Baumaßnahme profitieren, in einigen Bereichen würde die Belastung deutlich zunehmen. Jens Kalke verweist auf eine Tabelle für den Nahbereich um Geesthacht, die zum Erläuterungsbericht für die Planung der Trasse erstellt wurde. Gewinner wären nach den Zahlen der Analyse von 2015 die Anwohner entlang der B5 von Besenhorst im Westen bis zum Nordwesten von Grünhof-Tesperhude.

Der Durchgangsverkehr würde sich demnach für sie spürbar auf die Umgehungsstraße verlagern. Trotzdem blieben noch genug Fahrzeuge übrig, die weiterhin quer durch die Stadt fahren würden. Bei einem Ausgangswert von insgesamt 29.100 Pkw/1.620 Lkw täglich auf dann immer noch 17.200 Pkw/1.050 Lkw im Jahr 2030. Ohne die Umgehungsstraße sollen in diesem Jahr auf der alten Route 32.300 Pkw/2520 Lkw rollen.

Verkehr könnte an anderen Stellen zunehmen

Aber es gibt einige Verlierer. So zeigen die Zahlen der Planer, dass der Verkehr auf dem Weg zu den Anschlussstellen Geesthacht-Nord, südlich von Hamwarde und nach dem Ende der Umgehungsstraße Richtung Lauenburg stärker zunehmen würde, als wenn gar keine Umgehungsstraße gebaut worden wäre.

Der Verkehr stiege im ebenfalls jetzt schon viel befahrenen Richtweg von 8.500 Pkw/440 Lkw auf 11.100 Pkw/830 Lkw, ohne Umgehung wären es im Jahr 2030 „nur“ 10.100 Pkw/570 Lkw. Die fast gleichen Daten werden für die B404 ab Ortsumgehung und weiter nach Hohenhorn angenommen, für die Geesthachter Straße steigen die Zahlen von 4.900/390 auf 6.600/600. Das sind 1.100 Pkw und 90 Lkw mehr als ohne Umgehung. Das Geschehen westlich und nordöstlich bei Grünhof-Tesperhude spitzt sich zu, von 17.600 auf 21.600 Pkw, der Schwerlastverkehr steigt von 1000 um das doppelte auf 2.000 Lkw. Ohne Umgehung wären es hier nur 18.500 Pkw bzw. 1350 Lkw

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Gut elf Kilometer lang soll die Geesthachter Umgehungsstraße werden. Vom Ende der A25 führt sie den Geesthang hinauf und in einem Bogen weiter bis zum Ende bei der Einmündung auf die B5 kurz vor Grünhof-Tesperhude. Nötig werden 15 Brücken – eine 530 Meter lange Großbrücke den Elbhang hinauf ist das längste Einzelbauwerk.

Zweiter Vorhabenträger neben dem LBV.SH ist die Autobahn GmbH des Bundes, zuständig für den vier Kilometer langen Abschnitt vom Ende der A25 bei Escheburg bis zur Anschlussstelle Geesthacht Nord. Die Ortsumgehung ist im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans eingestellt, der Planfeststellungsbeschluss war bereits im Jahresverlauf 2023 erwartet worden.

Sollte er demnächst vorliegen, sind Klagen wahrscheinlich. Sie könnten kommen von der Gemeinde Hohenhorn, vom Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), vom Pferdehof Pfeiffer aus Escheburg und dem Gut Hasenthal.