Lauenburg. Die Lebensmittelretter helfen Menschen, über die Runden zu kommen. Jeder Betroffene hat seine persönliche Geschichte.

Die Zahlen des statistischen Bundesamtes sind erschreckend: Jedes Jahr landen in Deutschland elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Auf der anderen Seite müssen immer mehr Menschen den Euro dreimal umdrehen, ehe sie ihn ausgeben. Zwischen 2021 und 2023 sind Nahrungsmittel um fast 30 Prozent teurer geworden.

„Das kann man doch so nicht hinnehmen“, sagt Manfred Fichte und packt eine Kiste Mandarinen auf die Bank im Wartebereich am Lauenburger ZOB. Als vor über zwei Jahren auch die Lauenburger Tafel coronabedingt die Ausgabe einstellen musste, hörte der 67-Jährige zum ersten Mal von der deutschlandweiten Initiative Lebensmittelretter. Diese Idee ließ ihn nicht mehr los. „Vieles, was in der Tonne landet, ist noch essbar. Statt es vergammeln zu lassen, sollen die Menschen etwas davon haben, die mit wenig Geld auskommen müssen“, findet er. Das hat sich herumgesprochen.

Lebensmittelretter Lauenburg: Mandarinen und Schokolade sind Luxus

Schon bevor Manfred Fichte und seine Mitstreiter die Kisten mit den Lebensmitteln ausgepackt haben, hat sich eine lange Schlange vor dem Glaspavillon gebildet. Feste Ausgabezeiten gibt es nicht, es spricht sich über Telefonketten und die sozialen Netzwerke herum, wann die Lebensmittelretter wieder in Lauenburg sind. Dörthe Marten hat sich mit ihrem Rollator bereits vor einer halben Stunde in die Schlange eingereiht. Eine Nachbarin habe ihr erzählt, dass es am ZOB wieder Obst, Konserven und diesmal sogar Schokoweihnachtsmänner gebe. Die Rentnerin hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Sie möchte nicht fotografiert werden, auch ihren richtigen Namen nicht sagen. „Ich bin froh, dass die Leute da sind. Sie sagen, sie retten Lebensmittel, aber eigentlich auch Menschen“, sagt die Lauenburgerin.

Noch vor Beginn der Ausgabe durch die Lebensmittelretter bildet sich eine Schlange im Wartebereich des ZOB.  
Noch vor Beginn der Ausgabe durch die Lebensmittelretter bildet sich eine Schlange im Wartebereich des ZOB.   © Elke Richel | Elke Richel

Nein, verhungern würde sie auch ohne diese Hilfe nicht, sagt sie. Aber Mandarinen oder gar Schokolade könne sie sich von ihrer kleinen Rente nicht leisten. Zur Lauenburger Tafel gehe sie nur ab und zu. „Dort ist die Schlange noch länger und das machen meine Beine nicht mehr mit“, sagt sie. Astrid Nachtigall packt ihr Obst, ein paar Zwiebeln, Mischgemüse, Kirschkompott und drei kleine Schokoweihnachtsmänner in ihren Beutel. „Die haben wir heute stiegenweise bekommen, wie immer nach den Feiertagen“, sagt die Lauenburgerin, die seit einem Jahr zum Team der Lebensmittelretter gehört.

Keine festen Ausgabezeiten der Lebensmittelretter

Manfred Fichte fährt die Geschäfte und Supermärkte der Umgebung mit seinem Privatfahrzeug an. Anders als die Tafel dürfen die Retter keine Lebensmittel verteilen, die gekühlt werden müssen. „Wenn die Tafel keine Ausgabe hat, etwa zwischen den Feiertagen, dann sind die Geschäfte froh, in uns Abnehmer gefunden zu haben“, hat er die Erfahrung gemacht. Manchmal gebe es gleich mehrere Stiegen Senf, ein anderes Mal kistenweise Eintopfkonserven. Zum Glück alles haltbare Produkte. Obst und Gemüse sammeln die Lebensmittelretter dagegen vor jedem Ausgabetag ein. Bevor sie die Kisten ausladen, zupfen sie welke Blätter ab oder sortieren einzelne Früchte aus.

Feste Ausgabezeiten können die Lebensmittelretter nicht anbieten: Sie wissen nie genau, wann sie welche Konserven kurz vor Ablauf des Verfallsdatums retten werden. Auf dem Ausgabetisch liegt ein kleines Heft. Wer mag, kann eine Telefonnummer hinterlassen und wird dann angerufen, wenn die nächste Ausgabe bevorsteht. Wer kann, zahlt zwei Euro für den vollen Warenkorb, davon werden zumindest zum Teil die Spritkosten der Lebensmittelretter bezahlt. „Wenn das Geld besonders knapp ist, wird eben bezahlt, wenn es passt. Vielleicht beim nächsten Mal“, sagt Astrid Nachtigall.

Zusammenschluss „vernünftiger Menschen“

Die Lauenburger Lebensmittelretter sind kein eingetragener Verein. „Wir sind ein Zusammenschluss vernünftiger Menschen“, sagt Manfred Fichte. Den sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln habe er von seiner Oma gelernt, das Teilen auch. „In den letzten Kriegstagen tauschte sie ihren Ring gegen ein Brot. Davon hat sie die Hälfte ihrer Nachbarin abgegeben“, erzählt er. Von dieser Geschichte habe er erst bei der Beerdigung seiner Großmutter erfahren, aber sie habe ihn bestärkt, das Team der Lebensmittelretter zusammenzuhalten.

Auch die Lauenburgerin Gerda Rönne gehört dazu. Obwohl ihr 80. Geburtstag schon eine Weile hinter ihr liegt, ist sie dabei, wenn sie bei der Ausgabe gebraucht wird. Vor mehr als 20 Jahren war sie Mitbegründerin der Lauenburger Tafel. „Wir hätten damals nicht gedacht, dass es solange nötig sein wird, in Lauenburg Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen“, sagt sie.

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Auf der Suche nach einem neuen Ausgabeplatz

Ganz ohne Genehmigungen geht es natürlich auch bei den Lauenburger Lebensmittelrettern. Von der Stadt liegt die Genehmigung vor, am ZOB die Waren ausgeben zu dürfen. Natürlich könne sich die Verwaltung darauf verlassen, dass nach der Lebensmittelausgabe nichts mehr davon zu sehen ist, versichert Manfred Fichte.

Sorgen bereitet ihm allerdings der bevorstehende Abriss des Wartebereiches. Noch in diesem Jahr soll der Lauenburger ZOB komplett umgestaltet werden. „Ob wir in der Stadt einen neuen Platz finden werden, ist derzeit noch völlig unklar. Wir wissen nur, wir werden dringend gebraucht“, sagt der Initiator der Lebensmittelretter.