Dohren. Helmut Rausche presst in seiner Mühle bei Hamburg Leinöl in Bio-Qualität und verkauft es am Tag der Produktion. Frischer geht es nicht.
Vegetarier und Veganer verändern den Markt – und verhelfen mit ihren speziellen Ernährungsbedürfnissen so manchem Lebensmittel zum Comeback. Helmut Rausche aus Dohren, einem Dorf zwischen Tostedt und Hollenstedt, weiß den Trend für sich zu nutzen.
In seiner Dohrener Ölmühle macht der 53-Jährige aus Bio-Leinsamen flüssiges Gold: Leinöl, randvoll mit Alpha-Linolensäure, einer Omega-3-Fettsäure, die der Mensch zu sich nehmen muss, um überleben zu können.
Leinöl aus dem Landkreis Harburg: Sogar vor Demenz soll das Naturprodukt schützen
In der Fachliteratur gilt die Säure mit dem sperrigen Namen als Tausendsassa: Herz- und gefäßschützende, entzündungshemmende und blutzuckerregulierende Effekte werden ihr zugeschrieben. Sogar vor Demenz soll sie schützen können. Omega-3-Fettsäuren gelten gemeinhin als Doktors Liebling und werden in Apotheken und Drogeriemärkten als Kapseln angeboten.
Doch gewonnen wird der Inhalt dieser Kapseln für gewöhnlich aus Kaltwasserfisch wie Dorsch, Hering oder Lachs. Alles Lebewesen, vor denen Vegetarier und erst recht Veganer aus Überzeugung und vielfach auch Ekel den Mund verschließen. Das Leinöl, das Helmut Rausche der Leinsaat abgewinnt, hat dagegen absolut nichts Tierisches an sich und ist deshalb für Fleischverächter und Ernährungsbewusste gleichermaßen ein Superfood. Das Abendblatt hat Rausche in seiner Ölmühle besucht.
Würziger, nussiger Geruch erfüllt einen hell erleuchteten Raum
Noch verdecken graue Planen den Fachwerkbau hinter einem Einfamilienhaus an der Hollenstedter Straße. Hier befindet sich die Produktionsstätte von Linny, so der Markenname, den Rausche seinen Speiseölen gegeben hat und der an Lin, lateinisch für Lein, erinnert. Gegenwärtig wird hier ein Hofladen gebaut.
Hinter der Eingangstür läuft die Arbeit derweil in gewohntem Umfang weiter. Würziger, nussiger Geruch erfüllt einen hell erleuchteten, laboratoriumsähnlichen Raum, in dessen hinterem Teil ein grüner Koloss mit grauen Trichtern thront. Auf seinem Kopf trägt er eine Krone, einen durchsichtigen Behälter, in dem Leinsamen zu erkennen ist.
Mit leisem Summen saugt die Ölmühle neuester Bauart den Samen ein. Rausche, in weißem Hemd und schwarzer Schürze, eine Haube auf dem Haar, strahlt. Denn es läuft, oder besser: Es tröpfelt. Eine Metallrinne fängt den wertvollen Extrakt auf, der aus dem Bioleinsamen herausgepresst wird. Natürlich im Kaltpressverfahren. Denn nur so bleibt das volle Wirkspektrum des Wunderkorns erhalten, das neben Omega-3-Fettsäuren auch Lignane enthält, einen hormonähnlichen Stoff, der Dysbalancen ausgleichen und beruhigen kann.
Was bei der Produktion zurückbleibt, ist wertvolles Hunde- und Pferdefutter
Während das Öl in einen Eimer rinnt, quellen aus einem Filter daneben dunkelgelbe Würste und plumpsen in einen bereitgestellten Papierbeutel. Irgendwie sehen sie aus wie Hundefutter. Und das sind sie auch. Denn dieser „Kuchen“ genannte Pressrest enthält noch Öl. Und damit alle Wirkstoffe, die Leinsaat so wertvoll machen.
Hunde- und Pferdebesitzer kaufen Rausche die bräunlichen Kringel gern als wertvolle Nahrungsergänzung für ihre Tiere ab. Kenner wie Rausche-Mitarbeiterin Ilona Klink, die an einem Labortisch gerade Etiketten mit dem Herstellungsdatum auf die Lichtschutzflaschen mit dem Leinöl klebt, mischt es auch in den Kuchenteig.
Rausche presst das Öl mehrmals die Woche, manchmal sogar täglich
Wer jetzt das Gesicht verzieht, weil er sich daran erinnert, dass er bei einer Leinöl-Kostprobe schon mal einen bitteren Geschmack auf der Zunge hatte, erfährt vom Ölpapst, dass Leinöl nur dann bitter schmeckt, wenn es oxidiert ist. Zur Oxidation kommt es, wenn es Erntefehler beim Dreschen gab. Oder wenn das Öl zu lange gelagert wurde.
