Hamburg. Verband der Landschaftsgärtner versucht, mit Kampagne ,Rettet den Vorgarten’ unnatürlichen Trends entgegenzuwirken.

"Ordentliche" Gärten oder gezügelte Wildnis? Bei der Gartengestaltung scheiden sich die Geister – und haben jetzt die Extreme erreicht: Naturliebhaber säen Wildblumen aus, um der Insektenwelt, vor allem den dezimierten Bienen, zu helfen, legen Haufen aus Totholz an und lassen das Laub liegen.

Ordnungshüter lassen ihren (Vor-)Garten einen halben Meter tief ausbaggern und mit Steinen zuschütten. Als grüne Akzente dienen exotische Gewächse, die ihr Laub nicht abwerfen und oft eher wie Skulpturen wirken. Diese Gestaltungsform gerät jedoch in Verruf, denn sie beraubt Wohnsiedlungen ihre ökologisch wichtigen Grünflächen.

„Rettet den Vorgarten!“

„Der Verband der Landschaftsgärtner hat schon vor zwei Jahren seine bundesweite Kampagne ,Rettet den Vorgarten’ gestartet, um dem Trend etwas entgegen zu setzen“, sagt Dr. Michael Marrett-Foßen, Geschäftsführer des Fachverbands Garten-, Landschaft- und Sportplatzbau Hamburg.

Die verschotterten Vorgärten bieten keinem Insekt Nahrung, fallen als Lebensräume für Tiere und Pflanzen aus.“ Ein grüner Vorgarten sei dagegen einladend und freundlich, so Marrett-Foßen.

Der Naturschutzbund (NABU) spricht noch drastischer von Steinwüsten, von „Gärten des Grauens“. Unter diesem Stichwort sammeln Garten- und Naturenthusiasten bei Facebook besonders eindrucksvolle Gestaltungsbeispiele aus der Welt der Mineralien in verschiedenen Grautönen – im Oktober erscheint vom Autoren Ulf Soltau dazu ein Buch mit gleichnamigem Titel.

Steine heizen sich an heißen Tagen auf

Abgesehen vom ästhetischen Aspekt, der unterschiedlich beurteilt werden kann, gibt es harte physikalische Fakten, die für eine grüne Wohnumgebung sprechen: Steine heizen sich an heißen Tagen auf und werden zu unerwünschten Wärmespeichern. In lebenden Gärten nehmen Pflanzen Wasser auf und verdunsten es bei Wärme intensiv – das schafft einen Kühleffekt.

Zudem spenden sie Schatten, der ebenfalls die Hitze dämpft. Gerade in Städten, in denen derzeit verdichtet gebaut wird, sind solche Klimawirkungen wichtig. Kies- und Schotterbeläge werden insbesondere in Neubaugebieten verbaut, so der Bundesverband Garten- und Landschaftsbau (BGL). Aber auch in traditionellen Wohngegenden mit Einfamilienhäusern verschwindet Grün zugunsten einer Steinlage, womöglich gemustert aus schwarzer Lava und weißem Kiesel.

Zum Beispiel weil Senioren sich körperliche Arbeit ersparen wollen oder gestresste Berufstätige keine Zeit haben. Die steinernen Gärten gelten als pflegeleicht. „Das ist ein Irrtum“, betont Marrett-Foßen. „Zwischen den Steinen lagern sich Feinpartikel ab. Wenn sie sich sammeln, können Samen von Wildkräutern darin keimen. Und versuchen Sie mal, Blätter aufzusaugen, ohne dabei die Steine einzusaugen.“

Garten bedeutet immer Arbeit

Der NABU stellt lakonisch fest: „Garten bedeutet immer Arbeit“. Er kritisiert zudem die Herkunft vieler Ziersteine: „Sie stammen meist mit großer Wahrscheinlichkeit überwiegend aus China und Indien.“ Marrett-Foßen bestätigt das: „Der Hamburger Hafen ist ein großer Umschlagplatz für Granit und andere Gesteine.“ Er nennt grüne Alternativen, die zugleich pflegeleicht und insektenfreundlich sind: Staudenbeete.

Eine harmonische Mischung aus blühenden Bodendeckern – etwa Sedum-Arten, die bei Dachbegrünungen und in klassischen Steingärten gesetzt werden – und blühenden Stauden bietet Bienen und anderen Insekten viel Nahrung, „schlucken“ Laub und lassen Wildkraut wenig Raum.

Lebensfeindliche Schottergärten

Ähnliche Tipps hat auch Carsten Bock, Gartenbauberater der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein in Ellerhoop, parat: „Halbhohe Blattstauden wie der gelb blühende Frauenmantel oder Funkien mit ihren violetten Blüten bieten den Insekten Nahrung. Zum Winter ziehen sie sich beim ersten Frost zurück. Das braune Blattwerk am Boden kann liegen bleiben, und wen es stört, der hakt es einfach zur Seite.“ Bock rät: „Gartenbesitzer, die nicht viel Lust auf Arbeit haben, sollten in Fachbetrieben einkaufen sich dort entsprechend beraten lassen.“

Inzwischen haben die lebensfeindlichen Schottergärten auch Politik und Verwaltung erreicht. Erste Kommunen schreiben in ihren Bebauungsplänen vor, dass Freiflächen in bestimmten Umfängen bepflanzt werden müssen.

Aktionsprogramm zur Förderung insektenfreundlicher Privatgärten

Und im Mai beschlossen die Umweltminister der Länder ein Aktionsprogramm zur Förderung insektenfreundlicher Privatgärten. In vielen Landesbauordnungen gebe es bereits Verpflichtungen zum Begrünen und Bepflanzen von unbebauter Fläche, stellen die Minister fest. Die Kommunen sollten dieses Instrument konsequent nutzen.

Zudem haben die Minister den Bund gebeten, eine Kampagne „Insektenfreundliche Privatgärten“ zu starten, um mehr Bewusstsein für die wichtige ökologische Funktion der privaten Gärten zu schaffen.

Die Zutaten zu solchen Gärten sind schnell aufgezählt: Sie sollten vom frühen Frühjahr (Krokusse) bis zum Herbst (Astern) blühende heimische Pflanzen als Pollen- und Nektarquellen bereit halten. Spezielle Nistkästen für Insekten oder deutlich größere „Insektenhotels“ bieten dem fliegenden Kleingetier Plätze zur Eiablage für die nächste Generation oder Unterschlupf gegen Kälte, Nässe und hungrige Vögel.

Chemische Keulen gegen unerwünschte Gartenbewohner sind tabu – das betrifft mittlerweile alle Gartenformen. Generell gilt: Je größer der Vielfalt an Pflanzen und Strukturen, desto stärker profitiert die Natur.

Fachmännisch gesteinigte Vorgärten

Wer mag, kann sich in einer sonnigen Eckeeinen Steingarten anlegen: Ein mit Kies, Steinen oder Splitt abgedeckter karger Boden kann zu einem optimalen Lebensraum für Gebirgsflora oder trockenheitsverträgliche Pflanzen hergerichtet werden.

Ein solcher Steingarten erhöht die Artenvielfalt zwischen Haus und Grundstücksgrenze – ganz im Gegensatz zu gestalteten, bodenlosen Schotterflächen. Berater Bock hat fast schon Mitleid mit den Hobbygärtnern, die sich ihren Vorgarten fachmännisch steinigen ließen: „Sie haben sich aus ihrer Sicht etwas Schönes anlegen lassen, und jetzt sagen alle: Das tut man nicht.“