Dohren. Pilotprojekt: ElbEnergie nimmt innovative Turbine in Betrieb. Die Idee: Höhere Versorgungssicherheit im Gasnetz – auch bei Blackouts.
Die Gasübernahmestation in Dohren sieht unspektakulär aus. Zwar weisen ein paar Schilder dezent auf eine gewisse Explosionsgefahr hin, aber ansonsten ist das Backsteinhäuschen wenig aufregend. Auch hinter den Türen nimmt man eigentlich nur Lärm, Rohre und Regler wahr. Und doch hat es die Station im äußersten Südwestzipfel des Versorgungsgebiets, das der Gasnetzbetreiber Elbenergie mit Gas beliefert, in sich: Innen drin wird aus dem Gas Strom gemacht, und zwar ganz, ohne es zu verbrennen.
Damit kommt ein Pilotprojekt für die Versorgungssicherheit in den Landkreis Harburg. Elbenergie nimmt in Dohren eine innovative Turbinentechnik in Betrieb. Es ist die erste Erdgas-Entspannungsturbine mit dieser Technik, die in Niedersachsen zum Einsatz kommt. „Wir erzeugen damit Strom für den Betrieb unserer eigenen Anlage“, sagt Christine Rudnik, Geschäftsführerin von Elbenergie. „Die Gasübergabestation wird damit autark vom Stromnetz und bliebe somit auch im Falle eines großflächigen Stromausfalls in Betrieb.“
Druckunterchied zwischen Fernleitung und örtlichem Netz setzt Energie frei
Erdgas-Entspannungsturbinen sind an sich nichts Neues, aber erst jetzt ist die Technik so weit entwickelt, dass sie sinnvoll nutzbar ist. „Wir nutzen ein Energiepotenzial, das bisher ungenutzt blieb“, erläutert Sven Möller, Projektleiter von Elbenergie.
Der örtliche Gasnetzbetreiber übernimmt das Gas aus dem Fernleitungsnetz mit einem Druck von 60 bis 80 bar. Während das Gas im Fernleitungsnetz diese hohe Druckstufe hat, um über große Strecken transportiert zu werden, kommt bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern das Gas in einer geringeren Druckstufe über das Verteilnetz von Elbenergie an. Dafür entspannen die Gasübergabestationen entlang der Fernleitung das Gas von den Ferngasnetzbetreibern auf 13 bis 16 bar.
Turbine bei Tostedt: Tücke des Objekts stellte das Prinzip vor hohe Hürden
„In diesen Gasstrom bauen wir eine Erdgas-Entspannungsturbine ein, die angetrieben von dem Gasfluss Strom produziert“, erklärt Sven Möller. Und er ergänzt: „Das funktioniert das ganze Jahr über. Selbst wenn im Sommer weniger geheizt wird und weniger Gas fließt, reicht der Druck immer noch aus, um genügend Strom für den Betrieb der Gasübergabestation zu erzeugen.“
Es ist wirklich nicht so, dass bislang niemand auf diese Idee gekommen wäre. Allerdings stellt die Tücke des Objekts diese Idee vor hohe Hürden: Zunächst einmal muss das Gas, das sehr kalt durch die Fernwärmeleitung fließt, erwärmt werden, denn die Eichung des Zählers in der Anlage und auch der Hauszähler beim Kunden ist nur in einer bestimmten Temperaturspanne zuverlässig und gültig.
Bei den bisherigen Versuchsturbinen tauchte stets das Problem auf, dass die Fächer-Räder im Gasstrom sehr schnell drehten und dabei heiß liefen. Die Apparatur musste aktiv gekühlt werden. Außerdem waren die hochtourigen Turbinen störanfällig. „Der Energieaufwand für Vorheizen und Abkühlen hat kaum Energieausbeute übriggelassen, dazu kam ein hoher Reparaturaufwand“, sagt Sven Möller. „Deshalb haben alle irgendwann wieder die Finger davon gelassen.“
Die Innovation ist zwei Zentimeter dick, mit schrägen Schlitzen
Die Innovation, die in Dohren zum Zuge kommt, ist zwei Zentimeter dick. Statt eines Rades mit feinen Fächerlamellen dreht sich hierin eine massive Stahlscheibe, in die schräge Luftdurchlässe gefräst wurden. Dies Turbinenrad ist nicht nur stabiler, als die Vorgänger, es läuft auch langsamer, nämlich höchstens mit 3000 Umdrehungen, und muss deshalb nicht gekühlt werden. „Der Strom, den wir in der Turbine erzeugen, reicht allemal für die Vorheizung des Gases“, sagt Möller. „Und darüber hinaus haben wir auch noch Energie übrig.“
Bislang ist dies Theorie, wenn auch ziemlich gesichert. Um endgültig sichere Erkenntnisse zu erlangen, wie gut die Technologie funktioniert und wo man vielleicht noch etwas optimieren könnte, wird der Turbinenbetrieb in Dohren jetzt als Pilotprojekt genau beobachtet und evaluiert. Der umweltfreundliche Strom wird ausschließlich für den Eigenbedarf von Elbenergie genutzt und reduziert den Ausstoß klimaschädlicher Gase. Die Investitionen des Netzbetreibers für die neue Turbinentechnik betragen mehr als 125.000 Euro.
Im Ernstfall kann man den Strom aus Dohren sogar per Auto transportieren
„Sollte sich dieser Pilottest bewähren, können wir diese innovative Technik im gesamten Gasnetz ausrollen“, gibt Christine Rudnik einen Ausblick. Während Gasübergabestationen bislang während ihres Betriebs abhängig vom Stromnetz sind, könnte das Gasnetz nun perspektivisch autark davon werden und so auch im Falle eines Blackouts die Versorgung aufrechterhalten. Darüber hinaus bietet die Technik weiteres Potenzial: Wird sie flächendeckend im Gasnetz eingesetzt, wäre der dabei produzierte Strom zum Beispiel auch für das Aufladen der unternehmenseigenen E-Fahrzeugflotte einsetzbar.
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Ins Netz einspeisen darf Elbenergie den überschüssigen Strom nicht, da die Firma selbst ein Energienetzbetreiber ist und das Wettbewerbsnetz solche Doppelungen derzeit noch verbietet. „Aber im Fall eines Stromnetzausfalls können wir hier in Dohren unsere E-Autos laden und deren volle Akkus in der Hittfelder Betriebszentrale oder an anderen Stellen, wo Strom gebraucht wird, als Energiequelle nutzen“, sagt Sven Möller. „Auch das dient der Versorgungssicherheit.“
Die Elbenergie GmbH ist Betreiber von Gasleitungen und Messstellenbetreiber in 20 Gemeinden in Nordniedersachsen. Rund 50.000 Kunden in den Landkreisen Stade und Harburg werden vom Geschäftsstandort Hittfeld aus betreut. Elbenergie gehört zur HanseWerk-Gruppe, einem der größten Energieunternehmen in Norddeutschland.