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Rausche presst das Öl deshalb mindestens zweimal die Woche, manchmal sogar täglich. Er empfiehlt, die kostbare Essenz im Kühlschrank zu lagern und innerhalb von drei Wochen aufzubrauchen: pur direkt vom Teelöffel als täglicher Powershot.
Der hat schon stillenden Bauersfrauen des 17. Jahrhunderts aus dem Wochenbett geholfen, wie Rausche bei umfangreicher Literaturrecherche herausgefand. Leinöl kommt aber auch gut als Salatdressing, im Müsli, im Smoothie, sogar als Topping von Vanilleeis. Rausches Phantasie kennt da keine Grenzen.
Rausches absoluter Liebling für die Hautpflege ist Jojobaöl
Der gelernte Kaufmann, der ursprünglich Musiklehrer werden wollte, begann vor 35 Jahren, ätherische Öle auf Hamburger Wochenmärkten zu verkaufen. Erst nur nebenbei. Dann mit zunehmendem Erfolg. Nach und nach kamen auch selbst hergestellte Kosmetika hinzu, für die er unter anderem Sheabutter sowie Nachtkerzensamenöl und Wildrosenöl einsetzt. Natürlich aus eigener Pressung.
Rausches absoluter Liebling ist Jojobaöl. Gehaltvoll, pflegend, aber auch schnell einziehend, weil dem menschlichen Hautfett ähnlich, gibt es dem Teint einen edlen, matten Schimmer. Eine begeisterte Kundin verlieh Rausche deshalb den scherzhaften Ehrentitel „Jojobas Zeuge“.
Ein weiterer Verkaufshit mit Wachstumspotential: Sauna-Aufgüsse
Auf seiner Tour über Hamburgs angesagte Märkte, zu denen sich bald auch der Buchholzer Wochenmarkt gesellte, gewann der Ölmann viele Stammkunden, die sich die Ware fortan ins Haus schicken ließen. Der Versandhandel war geboren. Doch irgendwann war Rausche die Verkehrsstaus auf dem Rückweg zu seiner Hamburger Wohnung gründlich leid. Und er kaufte sich in Dohren ein Haus. Das war vor 25 Jahren.
Inzwischen ist er ein in der Nordheide und darüber hinaus bekannter Fachmann. Viele Frauen suchen in Sachen Hautpflege seinen Rat – und immer mehr Männer. Vorwiegend auf dem Buchholzer Wochenmarkt. Aber auch gern direkt in der Ölmühle in Dohren. Zu den rund 400 Produktarten, die Rausche verkauft, gehören nach wie vor ätherische Öle.
Die duftenden Pflanzenessenzen mit hochpotenter Wirkung auf das limbische System im Gehirn, das Gefühle und Stimmungen steuert, verarbeitet er gern zu speziellen Mischungen. Sommerwiese heißt seine bisher erfolgreichste Komposition. Ein weiterer Verkaufshit mit Wachstumspotential sind Sauna-Aufgüsse. Aus ätherischem Öl in Verbindung mit destilliertem Alkohol schafft Rausche 20 Essenzen, die gut duften, gut wirken und ganz ohne Haut und Atmungsorgane reizende Emulgatoren auskommen.
Superfood für Naschkatzen: Nuss-Nougat-Creme mit zehn Prozent Leinöl – und Zucker, na klar
Auf seinen guten Geruchssinn kann sich Helmut Rausche verlassen. Fast schon andächtig öffnet er ein Paket mit Pompona-Vanille, die er sich aus Peru und Guatemala hat liefern lassen. Genießerisch atmet er das Aroma der Ware ein – und befindet sie für gut. Was er mit den kostbaren schwarzen Stangen machen will? Weiterverkaufen. Und Extrakt daraus gewinnen, den er in einen Quittensirup mischt. Bald soll der aromatische Trank auf den Markt kommen.
Helmut Rausche lebt seinen Traum. Immer wieder hat er neue Ideen. Oft fehlt die Zeit, sie umzusetzen. Doch eines weiß der Vater einer dreijährigen Tochter ganz bestimmt: Das Top-Produkt aus dem Hause Rausche in der kommenden Saison wird eine Nuss-Nougat-Creme sein. Na klar enthält auch die Zucker, erklärt er. Doch dazu kommen zehn Prozent Leinöl. Der Claim des neuen Supferfoods, das auch Kindern schmecken soll: „Die gesündeste Art zu naschen“.