Lauenburg. Wenn Eltern den Euro dreimal umdrehen müssen, betrifft das vor allem die Kinder. Eine Familie erzählt, wie es ihr damit geht.
Merle und ihr Bruder Leon sind so aufgeregt, wie es Kinder zu dieser Zeit nur sein können. Kein Wunder, gleich werden sie den Weihnachtsmann treffen. Und sie dürfen zwei der Geschenke mitnehmen, die die Mitarbeiter der StadtverwaltungLauenburg in diesem Jahr für das Weihnachtshilfswerk gepackt haben. In diesem Jahr waren es 250 Pakete, so viele wie noch nie.
Die neunjährige Merle und ihr drei Jahre jüngerer Bruder leben in einer Familie, die nach den in Deutschland geltenden Kriterien als arm gilt. Das ist der Fall, wenn ein Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren im Monat weniger als 2625 Euro zur Verfügung hat. Seit fast 29 Jahren ermöglichen Spenden von Unternehmen und Privatpersonen, dass bedürftige Kinder aus Lauenburg und dem Amt Lütau kurz vor dem Fest beschenkt werden.
Armut in Lauenburg: „Zu Weihnachten wird‘s richtig eng“
„Das ist wirklich toll, was die Stadt hier auf die Beine stellt“, freut sich Heiko Schubert. Der 55-Jährige ist nicht der leibliche Vater von Merle und Leon, lebt aber mit ihnen und ihrer Mutter Nicole Leireiter zusammen. „Ich bin der beste Kumpel von den Lütten. Deshalb will ich, dass es ihnen gut geht“, sagt der gebürtige Hamburger. Was ihm bei der Aktion vor dem Lauenburger Schloss am besten gefällt: „Hier werden keine Almosen verteilt. Die Kinder haben ihren Spaß“, hat er beobachtet. Merle hatte zu Hause extra ein Gedicht auswendig gelernt. Vor Aufregung hat sie aber nach ein paar Versen den Text vergessen.
Im Kostüm des Weihnachtsmannes steckt in diesem Jahr Thomas Burmester. Er lässt Merle trotzdem in den Jutesack greifen. Das Mädchen angelt ein kleines Plüschtier raus. Mit dem anderen Arm umklammert sie ihr Geschenk. Was sich darin befindet, bleibt vorerst ein Geheimnis. Bruder Leon errät selbst durch Schütteln nicht, was in seinem Päckchen ist. Den Wunschzettel ihrer Kinder für das Weihnachtshilfswerk hat Nicole Leireiter ausgefüllt. 30 Euro durfte das Geschenk pro Kind in diesem Jahr kosten. „Das ist eine riesige Hilfe für uns“, sagt sie.
„Zeigt mit dem Finger nicht auf die Kinder“
Weihnachten ist die Zeit, in der Heiko Schubert viel an seine eigene Kindheit zurückdenkt. Auf Traditionen hätten seine Eltern immer viel Wert gelegt. Später sei einiges in seinem Leben schief gelaufen. „Ich war zweimal verheiratet, hatte viel Pech, habe aber auch etlichen Mist gebaut“, räumt er ein. Jetzt, mit Mitte 50, das Leben nochmal komplett umzukrempeln, dafür fehle ihm die Energie. „Der Rücken ist kaputt. In der Küche kann ich nicht mehr arbeiten“, sagt der gelernte Koch.
Heiko Schubert weiß, dass viele Betroffene nicht gern darüber reden, warum sie auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, so wie auch seine Lebensgefährtin. „Manchmal werden wir schief angeschaut. Aber ich finde, niemand darf sich ein Urteil erlauben, wenn man die Menschen und ihre Geschichte nicht kennt“, sagt er. Was er dann manchmal sagt: „Zeigt mit dem Finger auf uns, aber nicht auf Kinder. Die sind nicht nicht schuld daran.“
Weniger Lebensmittel für das gleiche Geld
Nein, als wirklich arm würden sie sich nicht bezeichnen, sind sich Heiko Schubert und Nicole Leireiter einig. Davon könne in Deutschland überhaupt keine Rede sein. „Wir haben gelernt, mit Geld umzugehen. Wenn man ein bisschen aufpasst, kommt man klar. Zuerst sind immer Merle und Leon dran, dann wir“, sagt die Mutter. Und dass sie nicht jeden Wunsch sofort erfüllt bekommen, müssten Kinder auch lernen.
Heiko Schubert bereitet jeden Tag eine warme Mahlzeit für die Familie zu. Darauf legt der gelernte Koch großen Wert. Dafür stöbert er manchmal stundenlang in den Angeboten und dreht den Euro dreimal um, ehe er ihn ausgibt. „Früher habe ich für 20 Euro einen ganzen Berg Lebensmittel erhalten, heute habe ich für das gleiche Geld kaum was im Wagen“, hat er festgestellt. Trotzdem, auf die gemeinsame Mahlzeit, bei der alle am Tisch sitzen, will niemand in der Familie verzichten.
Weihnachtseinkauf über Wochen gestreckt
Dass der Dezember besonders am Haushaltsbudget nagt, wissen alle Eltern. Wer sonst schon wenig Geld hat, muss sich im Weihnachtsmonat noch weiter strecken. „Im Dezember sind Weihnachten und mein Geburtstag“, sagt Merle freudestrahlend. Was für sie ein Glücksfall ist, fordert ihre Familie besonders heraus. Um den letzten Monat im Jahr finanziell zu überstehen, haben Heiko Schubert und Nicole Leireiter den Weihnachtseinkauf über Wochen gestreckt. „Wir kaufen Lebensmittel, die im Angebot sind, und frieren sie ein. Das fällt leichter, als vor Weihnachten alles auf einmal in den Einkaufswagen zu legen“, sagt die 42-Jährige.
Bis Sonntag müssen Merle und ihr Bruder Leon noch warten, ehe sie ihre Geschenke aus dem Weihnachtshilfswerk auspacken dürfen. Bis dahin bleiben die versteckt, wie noch ein paar Kleinigkeiten, die dann auch unter dem Tannenbaum liegen werden. Der wird in der Familie ganz traditionell erst an Heiligabend geschmückt. Dann wird die Geduld der Kinder noch einmal auf die Probe gestellt. Vor der Bescherung gibt es nämlich erst mal Kartoffelsalat und Würstchen – so wie es Heiko Schubert aus seiner Kindheit zu Weihnachten kennt.
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In Lauenburg lebt jedes dritte Kind unter der Armutsgrenze
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind in Deutschland 24 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Deutschland belegt damit den 20. Rang von 28 Ländern in der Europäischen Union.
Am höchsten ist die Gefährdung der Kinder und Jugendlichen in Rumänien (41,5 Prozent) und Bulgarien (33,9 Prozent). Am geringsten fällt die Kinderarmut in Slowenien (10,3 Prozent), Tschechien (13,4 Prozent) und Dänemark (13,8 Prozent) aus. In Lauenburg lebt aktuell jedes dritte Kind unterhalb der Armutsgrenze.