Schwarzenbek. Mutmaßlicher Täter muss lange ins Gefängnis. Wie sich eine Zeugin vor dem Amtsgericht Schwarzenbek auf einmal wieder erinnert.
Nach gut zwei Monaten ist der Prozess um eine Gewalttat am Rande des Schwarzenbeker Weinfests mit einer Haftstrafe für den Angeklagten Sven B. (alle Namen geändert) zu Ende gegangen. Ihm wurde vorgeworfen, Stefan N. im Anschluss an die Veranstaltung nahe dem Ritter-Wulf-Platz niedergeschlagen und anschließend sein Portemonnaie und auch das Handy gestohlen zu haben.
Sein mutmaßliches Opfer hat seitdem Schwierigkeiten, selbstständig den Alltag zu bestreiten. Am letzten Verhandlungstag war erneut eine Belastungszeugin geladen, die das Portemonnaie des Opfers bei der Polizei abgegeben hatte. Auch der mutmaßliche Täter brach sein Schweigen. Bisher hatte nur sein Anwalt gesprochen.
Amtsgericht Schwarzenbek: Mehrere Jahre Haft für Sven B. im Weinfest-Prozess
Sie sei in einem Lokal im Stadtzentrum gewesen, als Sven B. mit blutverschmierter Kleidung hereinkam, berichtete Daniela N. aus der Tatnacht. „Er hat mir schöne Augen gemacht“, sagte sie. Wieso er denn blutverschmiert in den Laden gekommen war, habe sie ihn selbst nicht gefragt. Er habe von sich aus erzählt, dass er zwei Auseinandersetzungen in der Stadt gehabt habe und bei einer sogar den Rettungswagen rufen musste.
„Ich habe mich schon darüber gewundert, dass er das mir als flüchtige Bekannte erzählt“, führte sie aus. Sven B. sei dann im Bad verschwunden, um sich zu waschen. Dabei soll er auch das Portemonnaie von Stefan N. im Mülleimer deponiert haben.
Schwammige Erinnerungen an das Weinfest Schwarzenbek
Zu den folgenden Stunden offenbarte Daniela N. erstaunliche Erinnerungslücken, die sie dann doch von einer auf die andere Sekunde schließen konnte. Sie sagte zunächst, sie hätte sich mit Sven B. im Anschluss noch vor dem Lokal unterhalten. Er habe ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren. „Ich habe ihm dann den Vogel gezeigt, weil er so voll war“, sagte sie. Dann sei man getrennter Wege gegangen. Da sie aber regelmäßig Kokain konsumiere und auch getrunken habe, habe sie häufiger Blackouts. So könne sie nicht mehr sagen, ob der Angeklagte nicht vielleicht doch mit ihr nach Hause gegangen sei.
Mehr zum Weinfest-Prozess
- Angriff auf Schwarzenbeker Weinfest: Wer versteckte sich hinter den Autos?
- Prozess nach Weinfest Schwarzenbek: Wie aggressiv und betrunken war das Opfer?
- Bluttat in Schwarzenbek: Dokument fehlt – wird Weinfest-Prozess zur Hängepartie?
„Es ist schwer nachvollziehbar, dass sie sich an ein so wesentliches Detail nicht erinnern“, sagte Richter Suntke Aden. „Ich ermahne sie, jetzt endlich die Wahrheit zu sagen.“ „Ja, jetzt fällt es mir wieder ein“, antwortete die Zeugin. Zwar habe sie es nicht gewollt, Sven B. sei dann doch noch mit zu ihr in die Wohnung gegangen. Vermutlich sei noch etwas Sekt geflossen, ehe sie gemeinsam zu einem Dealer gegangen seien, um neues Kokain zu kaufen.
Angeklagter bricht nach mehreren Verhandlungstagen sein Schweigen
„Dann bin ich aber weggelaufen, weil ich Angst vor ihm hatte“, sagte sie. Vom Handy des mutmaßlichen Opfers habe sie dann Nachrichten bekommen. „Ist alles gut? Wo bist du?“, schrieb Sven B. ihr. Schließlich habe sie ihn dann doch zu sich nach Hause gelassen und auch frische Kleidung gegeben.
