Landkreis Harburg. Nach guten Erfahrungen mit Pilotprojekt setzen Retter nun auf Expertise eines virtuellen Notarztes. Wie das funktionieren soll.
- Bei schweren Unfällen ist es häufig üblich, dass Sanitäter einen Notarzt nachalarmieren
- Niedersachsen setzt stattdessen auf flächendeckende Videoberatung durch einen Notarzt
- Nur bei lebensbedrohlichen Verletzungen soll auch künftig ein Arzt zum Unfallort eilen
Es ist das Schreckensszenario eines jeden Autofahrers und seiner Angehörigen. Nach einem schweren Verkehrsunfall wird dringend medizinische Unterstützung benötigt. Doch ein Notfallmediziner, konkret ein Notarzt, ist nicht verfügbar. In einigen Landkreisen im Nordosten von Niedersachsen könnte diese Situation demnächst häufiger vorkommen. Sie ist so gewollt. Und trotzdem ist es nicht so, dass verletzte Personen ohne Expertise eines Notarztes auskommen müssten.
Notarzt beim Unfallopfer? Expertise per Videochat unterstützt die Sanitäter
Moderne Technik und die digitale Welt machen es möglich, dass der Landkreis Harburg sowie die Landkreise Rotenburg und Heidekreis bald nach diesem System arbeiten werden: Ein weit entfernt sitzender Notarzt wird per Videochat über das Smartphone in den Rettungswagen am Unfallort geschaltet und kann die Sanitäter bei Notfällen unterstützen. Ein Pilotprojekt im Landkreis Goslar am Harz war mit guten Erfahrungen abgeschlossen worden. Demnächst wollen mehrere Kommunen, möglicherweise das gesamte Bundesland, nach diesem System arbeiten.
Den Sanitätern vor Ort soll die Expertise des Notfallmediziners als zusätzliche Unterstützung dienen. Der niedersächsische Landtag plant, das System der Telenotfallmedizin nicht nur in den drei erwähnten Landkreisen, sondern in ganz Niedersachsen einzuführen. „Das ist nicht weniger als ein Game-Changer“, sagte die Landtagsabgeordnete Nadja Weippert aus Tostedt (Die Grünen).
Landkreis Harburg lässt benötigte Technik in Rettungswagen einbauen
Nach Angaben des Landkreises Harburg werde die erforderliche Technik schon in die Rettungswagen eingebaut. Audio- und Videotechnik – also Smartphone oder Tablet – sind in den Fahrzeugen ohnehin vorhanden. Aktuell werde beispielsweise eine Umrüstung der EKG-Geräte vorgenommen. So könnten die Vitalwerte der Patientinnen und Patienten direkt zum Telenotarzt übertragen werden.
„Die Beschaffung der technischen Geräte ist kosten- und zeitintensiv, grundsätzlich aber möglich”, hieß es im vergangenen Jahr aus dem Kreishaus in Winsen. Den Großteil der Anschaffungskosten dürften die Kostenträger, sprich die Krankenkassen, tragen. Was den Entscheidungsträgern wichtig ist: Die Telenotfallmedizin soll den Notarzt nicht etwa ersetzen, sie soll ihn lediglich ergänzen.
Telenotarzt unterstützt mit seiner Diagnose und Auswertung der Vitalwerte
Besonders bei Notfällen, die nicht lebensbedrohlich sind, könne der Telenotarzt durch seine Diagnose und die Auswertung der Vitalwerte die vor Ort befindlichen Sanitäter unterstützen, heißt es. Ebenfalls ermögliche das System jenen Notärzten, die sich im herkömmlichen Einsatz befinden, eine zweite Meinung einzuholen, teilte der Landkreis Harburg mit. Bei lebensbedrohlichen Notfällen werden weiterhin die in Winsen und der Gemeinde Seevetal stationierten Notärzte eingesetzt.
Bei Lebensgefahr werden weiter Notärzte aus Winsen oder Seevetal eingesetzt
Das System soll einsatzbereit sein, sobald die technischen Voraussetzungen erfüllt sind. Dann wird der Landkreis Harburg auf den Telenotarzt aus Goslar zurückgreifen, der erfolgreich im Rahmen eines Pilotprojekts getestet wurde. Der Goslarer ist einer von bisher zwei niedersächsischen Videonotärzten. Jeder von ihnen betreut mehrere Landkreise. Weitere Videonotärzte sollen in den kommenden Monaten und Jahren folgen.
Die Ergebnisse des Pilotprojekts in Goslar werden als vielversprechend beschrieben: In fast der Hälfte aller Fälle war der Einsatz eines Notarztes vor Ort nicht erforderlich. „An anderer Stelle wären die notärztlichen Einsatzkräfte womöglich dringender gebraucht worden – auch so kann Telenotfallmedizin Leben retten“, betont Nadja Weippert.
Innenministerin: Pilotprojekt ebnet Weg für flächendeckende Einführung
Das sieht auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens so. „Diese Reform macht den Weg frei für die flächendeckende Einführung der Telenotfallmedizin in ganz Niedersachsen, die wir nun schnellstmöglich vorantreiben werden“, erklärte die SPD-Politikerin.
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Das neue System wird zeitgleich in allen drei Landkreisen des Leitstellenverbundes eingeführt – neben Harburg sind das der Heidekreis und Rotenburg (Wümme). Zu welchem Datum es konkret an den Start geht, steht noch nicht fest. Man könne nur sagen, dass es „in naher Zukunft“ so weit sei, teilte die Verwaltung des Landkreises Harburg mit.