Die Aussagen von Daniela N. verfolgte Sven B. wie auch die vorangegangenen Verhandlungstage schweigend. Mehr als ein leichtes Kopfschütteln war ihm nicht zu entnehmen. Dies änderte sich nach längerer Pause. Er verlas ein selbstverfasstes Schreiben zu den Geschehnissen im Juni 2022. Demnach habe er mit Freunden auf dem Weinfest gefeiert. Beim Anstoßen sei ein Weinglas zerbrochen, daher das Blut auf der Kleidung. Später am Abend habe er eine kurze Pause machen wollen und sich deswegen auf eine Bank vor einem Lokal gesetzt.
Sven B. gibt an, den Krankenwagen selbst gerufen zu haben
„Da habe ich dann das Handy und auch eine Uhr auf der Bank liegen sehen. Ich habe mich umgeguckt, aber niemanden gesehen“, sagte er. Deshalb habe er die Gegenstände eingesteckt und sei weggegangen. In diesem Moment sei er von hinten gepackt worden. Er habe sich dann losgerissen und den Angreifer weggeschubst. Der sei rückwärts gestürzt.
Anschließend habe er sich über seinen Widersacher gebeugt und festgestellt, dass es sich um Stefan N. handle. Diesen kenne er von Feierlichkeiten in Schwarzenbek. „Ich hab mit meiner linken Hand dann seinen Kopf gehalten und gemerkt, dass er eine feuchte Stelle am Hinterkopf hat“, sagte Sven B. Er habe den Krankenwagen gerufen, sei dann aber aus Panik weggerannt.
Anwalt: Beweisaufnahme nicht bei Null gestartet
„Ich halte das für eine Schutzbehauptung“, sagte die Staatsanwältin. Sie gehe davon aus, dass die Tat so geschehen ist, wie in der Anklageschrift steht. Demnach habe Sven B. sein Opfer geschlagen. Auch die Belastungszeugin Daniela N. sprach davon, der Angeklagte hätte in der Tatnacht von Schlägen gesprochen. Die Staatsanwältin forderte daher eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten für Sven B.
„Ich habe große Sorge, wenn ich das Plädoyer der Staatsanwaltschaft höre“, sagte Strafverteidiger Siyamak Faghihi. Er habe das Gefühl, die Beweisaufnahme sei nicht bei null gestartet, sondern der Angeklagte hätte bereits zuvor als schuldig gegolten. Eine kognitive Dissonanz attestierte er den Beteiligten. Zudem sei nicht bekannt, was in der Zeit zwischen dem Ende des Weinfests und der Tat passiert sei.
Schöffengericht: Die Indizien sprechen gegen den Angeklagten
Er verwies darauf, dass mehrere Zeugen beschrieben hätten, Stefan N. würde betrunken zu unangenehmen Verhalten neigen. Bei ihm wurde ein Alkoholwert von über zwei Promille festgestellt. Zudem gebe es keine direkten Zeugen für die Tat. Auch dass er sich nach dem Sturz um Stefan N. gekümmert habe, spreche für den Angeklagten.
Dennoch legte sich das Schöffengericht auf eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten fest. Zwar gebe es keine Beweise und auch einige Lücken, die Indizien würden jedoch gegen den Angeklagten sprechen. Das Gericht gehe davon aus, dass die Körperverletzung vorsätzlich geschehen sei. Dafür spreche auch, dass vom Handy des Opfers verhöhnende Nachrichten, unter anderem an die Ex-Freundin des Angeklagten, verschickt wurden.
Der Vorwurf des Computerbetrugs gegen den Angeklagten wurde fallengelassen. Ihm war zunächst vorgeworfen worden, mit den Bankdaten des Opfers online Gutscheincodes bestellt zu haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.